Gleichberechtigt und respektvoll

Grundsätze des interkulturellen Dialogs

Schon vor zehn Jahren hatte die EU 2008 zum „Jahr des interkulturellen Dialogs“ erklärt. Der Kulturbereich in verschiedenen Ländern organisierte engagierte Programme und Maßnahmen, um den Austausch innerhalb und zwischen den Ländern zu fördern. Migration war schon immer eine Tatsache in Europa inklusive Millionen Flüchtlingen in der Nachkriegszeit. Die EU betonte im Laufe der Jahre verstärkt die Gemeinsamkeit der Werte „in Vielfalt“ und die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Dialogs.

 

Wer heute in das Restaurant „Kreuzberger Himmel“ in Berlin kommt und dort Hummus, Samosas oder Kibbeh isst, weiß spätestens nach einem Blick in die Speisekarte, dass fast alle Mitarbeiter in Küche und Service Geflüchtete sind, die ausgebildet und weitervermittelt werden. „Integration erlebbar machen“ ist das Ziel der Initiative, und mit vollem Mund stellen wir fest, dass Integration auch gut schmecken kann. Schon einfache unverbindliche Begegnungen sind ein kleiner Schritt zur Verständigung. Eine erste Hürde wird überwunden, der Bann gebrochen. Hier wird ein Raum geschaffen, bei dem sich Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen (wieder-) begegnen können, während es gleichzeitig den „Angekommenen“ ermöglicht, Sprache und berufliche Fähigkeiten zu lernen. All dies gehört zum „interkulturellen Dialog“.

 

Schnell wird deutlich, wie diese spezielle Kommunikationsform Gräben in der Gesellschaft überwinden kann und damit eine demokratische Gesellschaft unterstützt. Interkultureller Dialog schafft es, „(…) die verschiedenen Zugangs- und Sichtweisen der Welt besser verständlich zu machen, Zusammenarbeit und Teilhabe (…) zu stärken (…) und Toleranz und Achtung des anderen zu fördern“, wie der Europarat 2008 in seinem „Weißbuch zum interkulturellen Dialog: Gleichberechtigt in Würde zusammenleben“ schrieb.

 

In Deutschland und Europa gibt es dafür unzählige Beispiele. So arbeiten soziokulturelle Zentren, wie das ZAKK in Düsseldorf oder die „Werkstatt der Kulturen“ in Berlin, schon seit vielen Jahrzehnten auch mit vor Ort lebenden internationalen Künstlern und inte­grieren dabei Teile der „migrantischen Bevölkerung“.

 

Gleichberechtigter Austausch
Interkultureller Dialog ist der gleichberechtigte und respektvolle Austausch zwischen Menschen und Gruppen unterschiedlicher Herkunft oder unterschiedlicher Tradition aufgrund ihres ethnischen, kulturellen, religiösen oder sprachlichen Erbes. Er ist ein dynamischer Prozess, der sich auf alle Formen der Kommunikation bezieht – verbal als auch nonverbal, also auch z. B. Kunst und Musik ausdrücklich miteinschließt.

 

Interkultureller Dialog trägt zur Integration bei, denn er hat das Ziel, das gegenseitige Verständnis zu fördern und zu verbessern. Der Begriff „Dialog“ betont dabei auch die Suche nach Gemeinsamkeiten. Es ist keine Diskussion um das Trennende, keine Betonung von unterschiedlichen Meinungen oder Vorurteilen. Der interkulturelle Dialog geschieht „auf Augenhöhe“ und auf der Ebene der „Kultur“. So jedenfalls sind die Ideale, die als Vorlage für Leitbilder dienen, die wiederum Orientierung in der täglichen interkulturellen Arbeit bieten.

 

Ein herausragendes Beispiel für gelungenen interkulturellen Dialog ist das „Chester Beatty Library & Art Museum“ in Dublin, das diesen Begriff in das Zentrum des Handelns gestellt hat. Die Leitung nutzte einen Umzug 2010 dazu, sich selbst neu zu erfinden. Kunst aus den islamischen und ostasiatischen Kulturkreisen werden in Bezug zu europäischer Kunst gesetzt; Dublins „Migrant Communities“ werden in die Programmarbeit eingebunden und ausdrücklich eingeladen, sich der Kultur ihrer Vorfahren zu nähern; es gibt speziell eingerichtete „intercultural learning zones“, die Besucher anregen, mehr über die Kultur der Herkunftsländer zu erfahren. Würden die Verantwortlichen im Berliner Humboldt Forum dieses Konzept als Inspiration annehmen, würden vielleicht viele Diskussionen entschärft.

 

Vier Voraussetzungen sinnvoller Integrationsarbeit
Es gibt vier Voraussetzungen, die für eine sinnvolle Integrationsarbeit und einen funktionierenden interkulturellen Dialog notwendig sind: Offenheit, Dialogbereitschaft, Integrationswille und „good citizenship“. Sie gelten gleichermaßen für die Angekommenen als auch für alle Mitglieder der Aufnahmegesellschaften.

 

Erste Voraussetzung ist Offenheit: des Einzelnen gegenüber „Anderen“, als auch der Gesellschaft gegenüber Veränderungen. Das Leben ist Veränderung. In der Geschichte gibt es genug Beispiele, wie eine Gesellschaft bewusst, nachhaltig und langfristig erfolgreich mit Veränderungen durch Migration umgehen kann. Xenophobische Angstmacherei von Nationalisten und Rechtspopulisten in Europa ist Propaganda. Ein Baustein ist, sich auf praktische Integrationsarbeit zu konzentrieren. Dafür sind der Wille zu Dialog und zur Integration essenzielle Bestandteile. Eine Gesellschaft verliert einen Teil ihrer Werte, wenn sie Ankommende ohne Differenzierung ausgrenzt. „Ankerzentren“ sind eher Internierungslager, wenn sie nicht ähnlich wie die Auffanglager für „DDR-Flüchtlinge“ Ende der 1980er Jahre betrieben werden – also der ersten Hilfe, Information und Koordination dienen.

 

Integration beginnt mit Verständnis der Sprache und Kultur der Aufnahmegesellschaft. Integration vereinfacht die Teilhabe an dieser Gesellschaft – das ist das Ideal und Ziel, gerade wenn Ablehnung und Rassismus täglich auch „gut Integrierte“, „deutsche Bürger“ der dritten Generation von Einwanderern oder schwarze Deutsche treffen. Nur durch nachhaltiges Verständnis bildende Maßnahmen können Konflikte im Jetzt beseitigt werden. Dabei geht es um das Erreichen der Mitte der Gesellschaft und klare Maßnahmen gegenüber rechter Meinungsmache. Zur Integration gehört also nicht nur der Wille der „Ankommenden“, sondern auch der explizite Wille der Gesellschaft, (geregelte) Einwanderung willkommen zu heißen.

Wigbert Boell
Wigbert Boell ist Kulturberater und Publizist.
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