„Videokunst darf nicht von der übrigen Kunst separiert werden“

Die Frankfurter Galeristin Anita Beckers im Gespräch

 

Was machen Sie, wenn ein Künstler oder eine Künstlerin sich in eine Richtung entwickelt, die Ihnen nicht gefällt oder wo Sie denken, dass Sie die Werke nicht mehr verkaufen können?

Das ist das Schwierigste überhaupt an dem Beruf. Sie haben z. B. einen Maler mit einem unglaublichen Talent, aber dann entwickeln sich seine Arbeiten in eine Sackgasse. Das zu kommunizieren, ohne den Künstler oder die Künstlerin zu verletzen, ist das Schlimmste in meinem Job. Sie präsentieren sich durch ihre Kunstwerke „nackt“, sind dadurch verletzlich.

Ihnen offen meine Meinung zu sagen, ist daher nicht einfach. Zumal in einer Kleinstadt wie Frankfurt, wo es für Künstler nicht so viele Möglichkeiten gibt.

 

Was macht eine gute Galeristin aus?

Das Wichtigste ist, dass sie oder er ehrlich zu den Künstlern ist und gegenseitiges Vertrauen entsteht. Deshalb ist es mir so wichtig, mit jungen Leuten zu arbeiten und ihnen in ihrer Entwicklung ein Feedback zu geben, ihnen auch andere Wege aufzuzeigen. Künstler müssen sich auf die Galerie verlassen können, dass sie für sie arbeitet und ihre Werke in wichtige Ausstellungen bringt. Das bedeutet intensive Arbeit. Früher habe ich auch viel Geld in Produktionen und in die ständig zu erneuernde Technik für das Zeigen von Videokunst gesteckt. Das kann ich heute nicht mehr leisten.

Wichtig ist auch, dass Künstler nach Verkäufen rasch ihren Anteil erhalten. Viele Galerien sind in einer so schlechten wirtschaftlichen Lage, dass sie ihre Künstler nur noch schleppend bezahlen können. Der Staat könnte hier helfen, indem er die Mehrwertsteuer für Kunstwerke wieder auf den erniedrigten Satz senkt. Deutsche Galerien sind auch wegen der hohen Abgaben auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähig. Große Galerien z. B. in USA haben einen Jahresumsatz, der höher liegt als der Gesamtumsatz aller deutschen Galerien und Auktionshäuser zusammen: rund 500 Millionen Euro im Jahr.

 

Was wird für Video-Werke auf dem Kunstmarkt gezahlt?

Je nach Popularität der Künstler das Gleiche wie für andere künstlerische Medien. Dabei bewegen wir uns in einem Bereich von 2.000 bis 100.000 Euro und aufwärts.

 

Für Werke international bekannter Maler wie Gerhard Richter werden heute gigantische Summen gezahlt. Ist da eine spekulative Blase entstanden?

Seit es auf dem Kapitalmarkt keine Zinsen mehr gibt, sind Kunstwerke vor allem der klassischen Moderne zu einer Anlage geworden. In der Finanzkrise ist viel Geld vernichtet worden. Auch wenn Kunstpreise ebenfalls davon betroffen waren, kann man nach Jahren wieder eine Wertsteigerung beobachten. Und vor allem: Der Wert bleibt im Gegenteil zum Kapitalmarkt physisch erhalten. Damit habe ich jedoch mit meinen jungen Künstlern nichts zu tun.

 

Was hat sich sonst auf dem Kunstmarkt geändert?

Seit es das Internet gibt, ist die Verfügbarkeit von Informationen zu Kunstwerken viel größer, und die werden von Sammlern genutzt. Dies hat den Markt in der Form verändert, dass unabhängig von der Qualität Käufe sich mehr am Mainstream orientieren und die Entdeckungen, die gerade in der Kunst so inspirierend sein können, in den Hintergrund treten. Der Kunstmarkt hat sich den Gepflogenheiten des allgemeinen Marktes sehr angeglichen.

 

Ist das überall so?

In Asien kann man beobachten, dass gekauft wird, um wieder zu verkaufen. Bei uns gibt es noch Sammler, die mit Herzblut dabei sind. Daneben spielt auch eine Rolle, sich soziales Prestige durch Kunstkaufen zu erwerben. Für Videokunst gibt es jedoch noch immer viel zu wenig Sammler. Hier muss man auch die Verantwortung der Künstler sehen. Denn mit den heutigen technischen Möglichkeiten sollten sie in der Lage sein, Kunstwerke so zu entwickeln, dass sie auch in eine normale Wohnung wie eine Skulptur oder ein Bild integriert werden könnten.

 

Alle Museen sind wegen der Pandemie wieder zu. Galerien dagegen dürfen weiter öffnen.

Ich kann nicht verstehen, dass man Museen und Theater mit ihren guten Hygienekonzepten erneut geschlossen hat. Wir haben einen zusätzlichen Ausstellungsraum gemietet, um unsere Werke für die Kunstmesse in Paris zu zeigen, die nicht stattfinden kann. Trotzdem sind die Räume viel kleiner als in jedem Museum, aber die Ausstellung wird dankend angenommen. Diese Ungleichbehandlung kann ich nicht nachvollziehen. Mich macht allerdings glücklich, dass Kunst doch als systemrelevant einzustufen ist, denn nach dem Ende des ersten Lockdowns kamen die Besucher in großer Anzahl zurück. Das Interesse an Kunst scheint größer als vorher. Die Menschen sind froh, über die Kunst sich etwas Ablenkung und Hoffnung zu gönnen. Hier zeigt sich, dass Kunst und Kultur ein wichtiges identitätsstiftendes Momentum einer Gesellschaft darstellt. Ich hoffe sehr, dass auch die Theater und Museen bald wieder öffnen dürfen.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.

Anita Beckers & Ludwig Greven
Anita Beckers betreibt seit 1995 die auf Videokunst spezialisierte „Galerie Anita Beckers – Contemporary Art and Projects“, zunächst in Darmstadt und ab 1998 in Frankfurt am Main. Seit 2012 betreibt sie mit Julia Sökeland die Plattform blinkvideo.de. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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