Peter Grabowski - 27. Juni 2015 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Landeskulturpolitik

Nordrhein-Westfalen: Der lange Arm des Gesetzes!?


Was sind die Aufgaben und Besonderheiten der Kulturpolitik in Nordrhein-Westfalen?

Nordrhein-Westfalen

  • Landeshauptstadt: Düsseldorf
  • Gründung: 23. August 1946
  • Einwohner: 17,6 Mio.
  • Fläche: 34.110,26 km²
  • Bevölkerungsdichte: 516 Einwohner pro km²
  • Regierungschefin: Hannelore Kraft, MdL (SPD)
  • Regierende Parteien: SPD und Bündnis 90/Die Grünen
  • Nächste Wahl: Frühjahr 2017
  • Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: Ute Schäfer, MdL (SPD)
  • Öffentliche Ausgaben für Kultur:  1.460,0 Mio. Euro/Jahr
  • Kulturausgaben je Einwohner: 81,61 Euro/Jahr
  • Kommunalisierungsgrad: 76,3%

Nordrhein-Westfalen ist ein kulturpolitisches Paradoxon: Ausgerechnet das größte aller deutschen Bundesländer hat den kleinsten direkten Einfluss auf sein kulturelles Leben. Das ist nämlich vor allem Sache der Kommunen, Kreise und deren gemeinsamer Körperschaften: Fast 80 Prozent aller öffentlichen Kulturausgaben stammen aus deren Etats. Gleichzeitig hat NRW seit Jahresbeginn als einziges Bundesland ein eigenes Kulturfördergesetz. Das größte Problem der Kultur zwischen Lippe und Maas wird es aber nicht lösen können.

 

September 2014: An einem lauen Düsseldorfer Spätsommerabend hatte sich im tanzhaus nrw eine erlesene Schar geladener Gäste versammelt, um das 25-jährige Bestehen der Kunststiftung NRW zu feiern. Die Festrede kam von Hannelore Kraft (SPD), seit 2010 Ministerpräsidentin des größten deutschen Bundeslandes. Unter ihren Vorgängern gab es manch prominenten Politiker, aber keiner hat das Amt so geprägt wie der spätere Bundespräsident Johannes Rau: Er war fast 20 Jahre Regierungschef in Düsseldorf und hat überall im Land Spuren hinterlassen; nicht alle sind positiv, so wie sich nicht alle nur im Guten an Rau erinnern. Dennoch überwiegt die Nostalgie, vor allem in der Bevölkerung, aber auch bei seiner Nachfolgerin. In Krafts Rede an diesem Abend gipfelte das in dem wohl unvermeidlichen Satz Johannes Raus zur Kultur: „Sie ist nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern die Hefe im Teig“.

 

Dieser Spruch ist mittlerweile zwar ganz schön abgegriffen, aber er zeigt auch eins von Raus ganz großen Talenten: Für eine Sache, die ihm am Herzen lag, sprachlich eingängige Bilder zu finden. Und die Kultur lag dem Predigersohn aus Wuppertal am Herzen: Er hatte Buchhändler gelernt, war nebenbei freier Journalist, wurde später Verlagsdirektor. Ohne ihn hätte sich die Tanz-Legende Pina Bausch nie an der Wupper etabliert, wäre Joseph Beuys Werk heute nicht auf Schloß Moyland, hätte es kein NRW-Denkmalschutzgesetz gegeben, das bundesweit zum Vorbild wurde. Und nicht zuletzt hat er auch jene Kunststiftung auf den Weg gebracht, die zurzeit jedes Jahr mit rund acht Millionen Euro aus Lottogeldern kleine wie große, stets innovative Dinge fördert. Den Vorsitz des Kuratoriums bekleidet übrigens qua Amt die Regierungschefin.

 

Als die in ihrer insgesamt eher uninspirierten Laudatio dann zum Wesen der Stiftungsarbeit gelangte, bekamen die Anwesenden eine dunkle Ahnung von den wahren Herausforderungen der NRW-Kulturpolitik: Kraft erwähnte eine gute Handvoll Künstlerinnen, Künstler und Projekte, die exemplarisch für die herausragende Fördertätigkeit zu nennen seien und sprach dabei fast alle Namen falsch aus. Als sie dann noch den „Nam Jun Paik-Award“ – immerhin einer der bedeutendsten Kunstpreise des Landes – nicht unfallfrei durchs Mikrofon brachte, machte sich im Saal regelrecht Entsetzen breit. Zwar hinkte der alte Sahne-Hefe-Vergleich Johannes Raus bei Licht betrachtet immer ein bisschen, doch er war das sehr echte Bekenntnis eines Ministerpräsidenten zu Kunst und Kultur in seinem Land. Das lag bei Rau an der Wahrhaftigkeit und Authentizität im Moment des Sprechens. Seine Nachfolgerin scheiterte an diesem Abend im tanzhaus nrw genau an diesem authentischen Bekenntnis. In den Monaten danach verschärfte sich dieser Eindruck während der Debatten um den Warhol-Verkauf des landeseigenen Casinobetreibers Westspiel und die Kunstsammlung der früheren Landesbank WestLB dann noch. Eine Frau als Amt gewordene Frage: Ist das Kunst oder kann das weg?

