Die andere Revolution der Lutherzeit

Wie Copernicus ein neues astronomisches Weltbild schuf

Während die gegenwärtig entstehende Flut an Literatur zum Reformationsjubiläum den vielfältigsten Aspekten der von Martin Luther (1483 – 1546) eingeleiteten Reformation tiefgründig nachgeht, wird seltsamerweise eine andere Revolution so gut wie völlig ausgeblendet. Sie ist von ebenso zentraler Bedeutung und die Persönlichkeit, von der wir sprechen, hat fast zeitgleich mit Luther gelebt: Nicolaus Copernicus (1473–1543).

 

An den Universitäten jener Zeit wurde durchweg das geozentrische Weltbild gelehrt, nachdem die Erde im Zentrum des Universums steht. Klaudios Ptomelaios (90–168) hatte dieses System detailliert mathematisch durchgearbeitet und in seinem „Almagest“ dargestellt. Mithilfe von komplizierten kinematischen Konstruktionen war es ihm gelungen, die beobachteten Bewegungen der Planeten so wiederzugeben, dass sogar Vorhersagen der Planetenstellungen über mehrere Jahrzehnte möglich waren. Doch inzwischen hatten sich Zweifel an diesem System ergeben. Kleinere Fehler waren über die lange Zeit zu größeren angewachsen und ließen Korrekturen wünschenswert erscheinen. Alfons X von Kastilien (1221 – 1284) veranlasste deshalb eine Revision des Systems. Nun wurden aber noch mehr Hilfskreise benötigt, was er mit den Worten kommentierte: „Wenn mich Gott bei der Erschaffung der Welt um Rat gefragt hätte, ich hätte ihm größere Einfachheit anempfohlen“.

„In einem waren sich Luther und Copernicus allerdings einig: in der Ablehnung der Astrologie.“

Auch Copernicus hörte bei seinen ausgedehnten Studien des Kirchenrechts und der Medizin in Krakau, Bologna und Padua von den Ungereimtheiten des alten Systems. Obwohl mit Aufgaben im Dienste der Kirche als Domherr von Frombork (Frauenburg) überhäuft, entschloss er sich zu einem radikalen Schritt und entwarf ein System, bei dem die Sonne im Zentrum der Welt steht und sich die Erde, wie auch die anderen Planeten, um die Sonne bewegen. Zunächst legte er seine Gedanken in einem handschriftlichen „Kleinen Kommentar“ („Commentariolus“) nieder, der etwa ab 1610 in einschlägigen Kreisen zirkulierte. Die detaillierte Ausarbeitung seiner Idee nahm noch Jahrzehnte in Anspruch. Doch zu einer Veröffentlichung konnte sich Copernicus nicht entschließen, da er sein Werk noch immer für unvollendet hielt. Da betrat Joachim Rheticus (1514–1574) die Szene, ein Mathematiker aus Wittenberg, der im engsten Umfeld von Philipp Melanchthon (1497–1560) und Martin Luther wirkte. Er begeisterte sich für die neue Sicht auf den Kosmos, reiste für zwei Jahre zu Copernicus nach Frombork und verfasste eine Zusammenfassung der heliozentrischen Ideen, die er unter dem Titel „Narratio Prima“ („Erster Bericht“) 1540 veröffentlichte. Das große Interesse, auf das diese kleine Schrift in Fachkreisen stieß, stimmte nun auch Copernicus um und er erklärte sich mit der Drucklegung seines Werkes einverstanden. So erschien schließlich im Todesjahr von Copernicus das bahnbrechende Werk „De revolutionibus orbium coelestium“ („Über die Umschwünge der himmlischen Kreise“) mit einer umfangreichen Widmungsadresse an Papst Paul III (1468– 1549) und einem von Copernicus nicht autorisierten Vorwort des Theologen und Reformators Andreas Osiander (1498–1552). Die Kernaussage dieses zusätzlichen Vorwortes bestand darin, dass es sich bei dem heliozentrischen Weltsystem lediglich um eine Hypothese handele. Vermutlich wollte Osiander auf diese Weise den Einwänden kirchlicher Kreise unter anderen auch Melanchthons zuvorkommen, die aus der bekannten Bibelstelle Josua 10, 12-13, wo Josua die Sonne stillstehen hieß, ableiteten, dass sie sich zuvor bewegt haben müsse.

 

Die Rezeption des Werkes von Copernicus ist abenteuerlich. Von einer allgemeinen Akzeptanz konnte zunächst keine Rede sein, zumal naturwissenschaftliche Beweise fehlten. Doch zwei überzeugte Anhänger des Systems trieben die Entwicklung voran: Johannes Kepler (1571–1630) und Galileo Galilei (1564–1642). Besonders Galilei geriet über das Weltsystem in einen scharfen Konflikt mit der katholischen Kirche, die das Werk des Copernicus 1616 auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt hatte. In einem Inquisitionsprozess wurde Galilei gezwungen, seiner Überzeugung pro Copernicus abzuschwören und verbrachte anschließend den Rest seines Lebens unter Hausarrest. Luther, so liest man immer wieder, soll ebenfalls ein Gegner des Systems gewesen sein. Doch sein Ausspruch „Dieser Narr (gemeint ist Copernicus) will die ganz Kunst Astronomiae umkehren“ ist wahrscheinlich niemals gefallen. Die Veröffentlichung in den „Tischreden“ (1566) ist nicht belegt und in der gesamten 120-bändigen Luther-Werkausgabe kommt der Name Copernicus nicht vor. Wahrscheinlicher ist es, dass Luther sich kaum für diese „andere Revolution“ interessiert hat, die zudem erst drei Jahre vor seinem Tod vollständig veröffentlicht wurde. Erst im 19. Jahrhundert wurde Luther zum „Anti-Copernicaner“ hochstilisiert, um im Kulturkampf Bismarcks mit der katholischen Kirche deren negative Rolle zu relativieren. In einem waren sich Luther und Copernicus allerdings einig: in der Ablehnung der Astrologie. Während Melanchthon Vorlesungen darüber hielt, war Luther der Meinung, nicht die Gestirne, sondern ihr Schöpfer bestimme die Geschicke der Menschen.

Dieter B. Herrmann
Dieter B. Herrmann war von 1976 bis 2004 Direktor der Archenhold-Sternwarte Berlin-Treptow und 1987 auch Gründungsdirektor des Zeiss-Groß-planetariums Berlin sowie Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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