Die ganze Welt ist in der Habsucht ersoffen wie in einer Sintflut

Über gemeinen Nutz und Wucher bei Martin Luther

Über allem steht das Gebot der Nächstenliebe. Weil wir Menschen „dieses Gebot aus den Augen lassen und allein auf den Handel mit seinem Gewinn oder Verlust achten, brauchen wir so viele Bücher, Gesetze, Gerichte, Streit, Blutvergießen und den ganzen Jammer. So muss der Übertretung des Gebotes Gottes auf die Zerstörung des Reiches Gottes folgen, das in Frieden, Eintracht und brüderliche Liebe und Treue besteht.“

 

Das Problem hat sich längst globalisiert. Kriege werden rund um den Globus geführt – wegen mörderischen Gewinnstrebens. Was zu Luthers Zeiten noch recht harmlos wirkt, wird heute eine geradezu weltumspannende Gefahr und zu einer um den Erdball herumfloatenden Ungerechtigkeit.

 

„Lassen wir alle anderen Weisen beiseite und nehmen uns den Kauf vor, besonders den Zinskauf (also die Kapitalanlage in Hypotheken), weil er besonders hervorsticht als eine Methode, wie man ohne Sünde andere Leute belasten und ohne Sorge oder Mühe reich werden kann. Denn bei den anderen Geschäftsmethoden steht ein jeder selber vor Augen der Öffentlichkeit, ob er zu teuer oder falsche Ware verkauft oder ein falsches Erbe oder falsches Gut gibt oder besitzt. Aber dieses schnelle und neu erfundene Geschäft macht sich sehr oft zu einem offenbar gerechten und zuverlässigen Schutzherrn für die verdammte Habsucht und den Wucher. Obwohl dieser Zinskauf jetzt als ein erlaubter Kauf und zugelassener Handel bestätigt ist, ist er doch aus vielen Gründen verdammenswert und menschenfeindlich.“ Wie prophetisch!

 

Beim Darlehensgeschäft sieht Luther, wie damit nur Sicherheit, Habsucht und Wucher gesucht werden. „O, wie viele Städte, Länder und Leute müssen Zins zahlen, denen man längst schuldig gewesen wäre, noch Geld dazuzugeben… Mich wundert, dass bei solchem unermesslichen Wucher die Welt überhaupt noch steht.“

„Der Markt regelt eben nicht alles von selbst!“

Freilich ist Luther ganz Realist. Er verdammt keineswegs den Handel mit Geld und Waren in toto. Im Gegenteil: „daß Kaufen und Verkaufen eine notwendige Sache ist, kann man freilich nicht leugnen. Man kann es nicht entbehren und kann es auch durchaus in christlicher Weise tun, nur muss dabei Wert und Preis einer Ware redlich bestimmt werden“. Aber er sieht überall Missbrauch, der aus Übervorteilungsabsicht geboren wird. „Die Kaufleute haben unter sich eine allgemeine Regel. Das ist ihr Wahlspruch und die Grundlage aller Geschäfte. Sie sagen: Ich kann meine Ware so teuer verkaufen, wie ich es vermag. Sie halten das für ein Recht. Tatsächlich aber ist damit der Habsucht Raum gegeben, und der Hölle sind alle Türen und Fenster geöffnet. Denn was heißt das anders als: Ich frage nicht nach meinem Nächsten. Wenn ich nur meinen Gewinn habe und meine Habsucht befriedige, was geht es mich an, wenn damit meinem Nächsten zehnfacher Schaden auf einmal entsteht? Da siehst du, dass dieser Wahlspruch direkt und schamlos nicht nur gegen die christliche Liebe, sondern auch gegen das Naturgesetz verstößt.“

 

Der Markt regelt eben nicht alles von selbst! Es bedarf einsichtiger Maßstäbe, die das Lebensrecht aller am Arbeitsprozess Beteiligten angemessen berücksichtigt. Dreihundert Jahre vor Karl Marx sieht Luther, wie der Markt seine eigenen (Wolfs-)Gesetze hat, die keinen sozialen Kriterien folgen, bis der Mensch dem Markt dient (und nicht umgekehrt) und gar selbst zur Ware wird.

 

„Es geschieht auch, dass einige ihre Ware teurer verkaufen, als sie auf dem allgemeinen Markt gehandelt wird und es im Handel sonst üblich ist. Sie steigern also den Preis der Ware nur aus dem Grunde, dass sie wissen, dass es davon im Lande nichts mehr gibt oder in absehbarer Zeit nichts mehr hereinkommen wird, man es jedoch braucht. Das ist eine Arglist der Habsucht, die nur auf die Bedürfnisse der Nächsten schielt, aber nicht, um ihnen zu helfen, sondern um sie für sich auszunutzen und an den Schaden seines Nächsten reich zu werden. Das sind alles offenkundige Diebe, Räuber und Wucherer“. So kommt es dann dazu, meint Luther, dass die ganze Welt vollkommen ausgeplündert wird und alles Geld in die Kassen der Monopole fließt.

 

Alles in den Wind der Jahrhunderte geredet?

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 05/2008 erschienen.

Friedrich Schorlemmer
Friedrich Schorlemmer ist Theologe. Er war bis 2007 Studienleiter an der Evangelischen Akademie in Wittenberg.
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