Balanceakt in der Krise

Künstlersozialversicherung und Corona

Fall 2: Zusätzliche selbständige Tätigkeit

 

Hier endet die Versicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, wenn die Einkünfte aus dieser Tätigkeit die Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro übersteigen. Die betreffenden Personen müssen sich dann – wie andere Selbständige auch – freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung oder privat absichern. Folge sind deutlich höhere Versichertenbeiträge als bei einer (Pflicht-)Versicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz, bei der die Künstlersozialkasse den halben Beitragsteil übernimmt und eine niedrigere Mindestbemessungsgrundlage gilt. Für die gesetzliche Rentenversicherung gilt das Gleiche wie bei einer zusätzlichen abhängigen Beschäftigung. Bei einem Verdienst bis zur Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze bleibt der Versicherungsschutz in der Künstlersozialversicherung bestehen.

 

Kurz und knapp: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Künstlerinnen und Künstler in der Rentenversicherung weiterhin nach dem KSVG versicherungspflichtig bleiben, in der Kranken- und Pflegeversicherung vielleicht aber nicht. Kritisiert wird vor allem der Fall, wenn sie mit einer zusätzlichen selbständigen Tätigkeit oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro im Monat bzw. 5.400 Euro im Jahr verdienen.

 

Auch wenn eventuell die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterbrochen wird und eine anderweitige Form der Absicherung vorübergehend abgeschlossen werden muss, gefährdet dies nicht die grundsätzliche Zugehörigkeit zur Künstlersozialversicherung. Sobald die Voraussetzungen für die Unterbrechung wegfallen, sind Versicherte – bei einer entsprechenden Benachrichtigung der Künstlersozialkasse – ohne Weiteres wieder in den Versicherungsschutz nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz einbezogen.

 

Das Sortieren der Dinge hat eine kritische Stelle herausgearbeitet: eine zusätzliche selbständige Tätigkeit oberhalb der Geringfügigkeitsschwelle. Auch wenn es sich dabei nicht um ein Massenphänomen handelt, sondern wohl eher um Einzelfälle, verstehe ich die Forderung nach einer Aussetzung oder Anhebung der Verdienstgrenzen bei einer weiteren selbständigen Tätigkeit, zumindest für die Zeit der Pandemie. Doch könnte eine solche pandemiebedingte Sonderregelung auf Kunst- und Kulturschaffende beschränkt werden? Selbständige mit gleicher Tätigkeit würden alleine deswegen ungleich behandelt, weil im einen Fall ein Versicherungsverhältnis bei der Künstlersozialkasse besteht, im anderen Fall aber nicht, und das auch unabhängig davon, ob eine künstlerische Tätigkeit überhaupt in nennenswertem Umfang ausgeübt wird. Das wäre sozial- wie ordnungspolitisch fragwürdig und aus Gleichbehandlungsgründen problematisch.

 

Gäbe es Alternativen? Perspektivisch wäre für mich erwägenswert, die Absicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung im Gleichklang zu einer abhängigen Beschäftigung auszugestalten – und auch bei einer weiteren nichtkünstlerischen selbständigen Tätigkeit das Kriterium der Haupttätigkeit zu betrachten. Dann könnten Versicherte eine weitere selbständige nichtkünstlerische Tätigkeit ausüben, ohne dass der auf die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung bezogene Versicherungsschutz in der Künstlersozialversicherung entfiele. Dieser Ansatz ist aber nichts für einen Schnellschuss. Insbesondere ist zu klären, wer wie feststellt, was Haupt- und was Nebenberuf ist. Es wäre aber den Schweiß der Edlen wert, diesen Ansatz genauer zu prüfen und mit allen Beteiligten zu erörtern.

 

Ein weiterer Ansatzpunkt wäre – und das gilt für alle Selbständigen ganz gleich, welcher Tätigkeit sie nachgehen – die Mindestbemessungsgrundlage von derzeit 1.096,67 Euro in der Kranken- und Pflegeversicherung aufzuheben. Anders als abhängig Beschäftigte zahlen Selbständige einen monatlichen Mindestbeitrag von rund 200 Euro, sofern ihr monatliches Einkommen zwischen Geringfügigkeitsschwelle und Mindestbemessungsgrundlage liegt. Ich halte es für überlegenswert, zumindest befristet für die Pandemie. Dies wäre ein handfester Beitrag, Selbständigkeit in der Krise zu stabilisieren. Dagegen wird angeführt, dass die Einnahmen der Kranken- und Pflegekassen einbrechen könnten, wenn massenhaft aufgrund niedriger Einkommen nur noch relativ niedrige Beiträge für den umfassenden Schutz dieser beiden Risikoversicherungen aufgebracht würden. Sollte sich dies bewahrheiten, so könnte immer noch gegengesteuert werden, indem eine solche pandemiebedingte Sonderregelung dann nicht verlängert würde.

 

Ja, ich gebe zu, für ein simples Schwarz-Weiß-Schema taugt das Ganze nicht, dafür sind die Dinge zu kompliziert. Und wir sollten uns bei allem Wünschenswerten nicht verzetteln. Wenn wir die Künstlersozialversicherung als wichtiges soziales Netz für die Künstlerinnen und Künstler in unserem Land unbeschadet durch diese schwere Krise und deren Eruptionen brächten, wäre wirklich viel erreicht. Ich bin zuversichtlich, dass dies mit der Unterstützung des Gesetzgebers auch weiterhin gelingt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2021.

Rolf Schmachtenberg
Rolf Schmachtenberg ist Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
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