Balanceakt in der Krise

Künstlersozialversicherung und Corona

Die Zeiten sind schwer – keine Frage. Und in solchen Zeiten zeigt sich, ob wir Zusammenhalt organisieren können, ob unsere sozialen Sicherungsnetze funktionieren und wo mitunter Schwächen sind. Aber eins nach dem anderen.

 

Unbestritten, die Kultur- und Kreativszene leidet besonders stark unter der Pandemie. Kein Wunder, wenn das wichtigste Hilfsmittel gegen das Virus lautet: „Abstand halten!“. Die jüngsten Analysen von Prognos im Auftrag des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft sprechen im Jahr 2020 von Umsatzrückgängen von fast 20 Prozent in der Kulturwirtschaft insgesamt; in einzelnen Bereichen wie der Darstellenden Kunst gar von bis zu 85 Prozent. Für das Jahr 2021 sieht es nicht wesentlich besser aus. Und auch danach werden Kunst und Kultur vermutlich länger als andere Branchen brauchen, um die Folgen der Pandemie hinter sich zu lassen. Klar ist, dass dies durchschlägt auf die Einkommen von Kultur- und Kreativschaffenden; vor allem bei denjenigen, die als Selbständige arbeiten. Ebenso sinken die Umsätze und Honorarsummen der Branche, was wiederum zu massiven Rückgängen bei der Künstlersozialabgabe führt, die eine der Finanzierungssäulen der Künstlersozialversicherung ist.

 

Wegbrechende Einnahmen führen dazu, dass viele Kunst- und Kulturschaffende auch nach kurzfristigen Auswegen und Alternativen jenseits ihres künstlerischen Schaffens suchen. Sie empfinden dies häufig als Abwertung und mitunter auch als persönliche Kränkung. Wenn sich dann der Ausweg über eine neue Tätigkeit auf ihre Absicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) auswirkt, irritiert dies. Rufe nach gesetzlichen Änderungen finden Echo in der Szene und in den Medien. Tenor: Die Versicherung in der Künstlersozialversicherung müsse ausgebaut werden, sie dürfe nicht enden, wenn Künstlerinnen und Künstler in Zeiten der Pandemie mehr als nur geringfügige Nebeneinkünfte aus einer nicht-künstlerischen Tätigkeit erzielen. Die entsprechenden Zuverdienstgrenzen müssten erhöht werden.

 

Diese Forderungen sind Zeichen einer großen Unsicherheit, was überhaupt mit dem Versicherungsschutz in der Künstlersozialversicherung passiert, wenn Versicherte zusätzliche Einkünfte haben. Daher hier der Versuch, die Dinge einmal der Reihe nach zu sortieren:

 

Richtig ist erstens: Die Künstlersozialversicherung ist seit fast vier Jahrzehnten für Künstlerinnen und Künstler die solide Grundlage ihrer sozialen Sicherheit. Falsch ist, dass die Künstlersozialkasse wegen der Krise reihenweise den Versicherungsschutz beendet. Olaf Zimmermann hat es in der letzten Ausgabe dieser Zeitung dankenswerterweise prägnant auf den Punkt gebracht. Und zur Wahrheit gehört auch: Die KSV wäre damit überfordert, in allen Lebenslagen sämtliche Risiken der Kulturschaffenden aufzufangen und auszugleichen.

 

Staat und Politik haben zweitens mit immens viel Geld in der Krise gegengesteuert. Die Bundesregierung hat nach dem ersten Lockdown Hilfsprogramme für Betroffene und Unternehmen auf den Weg gebracht, die auch Soloselbständigen und insbesondere Kunst- und Kulturschaffenden helfen. Dazu zählen die verschiedenen Wirtschaftshilfen, die Maßnahmen zur persönlichen Existenzsicherung durch einen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung, der Kündigungsschutz für Mieter und Zahlungsaufschübe für Kleinstgewerbetreibende. Gerade der Bezug von Grundsicherung setzt aber anscheinend oft den Sprung über den eigenen Schatten voraus. Dabei sollte der Anspruch auf Hilfe im Bewusstsein jedes Einzelnen ein soziales Bürgerrecht sein. Auch die zusätzlichen Millionen aus dem Bundeshaushalt in 2021 zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes helfen in der Krise. Sie entlasten die abgabepflichtigen Unternehmen. Nicht zuletzt stellt die Aussetzung der jährlichen Mindesteinkommensgrenze nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz für die Jahre 2020 und 2021 sicher, dass kein Künstler oder Kulturschaffender wegen fehlenden Einkommens den Schutz in der Künstlersozialversicherung verliert.

 

Drittens: Wer bislang selbständig künstlerisch tätig und nach dem KSVG versichert ist und nun eine weitere, nichtkünstlerische Tätigkeit aufnimmt, kann – abhängig von den jeweiligen Umständen – weiter in der Künstlersozialversicherung versichert bleiben. Wichtig dabei ist vor allem die Höhe der Einkünfte. Für den Versicherungsschutz in der Rentenversicherung und in der Kranken- und Pflegeversicherung ergeben sich daraus allerdings gegebenenfalls unterschiedliche Auswirkungen:

 

Fall 1: Zusätzliche abhängige Beschäftigung

 

Hier ist relativ klar: Eine zusätzliche geringfügige Beschäftigung (Einkommen bis 450 Euro/Monat, 5.400 Euro/Jahr) bleibt für die Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung unbeachtlich. Bei darüber hinausgehenden Einkünften richtet sich die Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung nach der Haupttätigkeit. Dabei kommt es insbesondere auf einen Vergleich hinsichtlich Zeitaufwand und wirtschaftlichem Ertrag an. In der gesetzlichen Rentenversicherung kann demgegenüber bis zur Hälfte der sogenannten Beitragsbemessungsgrenze von 42.600 bzw. 40.200 Euro Jahreseinkommen verdient werden, ohne den Versicherungsschutz in der Künstlersozialversicherung zu verlieren.

Rolf Schmachtenberg
Rolf Schmachtenberg ist Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
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