Space Invaders und Cyberpunks

Science-Fiction im Videospiel

Seit den Anfangstagen der Videospiele zählt das Science-Fiction-Genre zu deren ausdauerndsten Inspirationsquellen. Bereits in dem 1962 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston entstandenen „Spacewar!“, einem der ersten Videospiele überhaupt, duellieren sich die beiden Spielenden mit Raumschiffen. Literarische Weltraumabenteuer beeinflussten maßgeblich das Szenario. In den späten 1970er Jahren eroberten Titel wie „Space Invaders“ (1978) und „Asteroids“ (1979) die Spielhallen. Heute bilden Science-Fiction-Spiele wie die Endzeit-Rollenspiele „Borderlands“ (seit 2009) und „Fallout“ (seit 1997) und die postapokalyptische K.I.-Parabel „Horizon Zero Dawn“ (2017) einen festen Bestandteil der Spielkultur. Einige Subgenres scheinen mit Titeln wie „Cyberpunk 2077“ (2020) im Bereich der Games inzwischen sogar präsenter als in ihren filmischen Varianten zu sein.

 

An den Austauschbeziehungen zwischen Science-Fiction und Videospielen lassen sich soziokulturelle Akzentverschiebungen in der Relevanz einzelner Motive nachvollziehen. Das nukleare Wettrüsten der 1980er Jahre findet in dem beklemmenden Arcade-Spiel „Missile Command“ (1980) Ausdruck, das auf kurz oder lang zwangsläufig mit der atomaren Apokalypse endet. Die symbolische Bedeutung der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wird in dem 2007 erschienenen Rollenspiel „STALKER – In the Shadow of Chernobyl“ thematisiert. Die filmische Vorlage Andrei Tarkowskis und die literarischen Einflüsse der Brüder Strugatzki erweitern das Spiel um den detailliert nachgestalteten, ikonischen Schauplatz der Sperrzone um den geschmolzenen Reaktor. Dass die Spielwelt des Online-Multiplayer-Spiels „EVE Online“ von einem Ökonomen, der eigens vom Entwickler CCP Games eingestellt worden ist, betreut wird, verdeutlicht die Eigendynamik virtueller Wirtschaftssysteme, die sich unmittelbar mit den gegenwärtigen Debatten um Kryptowährungen ergänzt.

 

Aus dem Themen-Repertoire der Science-Fiction bekannte Bilder und audiovisuelle Arrangements schreiben sich in den spielerischen Fiktionen und Simulationen der Spiele fort. Die Spielautomaten der 1970er und 1980er Jahre greifen häufig auf vertraute Standardsituationen wie die Konfrontation mit angreifenden Raumschiffen zurück. Der reduzierte Hintergrund des Weltalls erweist sich in Spielen wie „Defender“ (1981) als pragmatische Lösung, um die technischen Beschränkungen der Grafik zu überspielen.

 

Mit besseren grafischen Möglichkeiten ergibt sich im Lauf der 1990er Jahre eine verstärkte Annäherung an die filmische Mise-en-Scène. Die Reihe „Wing Commander“ (seit 1990) verknüpft die strategischen Flugmissionen des Spiels mit aufwendigen, von einer CD-ROM eingespielten Filmsequenzen, in der bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler wie Mark Hamill und Malcolm McDowell auftreten. Mit den gegenwärtigen Möglichkeiten der Game-Engines ergänzen sich Echtzeit-Animation und Spielhandlung schließlich zu neuen hybriden Formen.

 

Im Bereich des Cyberpunk wie den Spielen der „Watch Dogs“-Reihe (2014-2020) ergänzen sich die Hackerangriffe der Spielhandlung unmittelbar mit den Funktionsweisen der realen Hardware.

 

Im Unterschied zur Science-Fiction in Literatur und Film beschränkt sich die aktive Beteiligung der Rezipientinnen und Rezipienten im Spiel nicht nur auf die kognitive Ebene der Beobachtung oder die emotionale Anteilnahme am Geschehen. Die Spielenden können die Handlung selbst beeinflussen. Die Vorstellung, in die Welt einer Fiktion einzutreten, bildet einen festen Topos der Kunst- und Kulturgeschichte. In Form des Holodecks aus der Serie „Star Trek – The Next Generation“ (1987-1994) entwickelte sich diese Idee selbst zu einer Denkfigur der Medientheorie, der die Kulturwissenschaftlerin Janet Murray 1997 eine Studie mit dem programmatischen Titel „Hamlet on the Holodeck“ gewidmet hat.

 

Die Zukunftsvisionen der Science-Fiction eignen sich gleich in mehrfacher Hinsicht besonders gut für spielerische Interaktionen. Videospiele können unterschiedlichste Sinne ansprechen, vom unmittelbaren Reaktionsvermögen über die Adressierung verschiedener Affekte bis hin zur fantasievollen Ausgestaltung der eigenen Rollenfigur. Die Arcade-Automatenspiele der 1970er und 1980er Jahre ergänzen sich effektvoll mit dem nicht narrativen Kino der Attraktionen, das in den Filmen von Steven Spielberg und George Lucas mit opulenten Schauwerten und aufwendigen Actionszenen aufwartet. Bezeichnenderweise erschien 1982 das erste „Star Wars“-Arcade-Spiel auch in einer Variante, in der die Schlacht gegen den imperialen Todesstern im Nachbau eines X-Wing-Fighter-Cockpits absolviert werden konnte.

Andreas Rauscher
Andreas Rauscher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Medienkulturwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Buchveröffentlichungen unter anderem zu Star Wars, Simpsons, Comics & Games, David Lynch, John Carpenter, Game Studies, Comicanalyse und zur tschechisch-slowakischen Neuen Welle der 1960er Jahre.
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