Inklusion in der künstlerischen Exzellenzförderung?

Ergebnisse einer Umfrage an künstlerischen Hochschulen in Deutschland

 

Mehr Fortbildung und Exzellenzzentren

 

71 Prozent der künstlerischen Hochschulen, darunter 83 Prozent der Musikhochschulen, sehen jedoch einen konkreten Bedarf an Fort- und Weiterbildung für ihre Lehrenden zum Thema Inklusion. Sowohl Dozenten, die Studierende mit Behinderung unterrichten, als auch Studierende mit Behinderung beklagen, dass es keine Anlaufstelle gibt, die beispielsweise Wissen um das Musizieren mit spezifischen Beeinträchtigungen sammelt, um sie bundesweit ggf. anderen Betroffenen für die Exzellenzförderung zur Verfügung zu stellen. Oftmals stellen sich hier sehr spezifische Herausforderungen: Wie muss z. B. ein Cellobogen konzipiert werden, wenn an der entsprechenden Hand keine Finger existieren? Hier wäre ein bundesweites Exzellenzzentrum zu Fragen der künstlerischen Praxis mit Beeinträchtigung hilfreich, damit sich einzelne Betroffene nicht immer wieder selbst auf die Suche nach Lösungswegen begeben müssen. Hervorzuheben ist in diesem Sinne das Programm ARTplus – Ausbildung und Qualifizierung, das EUCREA koordiniert. Geplant ist mit fünf Bundesländern mit jeweils drei künstlerischen Ausbildungsinstitutionen zu kooperieren, um langfristig Erfahrungen in der künstlerischen Qualifizierung von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen zu sammeln. Das fünfjährige Programm wird von der Universität Leipzig wissenschaftlich begleitet.

 

Barrieren bei Kommunikation und Räumen

 

Auch räumliche Barrieren existieren. Denn künstlerische Hochschulen sind oftmals in denkmalgeschützten Gebäuden untergebracht. 26 Prozent bezeichneten ihre Einrichtung explizit als weniger gut bzw. schlecht im Kontext von Barrierefreiheit. Noch deutlichere Defizite sehen 51 Prozent der künstlerischen Hochschulen in der Barrierefreiheit ihrer Homepage wie leichte Sprache, Gebärdensprache oder Sehkontraste.

 

Fazit: Herausforderungen und Chancen

 

Um künstlerische Hochschulen inklusiver zu gestalten, bedarf es einer systematischen Aufarbeitung des Themas Inklusion in allen Handlungsfeldern: Kommunikation, Aufnahmeprüfungen, Lehre und räumliche Zugänge. Dies ist nur mit zusätzlichen finanziellen Mitteln möglich. Vorteilhaft wäre mehr Wissenstransfer zwischen Pioniereinrichtungen im Feld der Künste und Inklusion und künstlerischen Hochschulen. Hilfreich wäre auch eine Wissensbündelung an bundesweiter zentraler Stelle, damit nicht jeder Einzelne – Studierende und Dozenten – eigene individuelle Lösungswege für die Ausübung künstlerischer Praxis suchen muss.

 

Natürlich kann Inklusion an künstlerischen Hochschulen nur ein erster Schritt sein. Inklusiver werden muss beispielsweise auch die Breitenförderung in Kindheit und Jugend, hier auch Exzellenzwettbewerbe wie Jugend musiziert. Entscheidend aber ist anzufangen. Die künstlerischen Hochschulen legen nicht nur die personelle Grundlage für den künstlerischen Profibereich, sondern auch für die pädagogische Breitenarbeit und Exzellenzförderung.

 

Die Umfrage legt nahe, dass sich ein erstes Bewusstsein für das Thema Inklusion an künstlerischen Hochschulen gebildet hat. Dieses resultiert möglicherweise, neben der zunehmenden Sichtbarkeit von Künstlerinnen und Künstlern mit Behinderung, auch aus Erfahrungen mit Kunstschaffenden, die im Lebensverlauf erkrankten, wie Jörg Immendorff, der in späten Jahren aufgrund des Nervenleidens ALS seine Kunst ausschließlich mithilfe von Assistenten aufs Papier dirigierte, oder die Tanzstudierende an der Palucca Hochschule für Tanz, Sophie Hauenherm, die im Verlauf ihres Studiums eine inkomplette Querschnittlähmung erlitt und erstmals an dieser Hochschule eine Bachelorprüfung im Rollstuhl absolvierte.

 

Von einer inklusiven Öffnung des professionellen Kulturbereichs profitiert nicht nur dieser Bereich. Wenn auf Bühnen, in Film und Fernsehen eine inklusive Künstlerbesetzung als „Normalität“ gelingt, dann hat dies eine Strahlwirkung auf alle gesellschaftlichen Lebensbereiche. Der Sport engagiert sich hier schon länger sehr erfolgreich, allerdings in der Öffentlichkeit eher in Parallelsystemen wie den Paralympics. Im Kulturbereich gibt es keine Norm, keine richtigen und falschen Wege, sondern Exzellenz im Rahmen vielfältiger Ausdrucksmöglichkeiten. Dies beweisen Künstlerpersönlichkeiten wie Thomas Quasthoff oder Gerda König und ihr Ensemble Din A 13 mit ihrem internationalen Standing. Kunst und Kultur könnten daher auch im Feld der Inklusion unter Beweis stellen, dass sie ein Motor für gesellschaftliche Transformation sind.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist ehrenamtliche Präsidentin des Deutschen Kulturrates und Hauptamtlich Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW.
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