Heimat(en)

Zusammenhalt in Vielfalt gelingt

Vor 56 Jahren im Februar 1962 stellten 26 Filmemacher in Oberhausen anlässlich der 8. Oberhausener Kurzfilmtage das Oberhausener Manifest unter dem Titel „Papas Kino ist tot“ vor. Die Oberhausener Kurzfilmtage, die vom damaligen Leiter der Volkshochschule, dem legendären, erst vor wenigen Wochen verstorbenen Hilmar Hoffmann aus der Taufe gehoben wurden, boten ein Forum für jene nach vorne drängenden Nachwuchsfilmer, die sich für neue ästhetische Sichtweisen und ein künstlerisches Kino jenseits des Unterhaltungskinos einsetzten. Denn „Papas Kino“, dessen Tod verkündet wurde, zeichnete sich unter anderem durch Heimatschmonzetten aus.

 

Heimatschmonzetten, die in Westdeutschland auf viel Zuspruch beim Publikum trafen, weil sie offenbar ein Gefühl bedienten. Eine Sehnsucht nach Heimat, nach Unversehrtheit und nach Ordnung. Denn in den 1950er Jahren lebten viele Menschen in Deutschland fern ihrer Heimat. Sie hatten ihre Heimat als Flüchtlinge verlassen oder waren infolge der Konferenz von Potsdam aus Ostmitteleuropa vertrieben worden. In der DDR wurden sie als „Umsiedler“ bezeichnet und infolge der Einbindung der DDR in den Einflussbereich der Sowjetunion sowie später des Warschauer Paktes erhielten sie keine besondere öffentliche Aufmerksamkeit. In der Bundesrepublik fanden Heimatvertriebene teilweise im „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ eine politische Heimat und konnten nicht zuletzt durch die Beteiligung an CDU-geführten Regierungen mit dem sogenannten Lastenausgleich Entschädigungszahlungen durchsetzen. Die von den Regierungen Konrad Adenauers vorangetriebene Westbindung und der Kalte Krieg machten es immer unwahrscheinlicher, dass aus Ostmitteleuropa geflohene oder vertriebene Deutsche wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und der beginnenden Versöhnungs- und Entspannungspolitik durch SPD-geführte Bundesregierungen wurde klar, dass diese Heimat für immer verloren war. Zugleich ermöglichte unter anderem das Bundesvertriebenengesetz die Pflege des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen.

 

Doch eine weitere Gruppe darf im Flüchtlings- und Vertriebenentableau im Deutschland der Nachkriegszeit nicht fehlen, die „Displaced Persons“. Unter diesem Begriff, kurz DP genannt, wurden Juden und Zwangsarbeiter zusammengefasst, die die Vernichtungslager der Nazis überlebt und nun erneut in Lagern zusammengefasst untergebracht wurden. Die Mehrzahl von ihnen, insbesondere die jüdischen Überlebenden der deutschen Vernichtungslager, konnte oder wollte nicht in ihre alte Heimat zurück. Sie lebten in ehemaligen Kasernen oder auch Konzentrationslagern. Erst im Jahr 1961 wurden die letzten DP-Camps aufgelöst.

 

Das Deutschland der Nachkriegszeit ist alles andere als ein heimeliger Ort. Es ist gekennzeichnet durch Verlust an Integrität, an Menschlichkeit, an Heimat. Der Heimatfilm zeichnet die Schimäre einer heilen Welt – nach der sich sicherlich so mancher zurücksehnt, die durch den von Deutschen begangenen Zivilisationsbruch jedoch neu bewertet werden muss.

 

Die Filmrebellen von Oberhausen wollten ein anderes Deutschlandbild zeigen. Ein Deutschlandbild, das die Risse, die Wunden zeigt und sich mit der Vergangenheit auseinandersetzt. Nicht das Zukleistern und Übertünchen, sondern sich stellen. Und dieses in einem Land, in dem es in den 1950er und 1960er Jahren vor allem um eines ging, den wirtschaftlichen Aufschwung. In der Bundesrepublik verlief das sogenannte Wirtschaftswunder so gut, dass bereits im Jahr 1955 das erste Anwerbeabkommen für ausländische Arbeitskräfte geschlossen wurde. Bis 1968 schloss Deutschland neun Anwerbeabkommen, 1955 mit Italien, 1960 mit Spanien, 1960 mit Griechenland, 1961 mit der Türkei, 1963 mit Südkorea, 1963 mit Marokko, 1964 mit Portugal, 1965 mit Tunesien und 1968 mit Jugoslawien. Die angeworbenen »Gastarbeiter« wurden vor allem als günstige Arbeitskräfte gesehen. Sie schufteten in den Gruben, in Werken, auf dem Bau und in Krankenhäusern in einfachen Tätigkeiten. Deutschkurse oder Integration waren nicht vorgesehen. Die Katholische Kirche war für die katholischen „Gastarbeiter“ da. Die Hinterhofmoscheen der muslimischen „Gastarbeiter“ kümmerten wenige.

 

Als Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre jüdische Kontingentflüchtlinge aus Osteuropa nach Deutschland kamen, wuchs die Zahl der Mitglieder in den jüdischen Gemeinden und die vergleichsweise kleinen Gemeinden erbrachten eine enorme Integrationsleistung, die manche vor Zerreißproben führten.

 

Wenn also von Heimat oder vielleicht auch Heimaten die Rede ist, lohnt es sich, sich zu klar zu machen, worüber gesprochen wird. Manch einer mag vielleicht sehnsuchtsvoll an den Heimatfilm der 1950er Jahre denken, doch der ist nichts anderes als auf Zelluloid gebannte Sehnsucht, nach etwas, das es nicht gibt und in dieser Form auch nie gab.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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