Kunsthandel im Nationalsozialismus

Die Provenienzforschung braucht geeignete Förderprogramme, mehr Transparenz und effizientere Netzwerke

Kulturgüter zirkulieren. Sie wechseln Standorte, Besitzverhältnisse und Kontexte. Zu einem bestimmten Zeitpunkt aus einer bestimmten Motivation heraus geschaffen, gefertigt oder produziert, werden Kulturgüter gesammelt und gehandelt, somit verpackt, transportiert, versichert, gekauft, empfangen, verwahrt oder präsentiert. Kulturgüter werden auch gestohlen und geraubt. Sie werden in Krisenzeiten geplündert, transloziert oder sichergestellt. Sie werden in kriegerischen Auseinandersetzungen, Diktaturen, autoritären Regimen oder unter ungleichen Machtverhältnissen konfisziert, enteignet, verschleppt oder zerstört. Immer sind hierbei menschliche Akteure im Spiel, denn Kulturgüter werden übergeben, von Hand zu Hand. Diese Hand- bzw. Besitzwechsel, ihre Eckdaten und Zeugnisse zu dokumentieren, kontextualisieren und zu bewerten ist Aufgabe der Provenienzforschung.

Vor allem im Kunsthandel hat Provenienzforschung eine lange Tradition. Als Bestandteil der fachlichen Expertise gehört sie seit dem 18. Jahrhundert zur Praxis der Vermittlung von kulturellen Objekten, da deren Biografie nicht nur Rückschlüsse auf Authentizität zulässt, sondern ihr zentrale Bedeutung bei der Wertbestimmung zukam. Kurz: Je renommierter die Sammlungen, in denen sich kulturelle Objekte einst befunden haben, desto vermeintlich höher deren Qualität und somit auch ökonomischer Wert. Provenienzforschung ist deshalb untrennbar mit der Geschichte des Kunstmarktes im 19. und 20. Jahrhundert verbunden, der Entwicklung von Verkaufskatalogen, Werkverzeichnissen und des „Expertisenwesens“.

 

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Situation allerdings enorm gewandelt. Die auf der 1998 in Washington durchgeführten „Conference on Holocaust-Era Assets“ verabschiedeten Washington Principles fordern Aufklärung ungesicherter Provenienzen von Kunstwerken vor allem in öffentlichem Besitz. Auch das gesteigerte Interesse der Medien hat Debatten um NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, um Restitution und Wiedergutmachung entfacht und zur Sensibilisierung im Umgang mit Kulturgut beigetragen. In diesen Debatten geht es jedoch vor allem um den politisch-moralischen Stellenwert der Provenienzforschung, um die gesellschaftliche Verantwortung gegenüber Anspruchsberechtigten, deren Vorfahren während des Nationalsozialismus Kunstgegenstände widerrechtlich entzogen worden waren.

 

Diese Debatten lenken nun den Blick zurück auf eben jene Branche, die sich – obwohl historisch so eng mit Provenienzforschung verknüpft – im Hinblick auf ihre Rolle im Nationalsozialismus als äußerst undurchsichtig erweist: den Kunst- und Antiquitätenhandel. Im Juni 1939 schrieb der ehemalige Direktor des Staatlichen Kunstgewerbemuseums Wien, Hermann von Trenkwald, in einem Traktat: „Den Juden ist das in ihrem Besitze befindliche Kunst- und Kulturgut, an dem ihre Rasse schaffend nie beteiligt war, zu entziehen und in arische Hände zu bringen. Die Überleitung in arischen Besitz erfolgt über den Kunsthandel.“ Und auch in Klaus Manns 1939 in Amsterdam verlegten Exilroman „Der Vulkan“ heißt es: „ein paar wichtige Auktionen, weißt du; so viele reiche Leute ziehen doch jetzt weg von Deutschland, und da kommen Dinge auf den Markt, die sonst gar nicht zu kriegen gewesen sind… .“ Die Zitate zeugen von der signifikanten Rolle, die dem Kunstmarkt bei der sukzessiven Stigmatisierung, Entrechtung, Enteignung und schließlich Ermordung jener deutschen Bürger zukam, die nach NS-Definition als „Juden“ galten oder anderweitig verfolgt waren. Es geht um „Umverteilung“ und „Verwertung“ einer nicht mehr zu beziffernden Masse an NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut – angefangen mit den durch Berufsverbote, diskriminierende Fiskalpolitik, Sühne- und Zwangsabgaben oder andere Repressalien forcierten Zwangsverkäufen, über zurückgelassenes Auswanderungsgut, Enteignungs- bzw. und „Arisierungsmassen“ bis hin zum Raub- bzw. Beutegut aus den besetzten Gebieten.

 

Doch noch immer gehört die Geschichte des Kunsthandels im Nationalsozialismus zu den Forschungsdesideraten. Von der radikalen Ausschaltung „nichtarischer“ Händlerinnen und Händler und der Auflösung ihrer Geschäfte in einer konzentrierten Aktion im Sommer 1935 profitierten alteingesessene „arische“ Unternehmen ebenso wie Sammlerinnen bzw. Sammler und öffentliche Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken und Archive. Involviert waren Behörden, Museumsfachleute und Sachverständige, aber auch „Marchand-amateurs“ sowie temporäre – auch dubiose – Mittelspersonen. Sie kooperierten mit NS-Behörden, -Funktionären und Sonderstäben, mit Hitlers „Sonderbeauftragten“ für das geplante, aber nie realisierte „Führermuseum“ in Linz, mit Finanzämtern, der Gestapo, dem Zoll, aber auch mit Banken, Speditionen, Transport- oder Versicherungsunternehmen. Es ist eine maßgebliche Aufgabe der Provenienzforschung, den Kunstmarkt in seiner Rolle als Dreh- und Angelpunkt im perfiden System des Kunst- und Kulturgutraubs zu beleuchten. Nur so können Grundlagen für die Identifizierung von NS-Raubgut in öffentlichen Sammlungen gelegt, nur so können optimale Voraussetzungen für Einzelfallrecherchen geschaffen und Kulturgüter restituiert werden.

Meike Hopp
Meike Hopp leitet das Fachgebiet für Digitale Provenienzforschung an der TU Berlin. Sie ist außerdem Vorsitzende des Arbeitskreis Provenienzforschung.
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