Blühende Kulturlandschaften

Starthilfe für die Kultur nach dem Mauerfall

Das Vorgehen zur Wiedererlangung der Deutschen Einheit war von Beifall, aber auch von Kritik begleitet. Auch heute noch gehen in der geschichtlichen Deutung und Bewertung wie in der Beurteilung des in 30 Jahren Erreichten die Meinungen stark auseinander. Verglichen mit der Situation von Kunst und Kultur in der untergehenden DDR kann deren Zustand in den 30 Jahren nach der Wiedervereinigung nur als Glücksfall bezeichnet werden. Der Bund und die alten Bundesländer haben seinerzeit in gesamtstaatlicher Verantwortung den neuen Bundesländern mit immensen Haushaltsmitteln und hilfreicher Beratung zur Seite gestanden.

 

Das SED-Regime hatte Kunst und Kultur der Ideologie und dem Staatszweck der DDR untergeordnet. In Artikel 18 Absatz 1 und 2 der DDR-Verfassung im Wortlaut von 1974 – fast wortgleich mit der Verfassung von 1968 – heißt es dazu:

 

„(1) Die sozialistische Nationalkultur gehört zu den Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft. Die Deutsche Demokratische Republik fördert und schützt die sozialistische Kultur, die dem Frieden, dem Humanismus und der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft dient. Sie bekämpft die imperialistische Unkultur, die der psychologischen Kriegführung und der Herabwürdigung des Menschen dient. Die sozialistische Gesellschaft fördert das kulturvolle Leben der Werktätigen, pflegt alle humanistischen Werte des nationalen Kulturerbes und der Weltkultur und entwickelt die sozialistische Nationalkultur als Sache des ganzen Volkes.

 

(2) Die Förderung der Künste, der künstlerischen Interessen und Fähigkeiten aller Werktätigen und die Verbreitung künstlerischer Werke und Leistungen sind Obliegenheiten des Staates und aller gesellschaftlichen Kräfte. Das künstlerische Schaffen beruht auf einer engen Verbindung der Kulturschaffenden mit dem Leben des Volkes.“

 

Demzufolge stand das kulturelle Leben in der DDR unter intensiver staatlicher Kontrolle und Beeinflussung – auch übrigens die innerdeutschen Kulturbeziehungen. Nicht linientreue Kunstschaffende mussten mit einschneidenden Maßnahmen der Staatssicherheit rechnen. Abgesehen von einigen Prestigeobjekten geriet die kulturelle Infrastruktur zunehmend in Schwierigkeiten. Insbesondere die Bausubstanz kultureller Einrichtungen wurde vernachlässigt und nahm Schaden. Gleichwohl gab es trotz dieser schwierigen Bedingungen immer noch ein erstaunlich lebhaftes künstlerisch-kreatives Schaffen in den verschiedenen Kunstsparten.

 

Nach der Wende war eine Abkehr vom DDR-Zentralismus zwingend. Ein föderatives System musste neu aufgebaut werden. Vor allem ging es um die Überführung der Kultureinrichtungen und der Förderung der kulturellen Aktivitäten in die Verantwortung der neuen Bundesländer und der Kommunen.

 

Die neuen Länder wie auch die Städte und Gemeinden standen nach dem Verfall des SED-Regimes vor der hoch komplizierten, schwierigen Aufgabe, die kulturelle Substanz zu erhalten und zugleich zukunftsweisende Strukturveränderungen nach den Prinzipien einer freiheitlichen Bürgergesellschaft und eines demokratischen Rechtsstaates durchzuführen. Vor allem entstand ein enormer Finanzbedarf für die dringend erforderlichen Investitionen in der so reichhaltigen, aber sehr vernachlässigten Kulturlandschaft Mittel- und Ostdeutschlands. Der Bund und die alten Bundesländer haben ihre Gesamtverantwortung für alle staatlichen Aufgabenbereiche, einschließlich Kunst und Kultur anerkannt und wahrgenommen.

 

Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990, in Kraft seit dem 29. September 1990, bot dafür die Handlungsgrundlage. Für den Bereich Kunst und Kultur bestimmt Artikel 35 Einigungsvertrag unter anderem, dass die kulturelle Substanz in den neuen Bundesländern keinen Schaden nehmen darf (Absatz 2) und weiter, dass die Finanzierung gesichert werden muss, und zwar durch die neuen Länder und Kommunen (Absatz 3). Der Bund kann jedoch, so heißt es zudem, einzelne kulturelle Maßnahmen und Einrichtungen zum Ausgleich der Auswirkungen der Teilung Deutschlands übergangsweise oder auch – bei den ehemals zentral geführten Einrichtungen – auf Dauer mitfinanzieren (Absätze 4 und 7). Die zur Mitfinanzierung durch den Bund vorsichtig-zurückhaltenden Formulierungen des Artikels 35 stehen im Gegensatz zur tatsächlichen Förderpraxis. Der Bund hat sofort nach der Wiedererlangung der Einheit mit intensiven Fördermaßnahmen zur Übergangsfinanzierung geholfen. Zuständig innerhalb der Bundesregierung unter Helmut Kohl war seinerzeit bis 1998 das Bundesministerium des Innern mit seiner Kulturabteilung. Es hat zur Übergangsfinanzierung verschiedene Programme entwickelt. Der Deutsche Bundestag hat dafür dankenswerterweise die erforderlichen Haushaltsmittel bewilligt.

