Vorstellung des Dossiers „Koscher, Kippa, Klezmer?“ am 06. November 2016 im Centrum Judaicum in Berlin

Rede von Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber von Politik & Kultur zur Vorstellung des Dossiers „Koscher, Kippa, Klezmer? – Judentum und Kultur“ des Deutschen Kulturrates in der Veranstaltung „Leo Baeck als Wegweiser für ein Judentum in Vielfalt“ am 06. November 2016 im Centrum Judaicum Großer Saal (Stiftung Neue Synagoge Berlin)

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

herzlichen Dank für die Möglichkeit hier an diesem besonderen Ort in Berlin, der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“, das Dossier des Deutschen Kulturrates „Kippa, Koscher, Klezmer?“ vorstellen zu können.

 

Dafür möchte ich besonders Rabbiner Homolka danken, der bereits bei der Erstellung des Dossiers mit Rat und Tat zur Seite stand, aber auch den anderen Beteiligten dieser Veranstaltung der Leo Baeck Foundation, der Allgemeinen Rabbinerkonferenz sowie der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum.

 

Warum erstellt der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, dem 247 Bundeskulturverbände angehören und der sich ansonsten mit Rechtsfragen wie dem Urheberrecht oder der Künstlersozialversicherung befasst, ein Dossier zu Judentum und Kultur?

 

Zunächst: Ich bin fest davon überzeugt, dass Kultur und Religion zusammengehören. Kultur wird stark durch Religion beeinflusst. Bilder, Plastiken, Filme, Literatur, Architektur, Musik, in eigentlich allen Künsten findet eine Auseinandersetzung mit Religion statt. Genauso erfolgt religiöse Vermittlung durch Kultur. Viele Künstler setzen sich in ihrem Werk mit religiösen Fragen im Allgemeinen, aber auch mit ihrem besonderen, persönlichen Verhältnis zu Gott auseinander.

 

Allein das ist schon Anlass genug, sich mit dem Verhältnis von Kultur und Religion auseinanderzusetzen.

 

Mir ging und geht es aber um mehr. Ich bin der festen Überzeugung, dass Religionsgemeinschaften auch eine kulturpolitische Verantwortung haben.
Ich habe daher im Jahr 2006, also vor zehn Jahren, das erste Mal ein Dossier zum Thema Kultur und Religion in Politik & Kultur, der von mir herausgegebenen Zeitung des Deutschen Kulturrates, geplant und verantwortet. Im ersten Dossier habe ich mich dabei der Religion zugewandt, in der ich mich am besten auskenne: dem Christentum.

 

Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht“ hieß dieses Dossier. Es löste damals eine heftige Debatte innerhalb des Deutschen Kulturrates aus. Einige warfen die Frage auf, ob denn nun mit der Beschäftigung mit Religion hinter die Aufklärung zurückgefallen würde. Andere meinten, dass Religion und Kulturpolitik wenig gemeinsam hätten.

 

Doch am Ende der Debatte hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass Kultur ohne Religion nicht denkbar ist und dass die Beschäftigung mit religiösen Fragen zentral ist, um die Kulturentwicklung unserer Tage zu verstehen und zu beeinflussen.

 

Fünf Jahre später, im Jahr 2011, erschien das Dossier „Islam Kultur Politik“. Mir lag dabei besonders am Herzen, zu einer Versachlichung der Debatte um den Islam beizutragen, die Jahrhunderte alten Wirkungen des Islams auch auf unserem Kulturkreis aufzuzeigen und die kulturelle Dimension des Islams zu verdeutlichen.

 

Und nun fünf Jahre nach Erscheinen des letzten Dossiers und zehn Jahre nach der Veröffentlichung des ersten, erscheint endlich das Dossier „Judentum und Kultur“. Zurecht werden sich einige von Ihnen fragen, warum sich der ältesten der drei Buchreligionen zum Schluss zugewandt wird. Warum haben wir uns vorher mit dem Islam beschäftigt, obwohl er in Deutschland eine viel kürzere Tradition als das Judentum hat.

 

Diese Frage ist mehr als berechtigt. Als ich die Dossiers entwarf und plante, hätte ich nie gedacht, dass es so lange dauert, bis das Dossier zu Judentum und Kultur erscheint.

 

Es galt finanzielle Unterstützer zu gewinnen, die mit der Herbert Quandt-Stiftung und der Axel Springer Stiftung schließlich gewonnen werden konnten. Beiden Stiftungen danke ich herzlich für ihre Unterstützung.

 

Und es galt, sich in den Fallstricken der jüdischen Gemeinschaften zurecht zu finden. Dass dies der schwierigste Teil war, wurde nach Erstellung des Dossiers und der Ankündigung der heutigen Veranstaltung abermals deutlich.

