Blühende Kulturlandschaften

Starthilfe für die Kultur nach dem Mauerfall

 

Auch trug das damalige Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung seit 1990 mit dem „Städtebauförderprogramm“ in hervorragender Weise zum städtebaulichen Denkmalschutz und zur Städtebauförderung in den neuen Ländern bei. In einer beeindruckenden Gemeinschaftsleistung von Bund, Ländern und Gemeinden, deren Ergebnisse für jedermann sichtbar sind, gelang es, den baulichen Verfall in den Altstädten, historischen Stadtkernen und Zentren von rund 160 Städten und Gemeinden in den neuen Ländern zu stoppen und einen umfangreichen Sanierungsprozess einzuleiten. Ganze Ensembles geschichtlich und künstlerisch herausragender Bauten, Straßen und Plätze konnten erhalten werden, förderlich für das Heimatgefühl der Ortsansässigen. Die gelungenen Sanierungsmaßnahmen ziehen zudem Touristen an und sind dadurch auch ein willkommener Wirtschaftsfaktor. Der Bund beteiligte sich ebenso wie das jeweilige Land mit 40 Prozent an den Kosten. Der kommunale Eigenanteil ging nicht über 20 Prozent hinaus. Im Zeitraum von 1990 bis 2006 sind aus dem Etat dieses Bundesministeriums insgesamt ca. 1,5 Milliarden Euro für den städtebaulichen Denkmalschutz in den neuen Bundesländern zur Verfügung gestellt worden.

 

Die Maßnahmen der zeitlich auf die Jahre 1991 bis 1993 begrenzten „Übergangsfinanzierung“ wurden 1994 durch überbrückende Zahlungen von 250 Millionen D-Mark aus dem Vermögen der ehemaligen Parteien und Massenorganisationen der DDR prolongiert. Ab 1995 waren durch den neuen Bund-Länder-Finanzausgleich die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die neuen Bundesländer und ihre Kommunen ihre kulturellen Aufgaben grundsätzlich eigenständig erfüllen konnten. Die kulturelle Mitverantwortung des Bundes konzentrierte sich in den neuen Ländern jetzt – wie auch in den alten Ländern – auf die Förderung national bedeutsamer Kultureinrichtungen und -veranstaltungen.

 

Der noch anhaltende Nachholbedarf an Baumaßnahmen und Beschaffungen im Aufgabenbereich Kultur in den neuen Bundesländern erforderte indessen zusätzliche Fördermaßnahmen neben der schon eingespielten Förderung der herausragenden Kultureinrichtungen mit leuchtturmartiger Ausstrahlung im sogenannten „Leuchtturm-Programm“. Bereits 1991 nahm die Bundesregierung einige besonders bedeutsame Kultureinrichtungen der neuen Bundesländer in die Dauerförderung auf. Da diese Kultureinrichtungen eine gleichsam leuchtturmartige Ausstrahlung national und international hatten und haben, setzte sich für ihre Förderung die Bezeichnung „Leuchtturm-Programm“ durch. Dazu gehörten von Anbeginn an die Preußischen Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, das Bauhaus in Dessau, das Gartenreich Dessau Wörlitz – heute Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, das Bach-Archiv in Leipzig, die Kultureinrichtungen in Weimar – jetzt Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen – und die KZ-Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau Dora. Auf Bitte der neuen Länder kamen bald weitere hinzu: Franckesche Stiftungen in Halle (Saale), Fürst Pückler Park in Bad Muskau, Deutsches Museum für Meereskunde und Fischerei in Stralsund, Ständiges Büro Mitteldeutsche Barockmusik, Kleist-Gedenkstätte in Frankfurt/Oder, Akademie der Künste Berlin, Stiftung Luther-Gedenkstätten in Eisleben und Wittenberg und Lessing-Gedenkstätte

Kamenz.

