Ausgehend von der Verwendung als Nahrung und einer kultischen Verehrung wurden zahlreichen Insekten verschiedenste Heilwirkungen zugeschrieben. Diese „Heilwirkungen“ können ohne jede materielle Grundlage, die erzielten „Erfolge“ vielmehr psychisch bedingt sein oder völlig andere Ursachen haben. Andererseits ist tatsächlich eine Wirkung möglich, die auf bestimmten Inhaltsstoffen beruht. So hat z. B. das Pederin – eine in einem Raubkäfer vorhandene Substanz – die Eigenschaft, das Wachstum von bestimmten Tumorzellen zu hemmen. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Wichtigkeit der Erhaltung der Artenvielfalt, auch aus ganz egoistischen Motiven. Mit jeder Tier- und Pflanzenart, die verschwindet, sind auch mögliche Naturstoffe weg, deren Kenntnis wohl erst der Zukunft vorbehalten wäre.
Es gibt eine Fülle von bildlichen Insektendarstellungen; verschiedene Arten sind einziger Inhalt oder Element von Kunstwerken. Man denke an „Maria mit den vielen Tieren“ von 1503 und „Anbetung der Heiligen drei Könige“ von 1504 von Albrecht Dürer. Die berühmte Einzeldarstellung eines Hirschkäfers aus dem Jahre 1505 ist allgemein bekannt. Bei Wilhelm Busch wimmelt es von Insektendarstellungen. In „Hänschen Däumling“ kommen viele vor. Auch die Bildergeschichtensammlung „Schnurrdiburr oder die Bienen“ enthält entsprechende Zeichnungen. Im alten China waren die Leuchtkäfer Sinnbild der Schönheit. Man findet sowohl in China wie auch in der Kunst Japans Leuchtkäfer oft als Gegenstände von Holzschnitten oder als Motive farbiger Bilder auf Seide.
Darstellungen von Insekten sind aber viel älter. In Laugerie-Basse, Dordogne, fand man eine etwa 14.000 Jahre alte Marienkäferplastik aus Mammutelfenbein, die der jungsteinzeitlichen Epoche des Magdalénien zugeordnet wird. Sie trägt auf jeder Flügeldecke drei Punkte und stellt wahrscheinlich einen Siebenpunkt-Marienkäfer dar. Offenbar war es ein Anhänger, denn die Plastik ist vorn durchbohrt und wurde sicher als Schmuck getragen. Unter den Felsmalereien der San in Südafrika fällt auch eine künstlerisch hervorragend gestaltete Gottesanbeterin auf.
Insekten als Motive sind in allen Richtungen der darstellenden Kunst zu finden. Unter den Wappentieren finden sich auch Insekten, z. B. Heuschrecken, Fliegen, Schmetterlinge, Käfer und die Honigbiene. Auf den berühmten Bronzetüren von Lorenzo Ghiberti am Baptisterium in Florenz sind inmitten biblischer Szenen ein Hirschkäfer und andere Insekten in Bronze gegossen. Die Kunst des Naturabgusses verwendete ebenfalls Insekten, die vor allem mit Silber übergossen und damit dauerhaft nachgebildet wurden, z. B. ein silbernes Schreibzeugkästchen des Nürnberger Goldschmiedes Wenzel Jamnitzer. Auch die Porzellankunst hat Insektenmotive verwendet. So ist ein Hirschkäfer auf einer prächtigen Porzellanplatte aus Meißner Porzellan aus der Hand von Johann Joachim Kändler zu finden. Sogar die Goldschmiedekunst hat sich bei der Herstellung von Schmuck gern von Insekten inspirieren lassen. Mit reicher Fantasie schufen Goldschmiede elegante Broschen aus Gold und Silber. Selbst in der Architektur des 20. Jahrhunderts lassen sich Darstellungen von Insekten finden, z. B. in einem Hotel bei Varese in Norditalien, wo ein Durchgang mit Säulen und Hirschkäfer-Kapitellen geschmückt ist.
Völlig unübersehbar dürfte die Verwendung von Marienkäfermotiven im Kunstgewerbe – im weitesten Sinne – sein. Sie reicht von Modellen für Schmuck – Ohrringe, Fingerringe, Anhänger – über Spielzeug – z. B. auf Rädern zum Ziehen –, Talismane, Amulette, Armbänder, Anstecker, Papiermuster, Briefpapier, Kinderbekleidung, Karnevalskostüme und Klebefiguren bis zur Schokoladenverpackung. Nahezu unendlich ist die Vielfalt einschlägiger Glückwunschkarten.
Zoologische Motive – auch Insekten – gehören in aller Welt zu den besonders beliebten Bildvorlagen von Postwertzeichen und erreichen mitunter eine hervorragende Qualität der Abbildung und werden oft künstlerisch bearbeitet. Selten ist ihre Präsenz auf Münzen.
Und was tun wir angesichts der Fülle an Berührungspunkten zwischen uns und den Insekten? Wenn man bedenkt, wie groß und unwiederbringlich die Verluste an der Vielfalt der Insekten bereits sind, zunehmend auch in ihrer Anzahl, so kann die Schlussfolgerung nur sein – es müssen alle Register gezogen werden, um wenigstens einen Stillstand zu erreichen. Eine Wiederherstellung der ursprünglichen Vielfalt ist im Ganzen unmöglich. Sie gelingt nur in winzigen Ausschnitten, die aber wenigstens für die Seele etwa Gutes bewirken. Und immer gilt natürlich die Feststellung, dass auch die kleinste Tat gut ist. Man wird erinnert an Marlene Dietrich und ihr Lied „Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben“.
Die Kunst ist eine Macht, die durchaus helfen kann. Sie kann Liebe erwecken und bestärken, Verantwortung anmahnen, aufrütteln, die Ursachen für das Verschwinden beim Namen nennen und ihre Protagonisten entlarven, sie kann tadeln und loben – und sie wird gehört! Es geht bei allem schließlich um uns selbst.
Viele Arten sterben aus, ehe wir sie überhaupt kennen. Man meint, dass die Menschen bei zunehmender Entfernung von der Natur andererseits ein immer größer werdendes Bedürfnis nach Kontakt mit der Lebewelt entwickeln. Diese „Biophilie“ genannte Erscheinung lässt hoffen. Dennoch soll uns die folgende, vor 600 Jahren von Kamal ad-Din ad Damiri mitgeteilte Geschichte Mahnung sein, sorgfältiger mit den unwiederholbaren Schätzen der Natur umzugehen.
„Der Kalif Umaiibu-el-Khattab wurde einst sehr unruhig, weil die Heuschrecken ausblieben. Er schickte die Boten aus, nach Syrien, nach Jemen, nach Iran. Der letzte der Boten brachte einige Heuschrecken mit, worauf der Kalif mit Freude ausrief: Sie leben noch! Ich habe gehört, dass Allah 1.000 Arten Tiere schuf und dass als Erste davon die Heuschrecke aussterben wird. Sobald sie aber ausgestorben ist, werden alle anderen Tierarten folgen, so wie die Perlen von einer Kette rollen, deren Schnur zerriss.“
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.