Inklusion in der künstlerischen Exzellenzförderung?

Ergebnisse einer Umfrage an künstlerischen Hochschulen in Deutschland

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) fordert Teilhabe von Menschen mit Behinderung an allen gesellschaftlichen Lebensbereichen. So fordert die UN-BRK, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung haben sollen (UN-BRK, Artikel 24 (5)). Das Netzwerk Kultur und Inklusion, gefördert von der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien, hat daher in Kooperation mit der Kulturministerkonferenz eine Umfrage an 49 künstlerischen Hochschulen in Deutschland durchgeführt, um bestehende Barrieren und Herausforderungen zu ermitteln. Die Umfrageergebnisse wurden im Anschluss in einer Expertentagung in der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und Landes NRW reflektiert und vertieft, beispielsweise in Gesprächen mit Studierenden mit Behinderung in der künstlerischen Ausbildung und Dozenten, die diese unterrichten.

 

Zum Status quo: Studierende mit Behinderung an künstlerischen Hochschulen

 

Grundsätzlich ist es schwierig, einen Überblick zur Situation von Studierenden mit Behinderung an künstlerischen Hochschulen zu bekommen. Zu berücksichtigen sind beispielsweise die unterschiedlichen Formen von Behinderung, die von einer Seh-, einer Gehbeeinträchtigung bis hin zu anderen körperlichen, psychischen oder geistigen Beeinträchtigungen reichen können.

 

71 Prozent der künstlerischen Hochschulen geben in der Umfrage an, dass aktuell Personen mit Behinderung an ihren Einrichtungen studieren. Die Best-2-Studie von 2018 des Deutschen Studentenwerks, die Studierende und nicht Hochschulen befragte, konnte hier differenzierter vorgehen. Laut dieser Studie studieren an künstlerischen Hochschulen deutschlandweit 0,6 Prozent Studierende mit expliziten studienrelevanten Beeinträchtigungen. Diese und eine weitere 2016 erstellte Studie, „Auf dem Weg zur inklusiven Hochschule“ im Auftrag des Sächsischen Landtages, gehen zudem davon aus, dass eine überproportional hohe Anzahl an Studierenden mit psychischen Erkrankungen, hier auch mit Essstörungen, Angststörungen oder Medikamentenabhängigkeit, an künstlerischen Hochschulen studieren, aufgrund der spezifischen Studiengang-Voraussetzungen jedoch bestimmte Behinderungsarten unterrepräsentiert sind.

 

Zur Situation der Aufnahmeprüfung

 

Da an künstlerischen Hochschulen Exzellenz gefördert werden soll, entscheiden Aufnahmeprüfungen über Zugang und besondere Begabung. Um Inklusion zu ermöglichen, existiert ein Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleich in der Bildung. Denn Betroffenen dürfen bei Prüfungen aufgrund ihrer Behinderung keine Nachteile entstehen. Ein prominentes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit für eine Nichtberücksichtigung des Nachteilsausgleichs bei einer künstlerischen Aufnahmeprüfung ist Thomas Quasthoff. So wurde er trotz seines Stimmtalents an einer Hochschule abgelehnt, mit der Begründung, er könne aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung das Pflichtfach Klavier nicht wahrnehmen. Diese Pflicht hätte jedoch im Sinne des Nachteilsausgleichs erlassen werden müssen.

 

76 Prozent der künstlerischen Hochschulen legen heute nach eigenen Aussagen die Prüfungsordnungen im Sinne des Nachteilsausgleichs flexibel aus. Der Anteil der Musikhochschulen ist hier mit 88 Prozent etwas höher – vielleicht nicht zuletzt aufgrund früherer Erfahrungen mit prominenten Bewerbern wie Thomas Quasthoff. Allerdings informieren lediglich 49 Prozent der künstlerischen Hochschulen aktiv über den Nachteilsausgleich bei Aufnahmeprüfungen. Ausbaufähig ist auch die Einbindung von Menschen mit Behinderung innerhalb der Ausschüsse zu Aufnahmeprüfungen. Nur 43 Prozent der Hochschulen tun dies aktuell.

 

Zum Stellenwert des Themas Inklusion in der Lehre

 

67 Prozent der künstlerischen Hochschulen öffnen nach eigenen Angaben bestehende Lehrveranstaltungen für Inhalte der Inklusion. Dies geschieht aktuell vor allem im Rahmen von Kooperationsprojekten mit Institutionen, in denen auch Menschen mit Beeinträchtigung gefördert werden (57%), beispielsweise mit Schulen, Kindergärten, kinder- und jugendpsychiatrischen Praxen oder Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Ein Teil dieser Aktivitäten findet auch im Rahmen gemeinsamer pädagogischer, künstlerischer Projekte wie Chor oder Ensemblearbeit statt. Kooperiert wird dabei punktuell auch mit Pionieren im Feld der Kultur und Inklusion, hier vielfach Betroffene und betroffene Familienangehörige, die die inklusive Kulturarbeit in der Vergangenheit gemeinsam mit engagierten Künstlerinnen und Künstlern sowie Kulturpädagoginnen und -pädagogen vorantrieben und Strukturen aufbauten. Zu nennen sind hier beispielsweise das Blaumeier Atelier, das Theater RambaZamba, Atelier Goldstein, Rollenfang oder daraus entstandene Netzwerke wie Eucrea.

 

Eine systematische Einbindung des Themenfelds Inklusion in der Lehre fehlt jedoch: Allgemein geben nur etwas mehr als ein Drittel der künstlerischen Hochschulen an (39%), unter den Musikhochschulen immerhin 50 Prozent, dass sie spezielle Lehrveranstaltungen zum Thema Inklusion anbieten. Allerdings haben insgesamt nur 22 Prozent, bei den Musikhochschulen sind es 38 Prozent, Stellen bzw. Stellenanteile für die Lehre zum Thema Inklusion. Die Frage, ob innerhalb der nächsten zwei Jahre die Schaffung neuer Stellenanteile für die Lehre zum Thema Inklusion geplant ist, bejahen nur 14 Prozent der befragten Hochschulen.

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist ehrenamtliche Präsidentin des Deutschen Kulturrates und Hauptamtlich Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW.
Vorheriger ArtikelMehrfach totgesagt, aber immer noch frisch und munter
Nächster ArtikelMehr kulturelle Visionen