Anita Beckers & Ludwig Greven - 2. Dezember 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kunstmarkt

„Videokunst darf nicht von der übrigen Kunst separiert werden“


Die Frankfurter Galeristin Anita Beckers im Gespräch

Ihre Vorliebe für junge Künstler, Videokunst und der Wandel des internationalen Kunstmarkts bewegen die Frankfurter Galeristin Anita Beckers. Im Gespräch mit Ludwig Greven gibt sie Auskunft.

 

Ludwig Greven: Seit wann arbeiten Sie als Galeristin?

Anita Beckers: In meinem früheren Leben war ich Lehrerin an einer kaufmännischen Berufsschule. Nach einer Krankheit konnte ich dahin nicht zurück und habe 1990 als Grafikverlegerin begonnen. Daraus ist meine Galerie entstanden, erst in Darmstadt, seit 1998 in Frankfurt. Ein Abenteuer, das ich auch jetzt in einem Alter noch betreibe, in dem andere längst in Rente sind. Es gibt nichts Inspirierendes, als jeden Tag mit Kunst und Künstler, zu tun zu haben.

 

Wie sind Sie dazu gekommen?

Mein Mann hat schon immer Kunst gesammelt. Ich hatte davon wenig Ahnung und musste das erst mühsam lernen. Über ihn habe ich auch die Künstler kennengelernt und habe gespürt, dass ihre Werke zu betrachten in mir etwas auslöst, was ich in keinem Geschäft kaufen kann.

 

Sie konzentrieren sich auf junge Künstler. Weshalb?

Gesammelt hatten wir bereits etablierte Künstler, z. B. Schüler von Josef Beuys. Die hatten damals größtenteils Professuren, über sie öffnete sich für mich der Weg in die Kunsthochschulen. Vorwiegend zeigten wir junge Positionen, und dadurch konnte ich neu erworbenes Wissen mit etablierten Künstlern immer wieder abgleichen. Durch einen wunderbaren Zufall rief mich eine Journalistin an und sagte, in Wiesbaden gebe es eine Ausstellung von Preisträgern des Marler Videokunstpreises, dies sollte ich mir unbedingt ansehen. Dort habe ich den jungen Preisträger Bjørn Melhus getroffen, dessen Werk hat mich in einer Weise begeistert und gefordert, wie ich es bis dahin nicht kannte. Das war die Initialzündung zur Eröffnung eines zusätzlichen Videoraums, den wir fast 20 Jahre lang neben der Galerie betrieben haben. Wir waren eine der ersten Galerien, die Videokunst auch auf Messen gezeigt haben. Darauf beruht wohl der internationale Bekanntheitsgrad der Galerie.

 

Ist das ein eigener Markt?

Ich habe immer dafür gekämpft, dass man die Videokunst nicht von der übrigen Kunst separiert. Aber die Zeige- und Sammelbedingungen sind andere. Wir haben anfangs fast nur an innovative Sammlungen und Museen verkauft. Es ist immer noch schwierig. Nur ungefähr 5 Prozent der weltweit vermarkteten Kunst ist Videokunst.

 

Wie wird so etwas gehandelt? Ein Bild, eine Skulptur ist ein Unikat. Von einem Video kann man theoretisch beliebig viele Kopien herstellen.

Das wird genauso gehandhabt wie in der Fotografie. Kein Künstler wird seinen eigenen Markt zerstören, indem er unerlaubt weitere Kopien in Umlauf bringt. Durch die Digitalisierung können die Kunstwerke heute mittels USB-Stick gehandelt werden. Der kommt in eine Box, mit einem Zertifikat, in dem der Künstler versichert, dass dies eine Kopie einer Edition von beispielsweise fünf ist, dass er eine Masterkopie als Sicherheit für sich behält und dass er den Film im Nachhinein nicht mehr verändert.

 

 

Wie bei Spielfilmen oder Fotografien könnte man nur das Nutzungsrecht verkaufen, sodass die Video-Werke auch für andere zugänglich blieben und nicht in einem Archiv verschwinden.

Ob auch die Videokunst und der künstlerische Film in Zukunft nur noch so gehandelt werden und ob damit eine größere Verbreitung einhergeht, wird von den Angeboten entsprechender Plattformen abhängen. Die Coronakrise hat dazu beigetragen, dass bereits vorhandene Möglichkeiten der Partizipation verstärkt angenommen werden. Mit der Hamburger Kollegin Julia Sökeland habe ich 2012 die Plattform Blinkvideo geschaffen. Darüber kann man sich ca. 2.000 Video-Kunstwerke anschauen. Die Plattform nutzen vor allem Kuratoren und Sammler zu Recherchezwecken. Verkauft wird allerdings noch immer über die Galerien.

 

Wie kommen Sie an neue Künstler und wie kommen die zu Ihnen?