 

Die neue Bundesregierung unter Gerhard Schröder mit Kulturstaatsminister Michael Naumann konnte das Parlament als den Haushaltsgesetzgeber davon überzeugen, dass ein zusätzliches Kulturförderprogramm aufgelegt werden sollte. Unter der Bezeichnung „Aufbauprogramm“ – später „Programm Kultur in den neuen Ländern“ – wurden im Etat des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien für die Jahre 1999 bis 2003 insgesamt 240 Millionen Euro bereitgestellt. Die Mittelzuweisung erfolgte auf der Grundlage eines an der Einwohnerzahl der neuen Länder orientierten Schlüssels. Sie machten Vorschläge für die einzelnen Fördermaßnahmen, zu denen sie die gleiche Summe beizusteuern hatten wie der Bund. Die Projekte sicherten die Grundsanierung oder längst fällige Reparaturen. Durch sie konnte auch unbrauchbar gewordene Theater- oder Museumstechnik erneuert und neue Brandschutz-, Umweltschutz- und Versicherungsbestimmungen berücksichtigt werden.

 

Der Fall der Mauer, die Wiedererlangung der Deutschen Einheit und die Entscheidung für Berlin als Bundeshauptstadt – festgelegt in Artikel 2 des Einigungsvertrages – veränderten zwangsläufig die Qualität der Bundeskulturförderung für Berlin. Die damals geteilte Stadt ist nun als Hauptstadt ein Symbol der politisch geeinten Nation. In seiner Hauptstadt wird der föderal geprägte Kulturstaat Deutschland mit seinem kulturellen Reichtum und seiner Vielfalt in besonderer Weise sichtbar. Traditionsgemäß war Berlin auch während der Teilung auf beiden Seiten der Mauer ein Ort kultureller Ereignisse von nationaler und internationaler Bedeutung.

 

Es erforderte besondere Anstrengungen wichtige, ehemals zentral geleitete repräsentative Kultureinrichtungen im Ostteil Berlins zu erhalten. Sie mussten an die westlichen Standards angepasst werden. Auch sollten die Arbeitsplätze für Kunstschaffende sowie sonstige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst erhalten werden. Außer den Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Ostteil Berlins, vor allem der Museumsinsel ging es z. B. um die Staatsbibliothek Unter den Linden, das Deutsche Theater, die Komische Oper, das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, das Berliner Sinfonieorchester, das Berliner Ensemble, das Brecht-Zentrum, den Friedrichstadt-Palast, die Akademie der Künste, das Maxim-Gorki-Theater, das Metropol-Theater, das Zeughaus als dem späteren Sitz des Deutschen Historischen Museums, die Staatsoper Unter den Linden, und den Martin-Gropius-Bau. Für diese und noch weitere repräsentative Kultureinrichtungen im Ostteil der Stadt erhielt Berlin über seinen Anteil am „Substanzerhaltungsprogramm“ hinaus eine zusätzliche Pauschale. Jede fünfte Mark der Übergangsfinanzierung Kultur floss in den Ostteil Ber-lins. Insgesamt waren das von 1991 bis 1994 etwa 558 Millionen D-Mark.

 

Nach den „Erstehilfe-Maßnahmen“ der Übergangfinanzierung kam es 1994 zum ersten Hauptstadt-Finanzierungsvertrag zwischen dem Bund und dem Land Berlin gefolgt von zwei Anschlussvereinbarungen die erste für den Zeitraum 2001 bis 2004 und der an-schließende Vertrag vom 9. Dezember 2003.

 

Das gemeinsame Engagement der neuen Länder und ihrer Kommunen sowie des Bundes mit seinen Unterstützungsleistungen hat sich insgesamt als wichtiger und wohl auch erfolgreicher Schritt auf dem Weg zur inneren Einheit Deutschlands erwiesen. Auf künstlerisch-kulturellem Gebiet ist in Deutschland zwischen West und Ost dank der bis heute anhaltenden Fördermaßnahmen des Bundes für alle Bundesländer weitgehend Gleichstand erreicht. Die Kulturlandschaften der neuen Länder mit ihrem dichten Netz von eindrucksvollen Kultureinrichtungen und -ereignissen präsentierten sich in neuem Glanz. Sie wurden wieder attraktiv für die Menschen aus Deutschland und aller Welt. Insoweit konnte man mit Fug und Recht von blühenden Kulturlandschaften sprechen. Bis im Frühjahr 2020 das Coronavirus hereinbrach und auch das kulturelle Geschehen in West und Ost in den Würgegriff nahm. Die Hoffnung bleibt, dass im Lauf der Zeit der beeindruckende Entwicklungsstand des kulturellen Lebens in Gesamtdeutschland wieder erreicht wird.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.

Gerhard Köhler
Gerhard Köhler ist Ministerialdirigent bei der BKM a. D.
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