Erbe und Nachhaltigkeit

Wie die UNESCO Kultur und Natur zusammenführt

Die Folgen des Klimawandels und einer nicht-nachhaltigen Lebensweise werden immer anschaulicher. Es mangelt nicht an Beispielen, wie die Veränderungen der Umweltbedingungen Natur und Kultur bedrohen. Als die internationale Staatengemeinschaft im Jahr 2015 die Agenda 2030 mit 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung formulierte, vereinbarte sie einen neuen Konsens: Nachhaltige Entwicklung fordert von allen – von Individuen bis zu Institutionen – ein Umdenken, neue Ideen und kooperatives Handeln. Die UNESCO nimmt hier eine entscheidende Rolle ein. Sie koordiniert die Umsetzung der Bildungsagenda und setzt sich über das Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) für die Verankerung von Nachhaltigkeit in der Breite der Gesellschaft ein – mittels einer Bildung, die die Menschen dazu befähigt, ihr eigenes Handeln zu hinterfragen und Entscheidungen für eine nachhaltigere Zukunft zu treffen.

 

Kultur als Medium der Veränderung

Viel ist darüber diskutiert worden, warum die Agenda 2030 kein eigenes Ziel für die Kultur ausweist. Man kann es so lesen: Die gesamte angestrebte Transformation ist eine kulturelle Angelegenheit. Für dieses Verständnis bietet der weite Kulturbegriff, wie er 1982 auf der Weltkonferenz über Kulturpolitik in Mexico von der UNESCO formuliert wurde, die Grundlage: Kultur, so verständigte man sich, ist die „Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte“, die auch „Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“ einschließt.

 

Erst durch die Kultur, so heißt es weiter, stelle der Mensch „seine Errungenschaften in Frage“. Kulturelle Identität, kulturelles Erbe und Vielfalt bestimmen unser Handeln und unsere Werte – und hierüber betreibt, trägt und vermittelt Kultur auch Veränderung.

 

Diese kulturellen Ressourcen gilt es zu nutzen, um Nachhaltigkeit als Kernprinzip in der Gesellschaft zu verankern. Dem Verständnis der UNESCO folgend sind Kultur und Natur dabei untrennbar miteinander verknüpft. Exemplarisch zeigt sich das im Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes von 2003: Immaterielles Kulturerbe umfasst „Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen“ – und zwar explizit „in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, in ihrer Interaktion mit der Natur und mit ihrer Geschichte“.

 

Viele lokale Gemeinschaften haben Lebensstile und Praktiken entwickelt, die eng mit der Natur verbunden sind und die Umwelt respektieren. Ihre Fähigkeiten und Regeln zur Erhaltung der Umwelt und der biologischen Vielfalt bilden ebenso wie ihre Systeme zur Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen einen reichen Fundus an Strategien, um aktuellen ökologischen und sozialen Herausforderungen zu begegnen. Trotzdem gehören gerade auch sie häufig zu den ersten, die von den Auswirkungen von Klimawandel und Naturkatastrophen betroffen sind.

 

Kultur und Natur zusammendenken

Wie eine UNESCO-Konvention dazu führt, dass die Weltgemeinschaft mit einem neuen Fokus und in einer ganzheitlichen Weise auf ihr kulturelles und natürliches Erbe blickt, hatte schon Jahrzehnte zuvor, 1972, die Verabschiedung des Übereinkommens zum materiellen Welterbe gezeigt, das bei der Herausbildung des Nachhaltigkeitsdiskurses eine wichtige Rolle spielt. Die Konvention bricht die Grenzen zwischen Kultur und Natur auf und lenkt die Aufmerksamkeit darauf, „dass das Kulturerbe und das Naturerbe zunehmend von Zerstörung bedroht sind, nicht nur durch die herkömmlichen Verfallsursachen, sondern auch durch den Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, der durch noch verhängnisvollere Formen der Beschädigung oder Zerstörung die Lage verschlimmert“. Über Artikel 5 verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten entsprechend, „eine allgemeine Politik zu verfolgen, die darauf gerichtet ist, dem Kultur- und Naturerbe eine Funktion im öffentlichen Leben zu geben und den Schutz dieses Erbes in erschöpfende Planungen einzubeziehen“.

 

Die dadurch besonders herausgehobenen Welterbestätten können bei der Umsetzung der Agenda 2030 einen ganz besonderen Stellenwert einnehmen. Sie vereinen die ökologische, ökonomische und soziale Dimension der Nachhaltigkeit und sind Orte der Begegnung und des Lernens. Gerade in der Vermittlungsarbeit von Welterbestätten erfahren insbesondere auch junge Menschen von den globalen Zusammenhängen kulturellen Handelns und natürlicher Ressourcen. Am Beispiel des Wattenmeers etwa zeigt sich, dass das Welterbe geradezu als Innovationsmotor dienen und wichtige Impulse für die regionale Entwicklung setzen kann: Als grenzüberschreitende Welterbestätte, die sich teilweise mit Nationalparks und Biosphärenreservaten überschneidet, beherbergt das Wattenmeer über 10.000 Tier- und Pflanzenarten. Gleichzeitig ist es mit über 10 Millionen Übernachtungsgästen jährlich ein beliebtes touristisches Ziel. Das gemeinsame deutsch-dänisch-niederländische Wattenmeer-Sekretariat hat sich eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie gegeben: Sie schützt die Welterbestätte, stärkt die regionale Wirtschaft und fördert das Zusammenleben der Bevölkerung mit der Natur.

Roman Luckscheiter
Roman Luckscheiter ist Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission.
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