Friedrich Schorlemmer - 1. November 2008 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Reformationsjubiläum

Die ganze Welt ist in der Habsucht ersoffen wie in einer Sintflut


Über gemeinen Nutz und Wucher bei Martin Luther

Das frühkapitalistische Wirtschaftssystem und die Weisungen der Bibel sah Luther in scharfem Kontrast. Der Mammon sei in der Gesellschaft geradezu der Motor des Fortschritts geworden. Immer wieder nimmt er bezug auf einen Satz im ersten Timotheus-Brief: „Denn Habsucht ist eine Wurzel allen Übels; wie etliche gelüstet hat und sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen“ (1. Tim. 6,10).

 

Bereits in seiner Adelsschrift von 1520 sprach er sich gegen die Bettelei aus und forderte dazu auf, eine Ordnung zu machen, „dass jede Stadt ihre armen Bürger versorgte und keine fremden Bettler zuließe … Es könnte auch jede Stadt, die ihren ernähren, und wenn sie zu schwach wäre, sollte man auf den umliegenden Dörfern auch das Volk ermahnen, dazuzugeben; müssen sie doch sonst so viele Landstreicher und Buben unter dem Namen des Bettelns ernähren. So könnte man auch wissen, welche wahrhaft arm sind oder nicht.“

„Gier frisst letztendlich alles und alle auf.“

Luther argumentiert in zwei Richtungen. Einmal sagt er, „wer arm sein will, sollte nicht reich sein, will er aber reich sein, so greife mit der Hand an den Pflug und such’s sich selbst aus der Erde. Es genügt, dass die Armen angemessen versorgt sind, so dass sie nicht Hungers sterben noch erfrieren. Es schickt sich nicht, dass einer aufgrund der Arbeit des anderen müßig gehe, reich sei und gut lebe, während ein anderer übel lebt, wie jetzt der verkehrte Missbrauch ist. Denn Sankt Paulus sagt: ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.’ Es ist niemandem von Gott verordnet, von den Gütern der anderen zu leben.“ Jeder solle arbeiten. Und jeder solle für seine Arbeit auch Geld bekommen. Niemand dürfe durch die Arbeit anderer so reich werden oder sein, dass er seinerseits nicht mehr arbeiten muss, während der „Arbeitnehmer“ übel sein Dasein fristet. Es geht um den gerechten Lohn und die faire Verteilung des erzielten Gewinns. Luther will keineswegs den größten Wirtschaftszweig – wie er sagt: den Handel, vernichten, sondern will, dass nicht verderbliche Sitten durch den Handel ins Land kommen. Das größte Unglück aber für die deutsche Nation „ist gewiss das Kreditwesen. Wenn das nicht wäre, müsste mancher seine Seide, Samt, Goldstickerei, Spezerei und allerlei Prunkwerk ungekauft lassen. Es besteht nicht viel länger als 100 Jahre und hat schon fast alle Fürstenstifte, Städte, Adel und Erben in Armut, Jammer und Verderben gebracht“. Würde es noch 100 Jahre bestehen, so wäre es nicht möglich, dass Deutschland einen Pfennig behielte; wir müssten uns gewiss untereinander fressen…fürwahr, das Kreditwesen muss ein Symbol und Anzeichen dafür sein, dass die Welt mit schweren Sünden und dem Teufel verkauft ist, dass es uns zugleich an irdischem und geistlichem Gut gebrechen muss. Dennoch merken wir nichts.“ Wer denkt da nicht an heutige Kommunalfinanzen und den horrenden Schuldendienst aufgrund der Staatsverschuldung? Was Luther geißelt, ist durchaus vergleichbar mit der dubiosen Praxis, wo zu Zeiten der „New Economy“ Aktienkäufe durch Kredite zu finanziert wurden, um ohne eigenes Kapital schnelle Gewinne zu machen. Das entspräche den Lehen auf Kreditbasis. Durch den Kurssturz an den Aktienmärkten ging das eingesetzte, kreditfinanzierte Kapital verloren, die Schulden aber gegen den Kreditgeber bleiben ohne Gegenwert als Sicherheit. Das kann damals wie heute ins Unglück führen, dem Missbrauch, der Habsucht und dem Elend Tor und Tür öffnen. Noch schlimmer kam es nun beim drohenden Zusammenbruch des ganzen Finanzmarktes in den USA. Der deutsche Außenminister erklärte im September 2008 vor der UNO-Vollversammlung, Leichtsinn, Gier und Unvernunft hätten in die Finanzkrise geführt und es sei noch nicht absehbar, wer weltweit mit in den Orkus gezogen wird. Hatten nicht Liberalisierung und Deregulierung die Zauberworte geheißen? Da in den USA das finanzielle Kartenhaus zusammenbricht (virtuelles Geldwerte führen zu realen, horrenden Verlusten!), weiß keiner mehr eine Zauberformel und ausgerechnet der geschmähte Staat soll nun eingreifen und ein 700-Milliardenrettungpaket schnüren.

 

Gemeinwesenverantwortung mit Regeln und deren Kontrolle muss auf dem Kapitalmarkt wieder Platz greifen, statt hohe und schnelle Rendite über alles zu stellen. Gier frisst letztendlich alles und alle auf.

