Günter Winands - 28. September 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Klima & Kultur

Klimaneutralität in der Kultur noch vor 2045 anstreben


Bundeskulturpolitik setzt sich für Klimaziele ein

Drei Millionen Liter Wasser strömten im Juli 2021 unaufhaltsam durch das Opernhaus in Wuppertal. Orchestergraben, Bühnentechnik, Lüftung und Heizung waren in kürzester Zeit zerstört. Viele weitere kommunale Kultureinrichtungen und lokale Kulturbetriebe sind durch die jüngste Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz massiv beschädigt oder verwüstet worden, insbesondere Museen und Veranstaltungshäuser, Buchhandlungen und Kinos sowie Gemeinde- und Pfarrarchive. Das menschliche Leid, die immateriellen und finanziellen Verluste in den überwiegend ländlichen Hochwasserregionen sind enorm, doch die Wahrheit ist leider auch, dass Wetter-Extremereignisse weiter zunehmen. Im Wuppertaler Opernhaus waren die letzten Zerstörungen durch Hochwasser gerade einmal drei Jahre her. Der Klimawandel hat auch die Kultureinrichtungen in Deutschland längst erreicht. Klimaschutz ist eines unserer drängendsten Anliegen!

 

Alle sind gefordert. Die Bundeskulturpolitik will dabei einen sichtbaren, noch weiter ausbaufähigen Part übernehmen; sie sieht sich durchaus als Motor und Vorbild im Kulturbereich. Unser Anspruch sowohl als Träger national bedeutender Kultureinrichtungen wie auch als maßgebender Fördermittelgeber ist es, uns konsequent am gesamtgesellschaftlichen Ziel der Nachhaltigkeit auszurichten, mit allen damit verbundenen Herausforderungen. Der im November 2020 erschienene Nachhaltigkeitsbericht der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) vermittelt einen Einblick in die vielfältigen Aktivitäten, mit denen die BKM bundesseitig bereits heute substanzielle Beiträge zur Erreichung der deutschen und internationalen, insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele leistet.

 

Bleiben wir aber bei den ökologischen Aspekten der Nachhaltigkeit. Auch der Kulturbereich trägt mit seinem ökologischen Fußabdruck dazu bei, dass sich klimawandelbedingte Katastrophen unbestreitbar häufen. In der Zeit vor Corona flogen ganze Ausstellungen, Orchester und Musikbands, Filmcrews und Kulturmanager ständig rund um den Globus, wenn auch zunehmend mit schlechtem Gewissen der Akteurinnen und Akteure. Noch verwendbares Inventar wanderte vor Jahren regelmäßig nach Veranstaltungsende in den Müll. Museen, Theater, Konzertsäle und andere Kulturbauten wurden mitnichten nachhaltig gebaut. All dies zeigt: Kulturschaffende und -verantwortliche sollten sich nicht nur damit zufriedengeben, wichtige gesellschaftliche Debatten voranzubringen. Erforderlich sind grundlegende Einstellungs- und Verhaltensänderungen nicht nur im Privatbereich, sondern genauso beim künstlerischen Schaffensprozess, in der Aufführungs-, Ausstellungs- und Veranstaltungspraxis sowie der Kulturvermarktung generell, um eine Zeitenwende hin zu einer hohen Lebensqualität und gesellschaftlichem Wohlergehen im Einklang mit Natur und Umwelt zu erreichen. Die Kultur muss klimaneutral werden – und nicht erst bis 2045, dem seit Juni 2021 geltenden neuen Klimaziel der Bundesregierung für alle Sektoren. Kultur kann mehr!

 

Entscheidend bei der Bewältigung dieser Mammutaufgabe werden dabei neben glaubwürdigem Engagement nicht zuletzt das Fachwissen und die Fähigkeiten im Kulturbereich sein. Mit dem „Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur & Medien“ unterstützt die BKM seit 2020 betriebsökologische Beratungsangebote für den deutschen Kultur- und Mediensektor. Ziel ist die Generierung von Wissen, der Netzwerkausbau ökologischer Pionierinnen und Pioniere, eine spartenübergreifende Beratung und die Umsetzung konkreter Maßnahmen. Auf der BKM-geförderten „Sommerakademie für eine klimagerechte Kulturpolitik“ der Kulturpolitischen Gesellschaft tauschten sich im vergangenen Jahr Verantwortliche aus Kulturpolitik, Kulturverwaltung und Kulturorganisationen aus ganz Deutschland aus, um branchenspezifische Lösungen im Klimaschutz zu erarbeiten. Setzen wir das gewonnene Wissen in praktisches Handeln um – jedes einzelne Projekt ist gefragt.

 

Einige Kultureinrichtungen zeigen bereits, wie Wege zu einem klimaschonenden Betrieb aussehen können. Die Kulturstiftung des Bundes und die Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin – Berlinale, Berliner Festspiele, Martin-Gropius Bau, Haus der Kulturen der Welt – etwa nutzen bereits die EMAS-Zertifizierung („Eco-Management and Audit Scheme“), ein europäisches System zur Verbesserung der Umweltbilanz. Emissionen, Ressourcen- und Flächenverbräuche oder Abfall werden gezielt in den Blick genommen und verbessert. EMAS steht allen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen offen und hilft sogar, Kosten einzusparen. Die BKM hat den Zertifizierungsprozess für die eigene Behörde vor über einem Jahr eingeleitet. Bislang sind nur rund ein Dutzend Unternehmen und Organisationen aus dem Kulturbereich zertifiziert. Dies muss sich ändern; langfristig sollte die Erfüllung der allgemeinen EMAS-Anforderungen Standard sein.

