Nordrhein-Westfalen: Der lange Arm des Gesetzes!?

Was sind die Aufgaben und Besonderheiten der Kulturpolitik in Nordrhein-Westfalen?

Nordrhein-Westfalen

  • Landeshauptstadt: Düsseldorf
  • Gründung: 23. August 1946
  • Einwohner: 17,6 Mio.
  • Fläche: 34.110,26 km²
  • Bevölkerungsdichte: 516 Einwohner pro km²
  • Regierungschefin: Hannelore Kraft, MdL (SPD)
  • Regierende Parteien: SPD und Bündnis 90/Die Grünen
  • Nächste Wahl: Frühjahr 2017
  • Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ute Schäfer, MdL (SPD)
  • Öffentliche Ausgaben für Kultur:  1.460,0 Mio. Euro/Jahr
  • Kulturausgaben je Einwohner: 81,61 Euro/Jahr
  • Kommunalisierungsgrad: 76,3%

Nordrhein-Westfalen ist ein kulturpolitisches Paradoxon: Ausgerechnet das größte aller deutschen Bundesländer hat den kleinsten direkten Einfluss auf sein kulturelles Leben. Das ist nämlich vor allem Sache der Kommunen, Kreise und deren gemeinsamer Körperschaften: Fast 80 Prozent aller öffentlichen Kulturausgaben stammen aus deren Etats. Gleichzeitig hat NRW seit Jahresbeginn als einziges Bundesland ein eigenes Kulturfördergesetz. Das größte Problem der Kultur zwischen Lippe und Maas wird es aber nicht lösen können.

 

September 2014: An einem lauen Düsseldorfer Spätsommerabend hatte sich im tanzhaus nrw eine erlesene Schar geladener Gäste versammelt, um das 25-jährige Bestehen der Kunststiftung NRW zu feiern. Die Festrede kam von Hannelore Kraft (SPD), seit 2010 Ministerpräsidentin des größten deutschen Bundeslandes. Unter ihren Vorgängern gab es manch prominenten Politiker, aber keiner hat das Amt so geprägt wie der spätere Bundespräsident Johannes Rau: Er war fast 20 Jahre Regierungschef in Düsseldorf und hat überall im Land Spuren hinterlassen; nicht alle sind positiv, so wie sich nicht alle nur im Guten an Rau erinnern. Dennoch überwiegt die Nostalgie, vor allem in der Bevölkerung, aber auch bei seiner Nachfolgerin. In Krafts Rede an diesem Abend gipfelte das in dem wohl unvermeidlichen Satz Johannes Raus zur Kultur: „Sie ist nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern die Hefe im Teig“.

 

Dieser Spruch ist mittlerweile zwar ganz schön abgegriffen, aber er zeigt auch eins von Raus ganz großen Talenten: Für eine Sache, die ihm am Herzen lag, sprachlich eingängige Bilder zu finden. Und die Kultur lag dem Predigersohn aus Wuppertal am Herzen: Er hatte Buchhändler gelernt, war nebenbei freier Journalist, wurde später Verlagsdirektor. Ohne ihn hätte sich die Tanz-Legende Pina Bausch nie an der Wupper etabliert, wäre Joseph Beuys Werk heute nicht auf Schloß Moyland, hätte es kein NRW-Denkmalschutzgesetz gegeben, das bundesweit zum Vorbild wurde. Und nicht zuletzt hat er auch jene Kunststiftung auf den Weg gebracht, die zurzeit jedes Jahr mit rund acht Millionen Euro aus Lottogeldern kleine wie große, stets innovative Dinge fördert. Den Vorsitz des Kuratoriums bekleidet übrigens qua Amt die Regierungschefin.

 

Als die in ihrer insgesamt eher uninspirierten Laudatio dann zum Wesen der Stiftungsarbeit gelangte, bekamen die Anwesenden eine dunkle Ahnung von den wahren Herausforderungen der NRW-Kulturpolitik: Kraft erwähnte eine gute Handvoll Künstlerinnen, Künstler und Projekte, die exemplarisch für die herausragende Fördertätigkeit zu nennen seien und sprach dabei fast alle Namen falsch aus. Als sie dann noch den „Nam Jun Paik-Award“ – immerhin einer der bedeutendsten Kunstpreise des Landes – nicht unfallfrei durchs Mikrofon brachte, machte sich im Saal regelrecht Entsetzen breit. Zwar hinkte der alte Sahne-Hefe-Vergleich Johannes Raus bei Licht betrachtet immer ein bisschen, doch er war das sehr echte Bekenntnis eines Ministerpräsidenten zu Kunst und Kultur in seinem Land. Das lag bei Rau an der Wahrhaftigkeit und Authentizität im Moment des Sprechens. Seine Nachfolgerin scheiterte an diesem Abend im tanzhaus nrw genau an diesem authentischen Bekenntnis. In den Monaten danach verschärfte sich dieser Eindruck während der Debatten um den Warhol-Verkauf des landeseigenen Casinobetreibers Westspiel und die Kunstsammlung der früheren Landesbank WestLB dann noch. Eine Frau als Amt gewordene Frage: Ist das Kunst oder kann das weg?

Peter Grabowski
Peter Grabowski ist kulturpolitischer Reporter.
Nächster ArtikelBaden-Württemberg: Kulturelle Teilhabe und Bildung sichern