 

Luther fordert, den Fuggern und dergleichen Gesellschaften einen Zaum ums Maul zu legen und weist auf den Widerspruch hin, dass die einen in einem überschwänglichen Überfluss in Bezug auf Aufwand, Kleider und Repräsentation leben während die anderen mehr und mehr verarmen. „Man muss wissen, dass zu unseren Zeiten (von denen schon der Apostel Paulus angekündigt hat, dass sie gefährlich sein werden) die Habsucht und der Wucher in der ganzen Welt nicht nur furchtbar eingerissen sind, sondern auch gewagt haben, sich Deckmäntel zu suchen, worunter sie für recht und billig gehalten, ihr böses Tun ungehindert ausüben können. Dabei ist es beinahe dahingekommen, dass wir das Heilige Evangelium für nichts achten. Deshalb ist es in dieser gefährlichen Zeit für einen jeden Menschen nötig, sich vorzusehen und in den Angelegenheiten der zeitlichen Güter mit der richtigen Unterscheidungskraft vorzugehen und aufmerksam auf das heilige Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zu achten.“

Über allem steht das Gebot der Nächstenliebe. Weil wir Menschen „dieses Gebot aus den Augen lassen und allein auf den Handel mit seinem Gewinn oder Verlust achten, brauchen wir so viele Bücher, Gesetze, Gerichte, Streit, Blutvergießen und den ganzen Jammer. So muss der Übertretung des Gebotes Gottes auf die Zerstörung des Reiches Gottes folgen, das in Frieden, Eintracht und brüderliche Liebe und Treue besteht.“

 

Das Problem hat sich längst globalisiert. Kriege werden rund um den Globus geführt – wegen mörderischen Gewinnstrebens. Was zu Luthers Zeiten noch recht harmlos wirkt, wird heute eine geradezu weltumspannende Gefahr und zu einer um den Erdball herumfloatenden Ungerechtigkeit.

 

„Lassen wir alle anderen Weisen beiseite und nehmen uns den Kauf vor, besonders den Zinskauf (also die Kapitalanlage in Hypotheken), weil er besonders hervorsticht als eine Methode, wie man ohne Sünde andere Leute belasten und ohne Sorge oder Mühe reich werden kann. Denn bei den anderen Geschäftsmethoden steht ein jeder selber vor Augen der Öffentlichkeit, ob er zu teuer oder falsche Ware verkauft oder ein falsches Erbe oder falsches Gut gibt oder besitzt. Aber dieses schnelle und neu erfundene Geschäft macht sich sehr oft zu einem offenbar gerechten und zuverlässigen Schutzherrn für die verdammte Habsucht und den Wucher. Obwohl dieser Zinskauf jetzt als ein erlaubter Kauf und zugelassener Handel bestätigt ist, ist er doch aus vielen Gründen verdammenswert und menschenfeindlich.“ Wie prophetisch!

 

Beim Darlehensgeschäft sieht Luther, wie damit nur Sicherheit, Habsucht und Wucher gesucht werden. „O, wie viele Städte, Länder und Leute müssen Zins zahlen, denen man längst schuldig gewesen wäre, noch Geld dazuzugeben… Mich wundert, dass bei solchem unermesslichen Wucher die Welt überhaupt noch steht.“

„Der Markt regelt eben nicht alles von selbst!“

Freilich ist Luther ganz Realist. Er verdammt keineswegs den Handel mit Geld und Waren in toto. Im Gegenteil: „daß Kaufen und Verkaufen eine notwendige Sache ist, kann man freilich nicht leugnen. Man kann es nicht entbehren und kann es auch durchaus in christlicher Weise tun, nur muss dabei Wert und Preis einer Ware redlich bestimmt werden“. Aber er sieht überall Missbrauch, der aus Übervorteilungsabsicht geboren wird. „Die Kaufleute haben unter sich eine allgemeine Regel. Das ist ihr Wahlspruch und die Grundlage aller Geschäfte. Sie sagen: Ich kann meine Ware so teuer verkaufen, wie ich es vermag. Sie halten das für ein Recht. Tatsächlich aber ist damit der Habsucht Raum gegeben, und der Hölle sind alle Türen und Fenster geöffnet. Denn was heißt das anders als: Ich frage nicht nach meinem Nächsten. Wenn ich nur meinen Gewinn habe und meine Habsucht befriedige, was geht es mich an, wenn damit meinem Nächsten zehnfacher Schaden auf einmal entsteht? Da siehst du, dass dieser Wahlspruch direkt und schamlos nicht nur gegen die christliche Liebe, sondern auch gegen das Naturgesetz verstößt.“

 

Der Markt regelt eben nicht alles von selbst! Es bedarf einsichtiger Maßstäbe, die das Lebensrecht aller am Arbeitsprozess Beteiligten angemessen berücksichtigt. Dreihundert Jahre vor Karl Marx sieht Luther, wie der Markt seine eigenen (Wolfs-)Gesetze hat, die keinen sozialen Kriterien folgen, bis der Mensch dem Markt dient (und nicht umgekehrt) und gar selbst zur Ware wird.

 

„Es geschieht auch, dass einige ihre Ware teurer verkaufen, als sie auf dem allgemeinen Markt gehandelt wird und es im Handel sonst üblich ist. Sie steigern also den Preis der Ware nur aus dem Grunde, dass sie wissen, dass es davon im Lande nichts mehr gibt oder in absehbarer Zeit nichts mehr hereinkommen wird, man es jedoch braucht. Das ist eine Arglist der Habsucht, die nur auf die Bedürfnisse der Nächsten schielt, aber nicht, um ihnen zu helfen, sondern um sie für sich auszunutzen und an den Schaden seines Nächsten reich zu werden. Das sind alles offenkundige Diebe, Räuber und Wucherer“. So kommt es dann dazu, meint Luther, dass die ganze Welt vollkommen ausgeplündert wird und alles Geld in die Kassen der Monopole fließt.

 

Alles in den Wind der Jahrhunderte geredet?

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 05/2008 erschienen.


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