 

Gemeinsam mit dem Deutschen Museumsbund hat die BKM zudem einen Pilotprozess gestartet, um ökologische Mindeststandards und ein Zertifizierungssystem für „Klimaschutz und Nachhaltigkeit“ speziell für deutsche Museen entwickeln zu können. Auch auf den Filmbereich zugeschnittene Zertifizierungssysteme werden bereits mit finanzieller Unterstützung der BKM entwickelt. Wir streben an, die begonnenen Prozesse weiter zu vertiefen und die ersten Erfahrungen – nicht zuletzt über die Kulturverbände – in die Breite der deutschen Kultur- und Medienlandschaft zu tragen.

Ein im Frühjahr abgeschlossenes Pilotprojekt bei der Kulturstiftung des Bundes „Klimabilanzen in Kulturinstitutionen“, das 19 Kultureinrichtungen modellhaft dabei unterstützt hat, eine Klimabilanz zu erstellen und den eigenen CO2-Fußabdruck zu ermitteln, hat gezeigt, dass Emissionen in den verschiedenen Kulturbetrieben an sehr unterschiedlichen Stellschrauben entstehen und verbessert werden können. Doch vielfach bleiben die genauen Emissionen in der Branche noch unbekannt. Bei Verbesserungen tappen die Verantwortlichen dann im Dunkeln. Es braucht daher zukünftig eindeutige Datengrundlagen. Klimarechner müssen für die kulturelle Praxis anwendbar gemacht werden.

 

Die BKM möchte im Besonderen ihre Zuwendungsempfängerinnen und -empfänger zu noch mehr Anstrengungen motivieren. Seit 2020 müssen diese bei allen finanziellen Zuwendungen aus dem Kulturetat messbare Ziele für den Umwelt- und Klimaschutz festlegen. Fragen der Betriebsökologie sind außerdem in den Gremiensitzungen aller durch den Bund geförderten Kultureinrichtungen mindestens einmal jährlich als eigener Tagesordnungspunkt zu behandeln. Dazu wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BKM gezielt fortgebildet. Wir entdecken zugleich, dass finanzielle Unterstützungen immer noch viele ökologische Fallstricke in sich tragen. Das Zuwendungsrecht muss daher insgesamt noch weiter auf den ökologischen Prüfstand gestellt werden. Hier wird noch auf allen Ebenen, in Bund, Ländern und Kommunen, zwischen Finanz- und Kulturverantwortlichen sowie gemeinsam mit den Verbänden und Einrichtungen an Lösungen zu arbeiten sein.

 

Eine der Maßnahmen des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung ist es, dass auch Bundesbauten in Sachen Klimaneutralität Vorbilder sein sollen. Die Ende August 2021 vom Bundeskabinett beschlossenen „Energieeffizienzfestlegungen für klimaneutrale Bauten des Bundes“ stellen ambitionierte und verbindliche Anforderungen an die Gebäude des Bundes zur Erhöhung der Energieeffizienz: Neubauten des Bundes – auch im Kulturbereich – müssen künftig mindestens 60 Prozent energieeffizienter sein als die gesetzlichen Anforderungen an den Neubau, Gebäudesanierungen mindestens 45 Prozent energieeffizienter.

 

Auch auf Europäischer Ebene müssen wir vorankommen. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 wurde bereits erprobt, wie Veranstaltungen klimaneutral gestaltet werden können. Als Bundesbehörde hat sich die BKM vorgenommen, bereits bis 2030 klimaneutral zu arbeiten. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind damit in ihrem täglichen Handeln gefragt.

 

Eine engagierte und kreative Kulturszene ist entscheidend für das Gelingen. Nutzen wir deren Kernkompetenz: Seien wir, die Kulturszene, aber auch die Kulturpolitik, kreativ! Es gilt, die gesamte Breite an denkbaren Praktiken weiterzuentwickeln und „klimakulturelle Vielfalt“ zu schaffen, ohne dass die Freiheit der Kunst beeinträchtigt wird. Hierbei gibt es keinen Standardweg. Einige werden mit der Beantwortung der Frage „Wie viel ist genug“ erfolgreich sein, d. h. klassischer Suffizienz wie der Reduktion von Dienstreisen oder der Umstellung des Caterings. Andere können mit technischen Lösungen vorangehen, etwa Energieeffizienzmaßnahmen bis hin zur fossilen Entkoppelung durch Erneuerbare Energien. Aus der Vergangenheit wissen wir: Die Visionen von Kultur- und Medienschaffenden haben regelmäßig dazu beigetragen, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Lassen Sie uns gemeinsam eine klimaneutrale Zukunft schaffen!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/nachhaltigkeit-kultur/klima-kultur/klimaneutralitaet-in-der-kultur-noch-vor-2045-anstreben/