Klimaneutralität in der Kultur noch vor 2045 anstreben

Bundeskulturpolitik setzt sich für Klimaziele ein

Drei Millionen Liter Wasser strömten im Juli 2021 unaufhaltsam durch das Opernhaus in Wuppertal. Orchestergraben, Bühnentechnik, Lüftung und Heizung waren in kürzester Zeit zerstört. Viele weitere kommunale Kultureinrichtungen und lokale Kulturbetriebe sind durch die jüngste Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz massiv beschädigt oder verwüstet worden, insbesondere Museen und Veranstaltungshäuser, Buchhandlungen und Kinos sowie Gemeinde- und Pfarrarchive. Das menschliche Leid, die immateriellen und finanziellen Verluste in den überwiegend ländlichen Hochwasserregionen sind enorm, doch die Wahrheit ist leider auch, dass Wetter-Extremereignisse weiter zunehmen. Im Wuppertaler Opernhaus waren die letzten Zerstörungen durch Hochwasser gerade einmal drei Jahre her. Der Klimawandel hat auch die Kultureinrichtungen in Deutschland längst erreicht. Klimaschutz ist eines unserer drängendsten Anliegen!

 

Alle sind gefordert. Die Bundeskulturpolitik will dabei einen sichtbaren, noch weiter ausbaufähigen Part übernehmen; sie sieht sich durchaus als Motor und Vorbild im Kulturbereich. Unser Anspruch sowohl als Träger national bedeutender Kultureinrichtungen wie auch als maßgebender Fördermittelgeber ist es, uns konsequent am gesamtgesellschaftlichen Ziel der Nachhaltigkeit auszurichten, mit allen damit verbundenen Herausforderungen. Der im November 2020 erschienene Nachhaltigkeitsbericht der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) vermittelt einen Einblick in die vielfältigen Aktivitäten, mit denen die BKM bundesseitig bereits heute substanzielle Beiträge zur Erreichung der deutschen und internationalen, insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele leistet.

 

Bleiben wir aber bei den ökologischen Aspekten der Nachhaltigkeit. Auch der Kulturbereich trägt mit seinem ökologischen Fußabdruck dazu bei, dass sich klimawandelbedingte Katastrophen unbestreitbar häufen. In der Zeit vor Corona flogen ganze Ausstellungen, Orchester und Musikbands, Filmcrews und Kulturmanager ständig rund um den Globus, wenn auch zunehmend mit schlechtem Gewissen der Akteurinnen und Akteure. Noch verwendbares Inventar wanderte vor Jahren regelmäßig nach Veranstaltungsende in den Müll. Museen, Theater, Konzertsäle und andere Kulturbauten wurden mitnichten nachhaltig gebaut. All dies zeigt: Kulturschaffende und -verantwortliche sollten sich nicht nur damit zufriedengeben, wichtige gesellschaftliche Debatten voranzubringen. Erforderlich sind grundlegende Einstellungs- und Verhaltensänderungen nicht nur im Privatbereich, sondern genauso beim künstlerischen Schaffensprozess, in der Aufführungs-, Ausstellungs- und Veranstaltungspraxis sowie der Kulturvermarktung generell, um eine Zeitenwende hin zu einer hohen Lebensqualität und gesellschaftlichem Wohlergehen im Einklang mit Natur und Umwelt zu erreichen. Die Kultur muss klimaneutral werden – und nicht erst bis 2045, dem seit Juni 2021 geltenden neuen Klimaziel der Bundesregierung für alle Sektoren. Kultur kann mehr!

 

Entscheidend bei der Bewältigung dieser Mammutaufgabe werden dabei neben glaubwürdigem Engagement nicht zuletzt das Fachwissen und die Fähigkeiten im Kulturbereich sein. Mit dem „Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur & Medien“ unterstützt die BKM seit 2020 betriebsökologische Beratungsangebote für den deutschen Kultur- und Mediensektor. Ziel ist die Generierung von Wissen, der Netzwerkausbau ökologischer Pionierinnen und Pioniere, eine spartenübergreifende Beratung und die Umsetzung konkreter Maßnahmen. Auf der BKM-geförderten „Sommerakademie für eine klimagerechte Kulturpolitik“ der Kulturpolitischen Gesellschaft tauschten sich im vergangenen Jahr Verantwortliche aus Kulturpolitik, Kulturverwaltung und Kulturorganisationen aus ganz Deutschland aus, um branchenspezifische Lösungen im Klimaschutz zu erarbeiten. Setzen wir das gewonnene Wissen in praktisches Handeln um – jedes einzelne Projekt ist gefragt.

 

Einige Kultureinrichtungen zeigen bereits, wie Wege zu einem klimaschonenden Betrieb aussehen können. Die Kulturstiftung des Bundes und die Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin – Berlinale, Berliner Festspiele, Martin-Gropius Bau, Haus der Kulturen der Welt – etwa nutzen bereits die EMAS-Zertifizierung („Eco-Management and Audit Scheme“), ein europäisches System zur Verbesserung der Umweltbilanz. Emissionen, Ressourcen- und Flächenverbräuche oder Abfall werden gezielt in den Blick genommen und verbessert. EMAS steht allen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen offen und hilft sogar, Kosten einzusparen. Die BKM hat den Zertifizierungsprozess für die eigene Behörde vor über einem Jahr eingeleitet. Bislang sind nur rund ein Dutzend Unternehmen und Organisationen aus dem Kulturbereich zertifiziert. Dies muss sich ändern; langfristig sollte die Erfüllung der allgemeinen EMAS-Anforderungen Standard sein.

 

Gemeinsam mit dem Deutschen Museumsbund hat die BKM zudem einen Pilotprozess gestartet, um ökologische Mindeststandards und ein Zertifizierungssystem für „Klimaschutz und Nachhaltigkeit“ speziell für deutsche Museen entwickeln zu können. Auch auf den Filmbereich zugeschnittene Zertifizierungssysteme werden bereits mit finanzieller Unterstützung der BKM entwickelt. Wir streben an, die begonnenen Prozesse weiter zu vertiefen und die ersten Erfahrungen – nicht zuletzt über die Kulturverbände – in die Breite der deutschen Kultur- und Medienlandschaft zu tragen.

Günter Winands
Günter Winands ist Amtschef bei Der Beauftragten für Kultur und Medien.
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