Pipelines

Die kulturelle Dimension der Digitalisierung und die gesellschaftlichen Auswirkungen eines digitalen Kapitalismus

Einige Zeit wurde darüber gesprochen, dass das Urheberrecht das Marktordnungsrecht der digitalen Welt sei. Lang und breit wurde und wird über Veränderungen des Urheberrechts debattiert. Dabei standen und stehen sich nahezu unversöhnlich unterschiedliche Gruppen gegenüber. Auf der einen Seite sind diejenigen zu finden, die für eine faire Vergütung der Künstlerinnen und Künstler eintreten, also die Künstler selbst und die Unternehmen der Kulturwirtschaft. Auf der anderen diejenigen, die aufgrund eines öffentlichen Auftrags möglichst viele Inhalte umfassend, kostenfrei zugänglich machen wollen, wie Bibliotheken. Und dann gibt es noch Internetunternehmen und ihre Verbände, die meinen, dass Bekanntheit für Künstler ausreiche, den Kühlschrank zu füllen.

 

So richtig hoch kochten die Emotionen bei den Trilogverhandlungen zur EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt. Der von der Kommission vorgelegte Richtlinienvorschlag wurde sowohl vom Europäischen Rat als auch dem Europäischen Parlament an einzelnen Artikeln geändert. Seit der zweiten Jahreshälfte 2018 fanden die sogenannten Trilogverhandlungen statt, in denen sich Kommission, Parlament und Rat auf gemeinsame Formulierungen verständigen müssen. Nachdem es lange so aussah als würde es keine Einigung geben, verständigen sich Anfang Februar dieses Jahres die Verhandler auf eine gemeinsame Linie. Wenn nun die Institutionen, Parlament, Rat und Kommission, zustimmen, kann noch vor der Wahl des neuen Europäischen Parlaments und der Einsetzung einer neuen Kommission die Richtlinie verabschiedet werden. Damit würde die Richtlinie Urheberrecht in der Informationsgesellschaft aus dem Jahr 2001 abgelöst werden. Angesichts der oben beschriebenen technischen Entwicklung ist eine Aktualisierung der europäischen Urheberrechtsgesetzgebung bitter nötig. Sie bildet die Grundlage für den nationalen Gesetzgeber. Die Debatten werden also in Deutschland im nationalen Umsetzungsprozess fortgesetzt.

 

Im aktuellen Richtlinienentwurf werden diverse Aspekte angesprochen, es geht unter anderem um Schrankenregeln und die Nutzung von Werken für Unterrichts- und wissenschaftliche Zwecke, um den digitalen Erhalt des Kulturerbes, um das Presseleistungsschutzrecht, um die Verlegerbeteiligung an gesetzlichen Vergütungsansprüchen, um faire Vergütung und um die Verantwortung der Plattformen für gehostete Inhalte – siehe Art. 13. Insbesondere letzterer Artikel beherrschte in den letzten Monaten die Debatte. Es ging um die Frage, ob die Position der Rechteinhaber gegenüber Online-Plattformen gestärkt werden soll, damit sie insbesondere für die zustimmungsbedürftige Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung erhalten. Online-Plattformen sollten sich nicht mehr auf die Position zurückziehen können, dass sie letztlich nur die Pipelines zur Verfügung stellen und daher keine Verantwortung für die Inhalte übernehmen können. Rechteinhaber erhoffen sich eine Schließung des sogenannten Value Gap und die Durchsetzung einer angemessenen Vergütung. Gegner der Regelung befürchten, dass die einzusetzenden Upload-Filter viel zu ungenau sind, dass sie zwischen einem rechtmäßigen Zitat und einem illegalen Upload nicht unterscheiden können und vor allem, dass die Informations- und Meinungsfreiheit massiv eingeschränkt werden. Der Branchenverband der Internetunternehmen, Bitkom, warnt davor, dass die Regelung „jungen Künstlern die Möglichkeit nehmen (wird; Anm. d. A.), das Internet als unabhängige Plattform zur Optimierung der Reichweite zu nutzen.“ Dabei wird außer Acht gelassen, dass es auch in der analogen Welt jedem Urheber unbenommen ist, seine Werke zu verschenken und ebenso in der digitalen Welt Künstlerinnen und Künstler ihre Schöpfungen frei zugänglich machen können. Sie müssen allerdings die Persönlichkeitsrechte daran haben.

 

Die Urheberrechtsdebatte ist aber nur ein Element in der Diskussion um den Umgang mit marktbeherrschenden Plattformen. Ein weiteres ist die Frage der Besteuerung. Bekanntermaßen beherrschen diese Unternehmen die Steuervermeidung perfekt. Sie sind Nutznießer des von der Allgemeinheit durch Steuermittel finanzierten Breitbandausbaus, sind selbst aber nicht bereit, ihren Anteil durch Steuerzahlungen zu leisten. Vor wenigen Wochen hat das Bundesarbeitsministerium ein Gutachten zur Künstlersozialabgabepflicht von Online-Plattformen vorgelegt. Hier wird aufgezeigt, dass unter bestimmten Voraussetzungen wie bei anderen Verwertern künstlerischer oder publizistischer Leistungen auch bei Online-Plattformen eine Künstlersozialabgabepflicht entstehen kann. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie eine Abgabepflicht durchgesetzt werden kann.

 

Der Sprecherrat des Deutschen Kulturrates hat für die Amtszeit 2019 bis 2021 einen Fachausschuss Digitales und Künstliche Intelligenz eingesetzt. Die Zusammensetzung dieses Ausschusses wird im März 2019 beschlossen. Wichtige Themen dieses Ausschusses werden die kulturelle Dimension der Digitalisierung, aber auch die gesellschaftlichen Auswirkungen eines digitalen Kapitalismus sein. Wir freuen uns auf die Debatten.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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