Der Politiker
„Wir sind zum wechselseitigen Gespräch geboren“, lautet ein vielzitiertes Melanchthonwort. Darin wird der Konfessionspolitiker und Politikberater Melanchthon sichtbar, der in unübersichtlichen Zeiten und politischen Gemengelagen der theologischen Wahrheit zum Sieg verhelfen wollte. Als Kriegwaise, von den Schrecken des Krieges leidgeprüft, war es ihm ein Herzensanliegen nicht nur die Spaltung der christlichen Kirche zu verhindern sondern vor allem auch klärende Auswege aus dem gärenden Religionskonflikt zu finden, der kriegerisch am Horizont aufzog. Dabei darf man sich den Universitätsprofessor nicht als einen Elfenbeinturm-Gelehrten vorstellen. Da Luther unter kaiserlicher Acht und päpstlichem Bann steht, darf er das sächsische Herrschaftsgebiet nicht verlassen. Melanchthon avanciert zum „Außenminister der Reformation“. Ein Drittel seines Lebens ist der schmächtige Mann auf Reisen zu Reichstagen und Religionsgesprächen, auf Visitationen, bei Disputationen und Verhandlungen unterwegs. Sein Meisterstück wird er auf dem Augsburger Reichstag abliefern, der sich über viele Wochen von Mai bis September 1530 hinzog. Mit den schmalen Torgauer Artikeln im Gepäck, entstand dort, geprägt durch Verhandlungen, Kompromisse, Reaktionen auf Schreiben etc., die Confessio Augustana (CA). Auch wenn in allem Verhandeln die Theologie seine Leitlinie bleibt, so durchschaut er doch die den machtpolitischen Kalkül hinter vielen konfessionellen Konflikten.
Der Theologe
Es ist der Gräzist Melanchthon, der schon 1521 die erste Systematik reformatorischer Theologie, die „Loci Communis“ vorlegt. Darin werden die theologischen Grundbegriffe der Reformation erläutert. Dieses Grundlagenwerk wird vielfach weiterbearbeitet und in immer neuen Auflagen weit verbreitet. Dabei liegt die Infizierung mit Luthers theologischen Erkenntnissen und Überlegungen gerade einmal drei Jahre zurück. Er hat schnell von diesem „Evangelium gelernt“. Mit Bilderstürmern und den Fundamentalisten der Wiedertäufer konnte er wenig anfangen. Für Melanchthon galt das Pauluswort, sich nicht „durch Philosophie und eine falsche Lehre verführen“ (Kor 2,8) zu lassen. Die menschliche Vernunft gewinnt in seinem Denken an Bedeutung. Darum kann er formulieren: (die) „Philosophie ist eine wahre und gu Schöpfung Gottes, sie ist nämlich das Urteil der Vernunft selbst, das Gott in natürlichen und gemeinschaftlichen Dingen der menschlichen Natur wahr und sicher gegeben hat“. Insbesondere die Theologie soll vernünftig-argumentative Rechenschaft ablegen über den Glauben. Sein Verständnis reformatorischer Theologie lässt sich an der CA und in der weiterentwickelten Confession Augustana variata ablesen. Seine zahlreichen Gebete, die sich auch in Briefen finden zeigen einen gottesfürchtigen Gelehrte, der eine tiefe Frömmigkeit alltäglich lebte.
In der Lutherdekade wird Philipp Melanchthon mit einem eigenen Themenjahr geehrt. Bildungsgerechtigkeit und die Demokratisierung der Bildung; die Quellenkenntnis und das Kanonwissen der Generation Wikipedia, interdisziplinäres Denken wie auch die europäisch-ökumenische Vernetzung gehören im kommenden Jahr auf die thematische Speisekarte. Was verbirgt sich hinter den Themenjahren der Lutherdekade? Sie strukturieren die Jahre bis zum Reformationsjubiläum thematisch und berücksichtigen dabei sowohl die Jubiläumsdaten der Reformationsgeschichte als auch den breiten Fächer reformatorischer Impulse. Entstanden ist ein Spannungsbogen, der auch die ökumenische wie internationale Dimension berücksichtigt und kulturelle wie touristischen Planungen abbildet. Nun sind die Landeskirchen und Kirchengemeinden ebenso wie die kulturellen Institutionen, Museen und Tourismusverbände eingeladen und aufgerufen diese thematischen Schwerpunkte mit Leben zu erfüllen. Vielerorts sind bereits jetzt Planungen, auch für noch weit entfernt liegender Themenjahre (2012 Leipzig / 800 Jahre Thomaskirche oder 2015 Cranachjubiläum/ Ausstellungsplanungen) schon in Gang gekommen. Auch wenn Regionalgeschichte oder landesspezifsche Besonderheiten Abweichungen nötig erscheinen lassen, so liegt mit den Themenjahren nun der fest verabredete Fahrplan für die inhaltliche Gestaltung der Lutherdekade vor.
Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 05/2009 erschienen.