Projizierte Zukunft

Der Science-Fiction-Film

Science-Fiction ist unsere gemeinsame Vorstellung von Zukunft, in der sich, im besten Fall, Fantasie, wissenschaftliche Logik und soziales Bewusstsein miteinander verbinden. Welche Zukunft wird es sein? Was dürfen wir hoffen? Was müssen wir fürchten? Science-Fiction-Filme sind eine Form der Antwort auf diese Fragen. Manchmal. Manchmal sind es aber auch höchst aktuelle Albträume. Und manchmal auch nur Quatsch. Susan Sontag hat in Science-Fiction-Filmen vor allem eine „Katastrophenfantasie“ am Werk gesehen. Was es selten gibt, das sind durchweg positive oder optimistische Zukunftserfindungen. Es ist oft eher eine Flucht aus der Zukunft, mehr Angst als Hoffnung, mehr Zerstörung als Utopie. Der allererste Science-Fiction-Film, „Le Voyage dans la Lune“ von Georges Méliès aus dem Jahr 1902, führt zuerst einmal zu einer für alle Seiten ausgesprochen schmerzhaften Begegnung. Für den Mondmann geht der technische Fortschritt der Erdenmenschen buchstäblich ins Auge. Und was dann folgt, ist auch nicht viel erfreulicher.

 

Science-Fiction ist eine technisch-soziologische Begründung für fantastische Ereignisse, die im Gegensatz zu Horror (dämonisch-sadistische Impulse) und Fantasy (Magie und Mythos) als Basis ein „Things to Come“ hat, also eine Hochrechnung gegenwärtiger Technologie plus einiger Quantensprünge wie Lichtgeschwindigkeit, Zeitreise, „Beamen“ etc. So kann man Science-Fiction unter einem Aspekt als fiktive Futurologie ansehen. Ein Vergnügen bieten dann tatsächlich eingetroffene Voraussagen – der Countdown in Fritz Langs „Die Frau im Mond“, der 3D-Drucker als bescheidene Realisierung des „Beamens“ in „Star Trek“ – oder sehr naive Bilder wie ein Mond, auf dem die Menschen atmen können, ein Planet, auf dem die Bewohner irdische TV-Serien nachspielen – um die beiden Beispiele wieder aufzugreifen, und schließlich Anachronismen wie z. B. die Computer und Schalttechniken vieler Science-Fiction-Filme, in denen es längst interstellare Raumfahrt gibt, wirken heute vorsintflutlich, um von den legendären Bügeleisen-Schaltern im Raumschiff Orion zu schweigen. Der Science-Fiction-Film ist immer eine Herausforderung für die Kunst des „Make-Believe“. Daher hängt er lange Zeit der literarischen Entwicklung des Genres hinterher, denn was sich ein Autor oder eine Autorin ausdenkt, muss ja erst einmal als Bild verwirklicht werden können. Andererseits gibt es aber auch den „sense of wonder“, die Bereitschaft, sich faszinieren und in eine Wunderwelt entführen zu lassen, die den wahren Science-Fiction-Fan gnädig stimmt gegenüber technischen oder ästhetischen Unzulänglichkeiten. Darin steckt weniger das Futurologische und Wissenschaftliche als das Fantastische: Wir stellen uns nicht nur die tollsten Geräte und Architekturen, sondern auch die seltsamsten parallelen Kulturen und Lebensweisen vor.

 

In der Frühzeit des Genres wandte man sich mit Serials wie „Buck Rogers“ oder „Flash Gordon“ vorwiegend an ein kindliches Publikum. Dabei zeigte Fritz Lang schon 1927 mit „Metropolis“, was sowohl ästhetisch als auch inhaltlich im Genre steckt; die gewaltige Produktion allerdings war zu seiner Zeit gar kein Publikumserfolg. Auch in der Sowjetunion entstand 1924 mit „Aelita – Der Flug zum Mars“ von Jakow Protasanow eine Zukunftsvision, die die Entwicklung des Genres wie der Filmtechnik auf dem neuesten Stand präsentierte. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Genre erst einmal mehr zu einer Abteilung des eher sensationellen Unterhaltungskinos mit eher indirekten Beziehungen zur Politik. Viele Filme aus den 1950er und 1960er Jahren wie „Krieg der Welten“ oder „Invasion der Körperfresser“ waren als direkte Widerspiegelung der amerikanischen Invasions- und Unterwanderungsängste zu verstehen, während die japanische Serie um das Monster Godzilla seit 1954 wie eine Gestalt gewordene Erinnerung an das Trauma der Atombomben-Abwürfe wirkte. 1968 entstand der Film, der dem Genre eine ganz andere, erwachsene Richtung gab, Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“. Seitdem erscheint das Genre dreigeteilt: Zum einen eine kindlich-märchenhafte Form, die mit „Star Wars“ ihre Apotheose fand, zum anderen „erwachsene“ Science-Fiction, die wie Nicolas Roegs „The Man Who Fell To Earth“ mit David Bowie in der Rolle des gestrandeten Alien oder der wissenschaftliche Thriller „Andromeda“ eine cineastische Entsprechung von anspruchsvoller spekulativer Literatur bot. Doch der Mainstream des Genres konzentrierte sich weiter auf die von Susan Sontag diagnostizierte Katastrophenfantasie: Aggressive Invasoren aus dem All, Viren-Epidemien, die die Menschheit ausrotten bis auf den „Last Man On Earth“, verrückte Wissenschaftler, die nie etwas anderes als die Weltherrschaft erstreben, Roboter, die den von Isaac Asimov entwickelten „Gesetzen der Robotik“ partout nicht gehorchen wollen, Raumschlachten zwischen intergalaktischen Heerscharen, drohende Umweltkatastrophen oder einfach Weltuntergang. Steven Spielberg setzte mit zwei Filmen eine friedvollere Vision dagegen: „Unheimliche Begegnung der Dritten Art“ (1977) und natürlich „E.T.“ (1982), der liebenswerteste Alien von allen.

Georg Seeßlen
Georg Seeßlen ist freier Journalist und Autor.
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