 

Mit dem „Substanzerhaltungsprogramm“ wurden in den Jahren 1991 bis 1993 mit Bundesmitteln in Höhe von rund 1,5 Milliarden D-Mark kulturelle Einrichtungen und Veranstaltungen von vorwiegend überregionaler Bedeutung gefördert. Sie wurden durch ein von der Bundesregierung berufenes Expertengremium ausgewählt. Zuwendungen erhielten Theater, Museen, Orchester, Bibliotheken und Gedenkstätten, die vormals unter dem SED-Regime zentral geführt wurden. Vorrangig mussten die laufenden Haushalte der personal- und kostenintensiven Theater, Orchester und Museen finanziert werden. Geholfen wurde den großen, bedeutsamen Einrichtungen wie den Luther-Gedenkstätten in Eisleben und Wittenberg, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, den Preußischen Schlössern und Gärten in Berlin und Potsdam, dem Schloss und Gartenreich Dessau-Wörlitz, den Stätten und Einrichtungen der Deutschen Klassik in Weimar und vielen anderen.

 

Zu den Bundesmitteln für das „Substanzerhaltungsprogramm“ hat das jeweilige Bundesland in jedem Fall mindestens die Hälfte der Kosten beigesteuert.

 

Zur Sanierung der kulturellen Infrastruktur in der Region außerhalb der kulturellen Schwerpunktbereiche der DDR beteiligte sich der Bund mit rund 720 Millionen D-Mark in den Jahren 1991 bis 1993 an der Finanzierung des „Infrastrukturprogramms Kultur“. Um die finanzielle Beteiligung der Kommunen zu sichern, begrenzte der Bund seine Zuwendungen auf maximal 49 Prozent der jeweiligen Kosten. Nach einem einvernehmlich mit den neuen Ländern vereinbarten Verteilungsschlüssel für den Anteil des jeweiligen Landes an dem jährlich im Bundeshaushalt bewilligten Gesamtansatz für das Programm kamen die Gelder Einrichtungen und Vorhaben der verschiedenen Kunstsparten sowie Bibliotheken, Museen, Archiven, Sammlungen und der Denkmalpflege zugute, aber auch der Jugend- und Erwachsenenbildung, der Soziokultur, der Heimatpflege und der Volkskunst.

 

Zur Übergangsfinanzierung gehörte als dritte Säule auch noch das „Denkmalschutzsonderprogramm“ mit rund 190 Millionen D-Mark aus dem Bundeshaushalt für die Jahre 1991 bis 1993. Mit einer 49-Prozent-Beteiligung des Bundes wurden rund 1.500 Maßnahmen gefördert. Sie betrafen zumeist die Sanierung wertvoller historischer Bauten, aber auch Maßnahmen zur Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet der Denkmalpflege und Restaurierung. Für die Belange des Denkmalschutzes hat sich auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unter Einsatz hoher Spendenmittel vorbildlich eingesetzt. Der Bund förderte dieses Engagement der Stiftung mit einer Anschubfinanzierung von 40 Millionen D-Mark.

 

Später, ab 1996, finanzierte das Bundesinnenministerium durch seine Kulturabteilung das „Sonderprogramm Dach und Fach“ mit jährlich sechs Millionen D-Mark – später Euro. Damit konnten kleinere Baudenkmäler im ländlichen Raum der neuen Bundes-länder wie auch im Ostteil Berlins durch eine Anteilsfinanzierung von einem Drittel erhalten werden. Ein sinnvoller Multiplikationseffekt wurde dadurch erreicht, dass das jeweilige Bundesland und die Kommune sich auch mit jeweils einem Drittel beteiligten. So konnten weit über 1.000 Baudenkmäler in den neuen Bundesländern, darunter viele für das Heimatbewusstsein bedeutsame Dorfkirchen, vor dem Verfall infolge jahrzehntelanger Vernachlässigung durch das SED-Regime bewahrt werden.

 

Gerhard Köhler
Gerhard Köhler ist Ministerialdirigent bei der BKM a. D.
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