 

Einige warfen mir in den letzten Tagen mit sehr deutlichen Worten vor, dass der Deutsche Kulturrat mit seiner Kooperation mit dieser Veranstaltung einseitig Partei in einem innerjüdischen Streit für Rabbiner Homolka genommen zu habe. Man warf mir vor, dass ich mich zu Rabbiner Homolka „ins Bett gelegt hätte“. Doch meine sehr verehrten Damen und Herren, wer uns beide sieht, wird unschwer feststellen, dass das schon ein sehr breites und äußerst stabiles Bett sein müsste, indem wir beide gleichzeitig liegen könnten.

 

Doch Spaß bei Seite: Ich möchte deutlich unterstreichen, dass ich die Vielfalt des jüdischen Lebens in Deutschland als eine große Bereicherung erfahre. Es ermöglicht bei dem notwendigen und unerlässlichen Blick zurück, den Blick nach vorne zu richten und die Lebendigkeit jüdischen Lebens darstellen. Es kommen darum in unserem Dossier ganz unterschiedliche Persönlichkeiten und Blickrichtungen zu Wort.

 

Es geht dabei um historische und aktuelle Perspektiven, hier kommen Wissenschaftler wie Michael Brenner oder Raphael Gross zu Wort, die sich als Historiker mit der Geschichte des Judentums in Deutschland auseinandersetzen. Bundesinnenminister Thomas de Maiziére gibt im Interview Auskunft zu Integrationsfragen der nach Deutschland kommender Juden. Ulrich Wyrwa setzt sich mit der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland auseinander und Michal Bodemann stellt die vielfach verschiedenen Welten von in Deutschland lebenden Juden vor.

 

Mit der Frage „Was ist Judentum?“ befasst sich Walter Homolka, der die verschiedenen Richtungen des Judentums darstellt. Jessica Schmidt-Weil geht der Frage nach, wie jüdischer Religionsunterricht in nicht-jüdischen Schulen realisiert werden kann, welche Anforderungen an Lehrwerke, aber auch an die Lehrkräfte gerichtet werden müssen. Doron Kiesel stellt die Bildungsarbeit des Zentralrats der Juden in Deutschland vor und setzt sich mit der Verbindung von Tradition und Moderne auseinander. Walter Homolka, Giuseppe Veltri und Rafael Arnold schreiben über die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten von Judaistik und Jüdischen Studien.

 

Mit allen drei Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam beschäftigt sich Rainer Kampling. Er stellt die Frage nach Unterschieden, aber auch Gemeinsamkeiten.

 

Johannes Heil stellt die Hochschule für jüdische Studien Heidelberg vor. Jonah Sievers setzt sich mit jüdischem Recht auseinander.

 

Kulturstaatsministerin Monika Grütters unterstreicht in ihrem Beitrag die moralische Verpflichtung zur Restitution. Julius Schoeps fragt danach, wie das Erinnern an Jüdische Kultur gelingen kann. Adriana Altaras schreibt feinsinnig und humorvoll über jüdischen Humor. Irmela von der Lühe, Ulrich Knufinke, Katrin Kessler,  Michael Hurshell, Jascha Nemtzoff, Hartmut Bomhoff, Markus Kirchhoff, Alina Gromova, beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten der jüdischen Kultur.

 

Mit der Erinnerungskultur befasst sich Mirjam Wenzel am Beispiel Jüdischer Museen und zeigt anschaulich deren Veränderung auf. Micha Brumlik fragt nach der Bedeutung der Erinnerungskultur mit Blick auf die Zukunftsgestaltung. Monika Grübel und Barbara Seifen stellen vor, welchen Beitrag die Denkmalpflege zur lebendigen Erschließung des jüdischen Baubestands leisten kann.

 

Andrea Livnat stellt jüdische Zeitungen und Internetmagazine vor. Theresa Brüheim hat David Kauschke zur Jüdischen Allgemeinen befragt und Andreas Bönte gibt Auskunft, warum es kein Wort zum Shabat im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt.

 

Im letzten Kapitel beschäftigen sich Wolf Iro, Ruthi Ofek und Gisela Dachs mit Israel. Last but not least berichtet Richard C. Schneider vom besonders normalen Verhältnis zwischen Israel und Deutschland.

 

Ich hoffe, ich habe jetzt keine Autorin, keinen Autoren vergessen.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Sie merken bei diesem Parforceritt, in dem Dossier wird der Versuch unternommen, eine große Bandbreite jüdischen Lebens darzustellen.

 

Dabei richtet sich das Dossier nicht zuallererst an Sie, die Sie sich mit dem jüdischen Leben, mit der Religion und der Kultur bestens auskennen, sondern gerade an jene Menschen in verantwortlichen Positionen, die sich nicht so gut auskennen. Darum ist dieses Dossier der Zeitung Politik & Kultur beigelegt, die sich an Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung richtet. Das Dossier ist auch kostenfrei im Internet abrufbar und natürlich auch über den Buchhandel erhältlich.

 

Ich hoffe sehr, dass diese Veranstaltung dazu beitragen wird, das Dossier noch weiter zu verbreiten und zu einer konstruktiven Diskussion über die Inhalte beizutragen. Ich freue mich über jeden Debattenbeitrag!

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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