Von kopierten Picasso-Grafiken und gestohlenen Kulturschätzen

Der Kunstmarkt und das Verbrechen

Es sind dann auch diese speziellen Gepflogenheiten auf dem deutschen wie internationalen Kunstmarkt, die besagte Taten und noch viele andere Fälle von Betrug, Hehlerei, Antikenschmuggel und Steuerhinterziehung erst möglich gemacht haben. Zusammen mit Stefan Koldehoff habe ich für das kürzlich erschienene Buch „Kunst und Verbrechen“ zahlreiche exemplarische Fälle analysiert, dabei kristallisierten sich gewisse Strukturen und Muster heraus, die es den Tätern leicht machen: Obwohl es teilweise um Millionenwerte geht, werden viele Kunstgeschäfte noch immer per Handschlag abgewickelt. Der Insiderhandel ist auf dem Kunstmarkt nicht verboten, es gibt keine der Börsenaufsicht vergleichbare Institution, die Preise auf öffentlichen Auktionen können leicht durch die Vertreter der Künstler manipuliert werden. Betrüger wie Beltracchi flogen auch deshalb nicht früher auf, weil die Auktionshäuser und Kunstgalerien noch immer auf ihre angeblich lang tradierte Diskretion pochen: Meistens werden die Namen der Vorbesitzer von Kunstwerken vor den Käuferinnen geheim gehalten. So geheimnisvoll wie auf dem Kunstmarkt, sagte ein Analyst, dessen Bank mit Helge Achenbach vor dessen Festnahme zusammengearbeitet hatte, seien die Gepflogenheiten sonst nur auf dem internationalen Diamantenmarkt – doch könne man sich auf diesem immerhin relativ leicht auf den Wert eines Diamanten einigen.

 

Kunstkäufe im Hochpreissegment werden oft über Off-Shore-Firmen abgewickelt, deren wirtschaftlich Berechtigte im Dunklen bleiben. Begünstigt wurden solche intransparenten Geschäfte in der Vergangenheit noch, wenn sich die Kunstware in Freihäfen in Singapur, Luxemburg oder Genf befand. In einigen dieser Darkrooms des globalen Kunstmarkts können Kunstwerke nicht nur steuerfrei, sondern auch weitgehend frei von sonstigen Kontrollen gelagert und gehandelt werden. In der Vergangenheit tauchten in solchen Freeports auch geschmuggelte Antiken und einst von den Nazis geraubte Kunstwerke wieder auf.

 

„Man kann nicht mehr als 100 Prozent Eigentum an einem Kunstwerk verkaufen“, erklärte der New Yorker Staatsanwalt im Sommer 2020 nach der Verhaftung des Galeristen Inigo Philbrick. Eine nur scheinbar überflüssige Feststellung, denn Philbrick habe in den vergangenen Jahren genau das erfolgreich getan, bevor er sich in die Südsee absetzte, so klagen mehrere seiner Kunden: Kunstwerke seien in Anteilen oder als Ganzes mehrfach an verschiedene Besitzer verkauft und schließlich, als sie Philbrick längst nicht mehr gehörten, von ihm noch als Sicherheit für Millionenkredite bei anderen Firmen hinterlegt worden. Möglich machte diesen Betrug auch, dass es für Kunstwerke keine verpflichtenden Eigentümerverzeichnisse gibt – wie etwa Grundbücher für Immobilien oder Fahrzeugbriefe für Autos.

 

Einige Gesetzesänderungen haben in den vergangenen Jahren schon für etwas mehr Sicherheit auf dem Kunstmarkt gesorgt, so wurde etwa durch die Schweizer Politik eine gewisse Transparenz der Eigentümerverhältnisse in den dortigen Freilagern durchgesetzt. In Deutschland schreibt das neue Kulturgutschutzgesetz – gegen das einige Lobbyisten des Kunstmarkts mit unhaltbaren Behauptungen und Schreckensszenarien agitiert hatten – seit 2016 zumindest einige erweiterte Sorgfaltspflichten vor, etwa dass Händlerinnen und Galeristen Unterlagen zur Identität eines Kunstkäufers oder einer Kunstverkäuferin 30 Jahre lang aufbewahren müssen. Mit solchen Unterlagen könnten in Zukunft die Wege von Werken, die sich als Raubgut oder Fälschung herausstellen, besser aufgeklärt werden. Und doch fehlt ein Gesetz, das etwa die Einziehung von Kunstfälschung erleichtern würde. Auch fehlt es in vielen Bundesländern an spezialisierten Ermittlern, die sich dem Kunstverbrechen annehmen. Neben dem Bundeskriminalamt beschäftigen nur die Landeskriminalämter in Baden-Württemberg, Bayern und Berlin Kommissare, die hauptberuflich billig kopierten Picasso-Grafiken und aus Museen gestohlenen Kulturschätzen auf der Spur sind. Sie sollten in Zukunft ebenso gestärkt werden wie all jene engagiert und leidenschaftlich arbeitenden Auktionatorinnen, Galeristen und Kunstexpertinnen, für die Kunst nicht ein Mittel zum Anlagebetrug ist – sondern ein Schatz voll Drama und Witz, Kritik und Schönheit.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.

Tobias Timm
Tobias Timm schreibt als Autor unter anderem für DIE ZEIT.
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