Die zweite Herausforderung der NRW-Kulturpolitik ist vielleicht gar nicht mal größer, aber komplizierter: Mehr als 170 der fast 400 Kommunen des Landes befinden sich zurzeit in der Haushaltssicherung. Für die kulturelle Landschaft Nordrhein-Westfalens liegt darin eine enorme Gefahr: Während zum Beispiel die insgesamt wohlhabenderen Kommunen in Baden-Württemberg „nur“ rund 60 Prozent der öffentlichen Kulturförderung aus ihren Etats stemmen, tragen die von Strukturwandel und Arbeitslosigkeit finanziell gebeutelten Städte in den Ballungsräumen an Rhein und Ruhr nahezu 80 Prozent. Dieser »Kommunalisierungsgrad« ist bundesweit einsame Spitze. Entsprechend wird auch die Landeskulturministerin Ute Schäfer (SPD) nicht müde zu sagen: „Es gibt keine Krise der kommunalen Kultur in NRW – es gibt eine Krise der kommunalen Finanzen“.

 

An diesem Punkt muss darauf verwiesen werden, dass sich die soeben hart kritisierte Hannelore Kraft wie vielleicht kein Regierungschef zuvor um die Konsolidierung der Gemeindehaushalte bemüht und bereits verdient gemacht hat. Ihre Kulturministerin wollte in dieser Frage auf andere Weise ein Zeichen setzen, und zwar im neuen Kulturfördergesetz: Auf Initiative der rot-grünen Kulturpolitiker im Landtag wurden zwei Varianten geprüft, um den Städten für ihre Haushalte eine Art Kulturfreibetrag einzurichten. In Rede standen maximal drei Prozent des Gesamtetats, die selbst dann für Kultur hätten ausgegeben werden dürfen, wenn die Kommune nur noch einen sogenannten Nothaushalt hat und buchstäblich jeden Euro für eine freiwillige Leistung von ihrer Aufsichtsbehörde genehmigen lassen muss – aber oft nicht bekommt, weil noch nicht mal die Pflichtausgaben gesichert sind.

 

Doch die gut gemeinte Freibetragsidee scheiterte; vermeintlich an den juristischen Bedenken eines renommierten Gutachters, tatsächlich aber –und hier schließt sich nun der nordrhein-westfälische Kultur-Teufelskreis wieder – am mangelnden Willen von Hannelore Kraft. Für die Beseitigung der verfassungsrechtlichen Hürden wäre nämlich nur eine eher minimale Änderung der Gemeindeordnung nötig gewesen. Allen Anläufen dazu begegneten Innen- wie Justizministerium des Landes jedoch mit einer offensichtlichen Verschleppungstaktik, der die Regierungschefin tatenlos zusah. Um schließlich das Kulturfördergesetz als Ganzes nicht auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben zu müssen, begruben die Kulturpolitiker der Regierungskoalitionen das zentrale Anliegen einer gesetzlichen Grundsicherung kommunaler Kulturausgaben wieder. Das Gesetz könnte sich – obwohl in jeder Hinsicht ohne finanzielle Unterfütterung – trotzdem noch als substanzieller Gewinn für die kulturelle Landschaft erweisen: Es definiert die Aufgaben von Land und Kommunen in der NRW-Kulturförderung, präzisiert deren Verteilung auf die beiden staatlichen Ebenen und soll zu mancher Verbesserung und Vereinfachung in den Verwaltungsabläufen führen. Vor allem aber verlangt es – bundesweit erstmals – von jeder Landesregierung zu Beginn ihrer Amtszeit einen Kulturförderplan, der für jeweils fünf Jahre Ziele, Inhalte und Schwerpunkte der Landesförderung festschreibt. Zur Erhöhung des Drucks muss seine Umsetzung zwingend evaluiert werden. Das wird aber nicht nur Transparenz und Verlässlichkeit bei der Mittelvergabe erhöhen, sondern von der jeweiligen Landesregierung auch ein kulturpolitisches Gesamtkonzept erfordern. Große Ziele, die für enorme Fortschritte auf allen Förderebenen sorgen könnten. Eins lässt sich allerdings selbst mit dem besten Gesetz nicht erzwingen: Eine kunstsinnige oder wenigstens doch kulturaffine Regierungschefin.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 04/2015 erschienen.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/regionale-kulturpolitik/landeskulturpolitik/nordrhein-westfalen/