Nordrhein-Westfalen: Der lange Arm des Gesetzes!?

Was sind die Aufgaben und Besonderheiten der Kulturpolitik in Nordrhein-Westfalen?

Die zweite Herausforderung der NRW-Kulturpolitik ist vielleicht gar nicht mal größer, aber komplizierter: Mehr als 170 der fast 400 Kommunen des Landes befinden sich zurzeit in der Haushaltssicherung. Für die kulturelle Landschaft Nordrhein-Westfalens liegt darin eine enorme Gefahr: Während zum Beispiel die insgesamt wohlhabenderen Kommunen in Baden-Württemberg „nur“ rund 60 Prozent der öffentlichen Kulturförderung aus ihren Etats stemmen, tragen die von Strukturwandel und Arbeitslosigkeit finanziell gebeutelten Städte in den Ballungsräumen an Rhein und Ruhr nahezu 80 Prozent. Dieser »Kommunalisierungsgrad« ist bundesweit einsame Spitze. Entsprechend wird auch die Landeskulturministerin Ute Schäfer (SPD) nicht müde zu sagen: „Es gibt keine Krise der kommunalen Kultur in NRW – es gibt eine Krise der kommunalen Finanzen“.

 

An diesem Punkt muss darauf verwiesen werden, dass sich die soeben hart kritisierte Hannelore Kraft wie vielleicht kein Regierungschef zuvor um die Konsolidierung der Gemeindehaushalte bemüht und bereits verdient gemacht hat. Ihre Kulturministerin wollte in dieser Frage auf andere Weise ein Zeichen setzen, und zwar im neuen Kulturfördergesetz: Auf Initiative der rot-grünen Kulturpolitiker im Landtag wurden zwei Varianten geprüft, um den Städten für ihre Haushalte eine Art Kulturfreibetrag einzurichten. In Rede standen maximal drei Prozent des Gesamtetats, die selbst dann für Kultur hätten ausgegeben werden dürfen, wenn die Kommune nur noch einen sogenannten Nothaushalt hat und buchstäblich jeden Euro für eine freiwillige Leistung von ihrer Aufsichtsbehörde genehmigen lassen muss – aber oft nicht bekommt, weil noch nicht mal die Pflichtausgaben gesichert sind.

 

Doch die gut gemeinte Freibetragsidee scheiterte; vermeintlich an den juristischen Bedenken eines renommierten Gutachters, tatsächlich aber –und hier schließt sich nun der nordrhein-westfälische Kultur-Teufelskreis wieder – am mangelnden Willen von Hannelore Kraft. Für die Beseitigung der verfassungsrechtlichen Hürden wäre nämlich nur eine eher minimale Änderung der Gemeindeordnung nötig gewesen. Allen Anläufen dazu begegneten Innen- wie Justizministerium des Landes jedoch mit einer offensichtlichen Verschleppungstaktik, der die Regierungschefin tatenlos zusah. Um schließlich das Kulturfördergesetz als Ganzes nicht auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben zu müssen, begruben die Kulturpolitiker der Regierungskoalitionen das zentrale Anliegen einer gesetzlichen Grundsicherung kommunaler Kulturausgaben wieder. Das Gesetz könnte sich – obwohl in jeder Hinsicht ohne finanzielle Unterfütterung – trotzdem noch als substanzieller Gewinn für die kulturelle Landschaft erweisen: Es definiert die Aufgaben von Land und Kommunen in der NRW-Kulturförderung, präzisiert deren Verteilung auf die beiden staatlichen Ebenen und soll zu mancher Verbesserung und Vereinfachung in den Verwaltungsabläufen führen. Vor allem aber verlangt es – bundesweit erstmals – von jeder Landesregierung zu Beginn ihrer Amtszeit einen Kulturförderplan, der für jeweils fünf Jahre Ziele, Inhalte und Schwerpunkte der Landesförderung festschreibt. Zur Erhöhung des Drucks muss seine Umsetzung zwingend evaluiert werden. Das wird aber nicht nur Transparenz und Verlässlichkeit bei der Mittelvergabe erhöhen, sondern von der jeweiligen Landesregierung auch ein kulturpolitisches Gesamtkonzept erfordern. Große Ziele, die für enorme Fortschritte auf allen Förderebenen sorgen könnten. Eins lässt sich allerdings selbst mit dem besten Gesetz nicht erzwingen: Eine kunstsinnige oder wenigstens doch kulturaffine Regierungschefin.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 04/2015 erschienen.

Peter Grabowski
Peter Grabowski ist kulturpolitischer Reporter.
Nächster ArtikelBaden-Württemberg: Kulturelle Teilhabe und Bildung sichern