Thüringen: Ein Kuhschwanzfest und 173 Schlösser im demografischen Echo

Zur Kultur und Kulturpolitik in Thüringen

Viele dieser Probleme hatte bereits die letzte Landesregierung erkannt und eine Neukonzeptionierung der Landeskulturpolitik eingeleitet. Nach der Erarbeitung eines „Kulturellen Leitbildes“ im Jahr 2010, wurde zwei Jahre später ein „Kulturkonzept des Freistaates Thüringen“ vorgelegt. In dessen Folge begann auch ein Modellprojekt zur exemplarischen Überwindung der Kirchturmspolitik im ländlichen Raum: In den soziodemografisch sehr verschiedenen Doppelkreisen – Nordhausen/Kyffhäuser Kreis in Nordthüringen und Hildburghausen/Sonneberg direkt an der Südgrenze zu Bayern – wurden Regionale Kulturkonzepte erarbeitet. Der Potsdamer Kulturberater Patrick Föhl und der Leiter des Bonner Instituts für Kulturpolitik, Norbert Sievers, begleiteten diese Verfahren zur kulturellen Bestandsaufnahme, Netzwerkanalyse und der Erarbeitung von Handlungsempfehlungen. Das Land stellte für den mehrjährigen Prozess eine halbe Million Euro bereit.

 

Dessen tragenden Säulen seien „Kommunikation, Koordination und Kooperation“, sagte Föhl bei einer Präsentation des Projektes in Berlin. Wie so oft hätten auch hier viele Akteure in ein und derselben Region sich bisher nicht persönlich gekannt, mitunter noch nicht einmal voneinander gehört. So ergab die Bestandsaufnahme in den beiden südthüringischen Modellkreisen Hildburghausen und Sonneberg sage und schreibe 645 Kulturvereine – bei gerade mal 122.000 Einwohnern. Da hätten nicht nur die erfahrenen Kulturplaner Sievers und Föhl gestaunt, sagte letzterer: „Dieser Reichtum war vor allem den Verantwortlichen vor Ort gar nicht bewusst.“ Vor allem für die sehr vielen sehr ähnlichen Institutionen in den kleinen Gemeinden und Städten liegt hier viel Synergie-Potential, zum Beispiel in der Verwaltung oder auch durch gemeinsame Vermarktung beim Kulturtourismus. In der Erfurter Landesregierung ist man hochzufrieden mit den bisherigen Ergebnissen des Verfahrens. Es sollen Mittel in seine Verstetigung fließen, kündigte Kulturabteilungsleiterin Elke Harjes-Ecker an, auch wolle man die strukturellen Erkenntnisse anderen Körperschaften zugänglich machen und wo möglich zur Nachahmung empfehlen.

 

Die neue rot-rot-grüne Landesregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow hat sich in ihrem Koalitionsvertrag explizit zum Erhalt und sogar Ausbau der Kulturlandschaft sowie der bisherigen Kulturausgaben bekannt. Der neue Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff ist zwar nicht mehr wie Amtsvorgänger Christoph Matschie mit dem zusätzlichen Pfund des stellvertretenden Ministerpräsidenten ausgestattet, dafür aber ein ausgewiesener Kulturmensch. Hinter vorgehaltener Hand hört man aus vielen Mündern: „Mit dem tut sich was, auch atmosphärisch!“ Gerade in diesem Punkt hatte Matschie nicht immer glücklich agiert, doch gerade Landespolitik erfordert den sorgsamen Umgang mit regionalen Befindlichkeiten. Das gilt im kulturell vielfältigen Thüringen vielleicht noch ein bisschen mehr als andernorts.

 

Zu den Profiteuren der Regionalen Kulturkonzeption in Hildburghausen/Sonneberg zählt sich auch Eisfelds Bürgermeister Sven Gregor. Vielleicht wäre ein Zweckverband der kleinen Museen im Kreis eine Möglichkeit, die bescheidenen Mittel der einzelnen Häuser in gemeinsamer Administration oder Vermarktung zu bündeln. Letzteres hat das Eisfelder „Kuhschwanzfest“ nicht mehr nötig, die Party stößt bereits an ihre räumlichen und personellen Grenzen. Woher der tierische Name der Pfingstsause stammt, ist übrigens bis heute nicht abschließend geklärt. Er könnte von einem Vieh-Umzug der traditionsreichen „Asfaller Hammelsäck“ herrühren, den man in der nahe gelegenen Residenzstadt Hildburghausen dereinst als „Kuhschwanzfest“ verächtlich zu machen suchte. Da hätte sogar die früher herrschende Missgunst innerhalb der heutigen Kulturkonzept-Modellregion noch was Gutes gehabt. In Thüringen lauert das historische Erbe eben einfach überall.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 05/2015 erschienen.

Peter Grabowski
Peter Grabowski ist kulturpolitischer Reporter.
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