Space Invaders und Cyberpunks

Science-Fiction im Videospiel

Der Unterschied zwischen den spielerischen Herausforderungen der Arcade-Games und der Handlung filmischer Vorbilder lässt sich prägnant am Spiel zum Kultfilm „Tron“ von 1982 nachvollziehen. Während auf der Leinwand die Heldinnen und Helden nach einer spektakulären Sequenz der Light-Cycle-Rennbahn entkommen, drehen die Spielenden des gleichnamigen Arcade-Spiels immer weitere Kreise mit ihren futuristischen Motorrädern.

 

Erst mit der Speicherfunktion der für den Heimgebrauch gedachten Computer bekommen die Spieledesignerinnen und -designer zunehmend die Möglichkeit, ganze Handlungsbögen auszugestalten. Das Science-Fiction-Setting beschränkt sich seit den späten 1980er Jahren nicht mehr auf eine überwiegend dekorative Funktion, wie es noch bei den meisten Arcade-Spielautomaten der Fall war. Adventure-Spiele wie „Planetfall“ und die Reihe „Space Quest“ entwerfen ambitionierte Storylines mit einprägsamen Charakteren. Die Schriftsteller Douglas Adams und Ray Bradbury beteiligten sich in den 1980er Jahren an Game-Adaptionen ihrer bekannten Romane „Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ und „Fahrenheit 451“. Die seit den 1990er Jahren kontinuierlich verbesserte Integration grafischer und audiovisueller Elemente ermöglicht 1995 mit „The Dig“ die Adaption eines noch nicht verfilmten Drehbuchs von Steven Spielberg. 1998 entsteht, 20 Jahre vor dem filmischen Sequel, eine eigenständige Fortsetzung des Films „Blade Runner“ (1982). Ob sich am Ende die Hauptfigur wie im dystopischen Klassiker von Ridley Scott selbst als künstlicher Replikant oder als Mensch erweist, hängt von den Entscheidungen ab, die die Spielenden im Verlauf der Handlung treffen.

 

Einfallsreiche Genrevarianten wie der Kampf gegen eine außer Kontrolle geratene K.I. in „System Shock“ (1994), die biomechanische Manipulation des eigenen Körpers in der „Deus Ex“-Reihe (seit 2000) oder die an Filmklassiker wie „Metropolis“ (1927) anknüpfenden Stadtvisionen in „Beneath a Steel Sky“ (1994) verleihen den Science-Fiction-Spielen eine zunehmende Eigenständigkeit.

 

Die einprägsamsten Videospiele nutzen pointiert die medienspezifischen Möglichkeiten, um bekannten Motiven in der Spielerfahrung eine neue Qualität abzugewinnen. Die „Portal“-Reihe (seit 2007) setzt mit dem hochgradig neurotischen Computersystem GlaDOS die Tradition von HAL aus „2001 – A Space Odyssey“ (1968) fort. Die Anweisungen der launischen K.I. wirken sich fatal auf den Spielverlauf aus, wenn die Spielenden diesen blind folgen. Es gehört zu den Besonderheiten des Spiels, dass die als Avatar gesteuerte Heldin gegen die Befehle der K.I. und dadurch auch gegen das vom Spiel vorgegebene Gameplay verstoßen muss, wenn sie überleben will. Ähnliche Elemente eines unzuverlässigen Spielverlaufs finden sich auch in „Bioshock“ (2007). Die Geschichte der als utopisches Experiment gescheiterten Unterwasserstadt Rapture setzt sich mit der problematischen Philosophie der Autorin Ayn Rand auseinander. Die Reflexion ihrer rechtslastigen Ideologie wird sowohl auf der Ebene der Handlung als auch in der Umsetzung der Spielsteuerung realisiert. Ebenso wie die komplexen Rollenspielwelten der „Mass Effect“-Reihe, in der Spielende selbst über Geschlecht und sexuelle Orientierung des Avatars entscheiden können, verdeutlichen diese Spiele, dass sie den transmedialen Science-Fiction-Diskurs nicht einfach nur adaptieren. Vielmehr gestalten sie ihn als eigenständige und kreative Beiträge zum Genre aktiv unter der Beteiligung der Spielenden mit.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.

Andreas Rauscher
Andreas Rauscher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Medienkulturwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Buchveröffentlichungen unter anderem zu Star Wars, Simpsons, Comics & Games, David Lynch, John Carpenter, Game Studies, Comicanalyse und zur tschechisch-slowakischen Neuen Welle der 1960er Jahre.
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