Ich bin viel international unterwegs, gehe immer noch sehr viel in Hochschulen und bekomme Tipps von anderen Künstlern, Ausstellungsmachern oder Kunstprofessoren. Eigentlich habe ich schon zu viele Künstler, die ich betreue. Aber ich bin viel zu neugierig, um mit einem statischen Künstlerprogramm zu arbeiten. Ich schaue immer: Wo gibt es neue künstlerische Tendenzen, die ich vorher so noch nicht gesehen habe.

 

Haben Sie zu einigen Künstlern eine lange Verbindung?

Ja, mit dem Fotografen Anton Corbijn z. B. arbeite ich schon 25 Jahre zusammen. Mit vielen Künstlern entstehen zum Teil enge Freundschaften. Es ist das größte Glück für mich, an ihrer Welt teilhaben zu dürfen. Das eröffnet mir immer wieder neue Horizonte.

 

Was machen Sie, wenn ein Künstler oder eine Künstlerin sich in eine Richtung entwickelt, die Ihnen nicht gefällt oder wo Sie denken, dass Sie die Werke nicht mehr verkaufen können?

Das ist das Schwierigste überhaupt an dem Beruf. Sie haben z. B. einen Maler mit einem unglaublichen Talent, aber dann entwickeln sich seine Arbeiten in eine Sackgasse. Das zu kommunizieren, ohne den Künstler oder die Künstlerin zu verletzen, ist das Schlimmste in meinem Job. Sie präsentieren sich durch ihre Kunstwerke „nackt“, sind dadurch verletzlich.

Ihnen offen meine Meinung zu sagen, ist daher nicht einfach. Zumal in einer Kleinstadt wie Frankfurt, wo es für Künstler nicht so viele Möglichkeiten gibt.

 

Was macht eine gute Galeristin aus?

Das Wichtigste ist, dass sie oder er ehrlich zu den Künstlern ist und gegenseitiges Vertrauen entsteht. Deshalb ist es mir so wichtig, mit jungen Leuten zu arbeiten und ihnen in ihrer Entwicklung ein Feedback zu geben, ihnen auch andere Wege aufzuzeigen. Künstler müssen sich auf die Galerie verlassen können, dass sie für sie arbeitet und ihre Werke in wichtige Ausstellungen bringt. Das bedeutet intensive Arbeit. Früher habe ich auch viel Geld in Produktionen und in die ständig zu erneuernde Technik für das Zeigen von Videokunst gesteckt. Das kann ich heute nicht mehr leisten.

Wichtig ist auch, dass Künstler nach Verkäufen rasch ihren Anteil erhalten. Viele Galerien sind in einer so schlechten wirtschaftlichen Lage, dass sie ihre Künstler nur noch schleppend bezahlen können. Der Staat könnte hier helfen, indem er die Mehrwertsteuer für Kunstwerke wieder auf den erniedrigten Satz senkt. Deutsche Galerien sind auch wegen der hohen Abgaben auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähig. Große Galerien z. B. in USA haben einen Jahresumsatz, der höher liegt als der Gesamtumsatz aller deutschen Galerien und Auktionshäuser zusammen: rund 500 Millionen Euro im Jahr.

 

Was wird für Video-Werke auf dem Kunstmarkt gezahlt?

Je nach Popularität der Künstler das Gleiche wie für andere künstlerische Medien. Dabei bewegen wir uns in einem Bereich von 2.000 bis 100.000 Euro und aufwärts.

 

Für Werke international bekannter Maler wie Gerhard Richter werden heute gigantische Summen gezahlt. Ist da eine spekulative Blase entstanden?

Seit es auf dem Kapitalmarkt keine Zinsen mehr gibt, sind Kunstwerke vor allem der klassischen Moderne zu einer Anlage geworden. In der Finanzkrise ist viel Geld vernichtet worden. Auch wenn Kunstpreise ebenfalls davon betroffen waren, kann man nach Jahren wieder eine Wertsteigerung beobachten. Und vor allem: Der Wert bleibt im Gegenteil zum Kapitalmarkt physisch erhalten. Damit habe ich jedoch mit meinen jungen Künstlern nichts zu tun.

 

Was hat sich sonst auf dem Kunstmarkt geändert?

Seit es das Internet gibt, ist die Verfügbarkeit von Informationen zu Kunstwerken viel größer, und die werden von Sammlern genutzt. Dies hat den Markt in der Form verändert, dass unabhängig von der Qualität Käufe sich mehr am Mainstream orientieren und die Entdeckungen, die gerade in der Kunst so inspirierend sein können, in den Hintergrund treten. Der Kunstmarkt hat sich den Gepflogenheiten des allgemeinen Marktes sehr angeglichen.

 

Ist das überall so?

In Asien kann man beobachten, dass gekauft wird, um wieder zu verkaufen. Bei uns gibt es noch Sammler, die mit Herzblut dabei sind. Daneben spielt auch eine Rolle, sich soziales Prestige durch Kunstkaufen zu erwerben. Für Videokunst gibt es jedoch noch immer viel zu wenig Sammler. Hier muss man auch die Verantwortung der Künstler sehen. Denn mit den heutigen technischen Möglichkeiten sollten sie in der Lage sein, Kunstwerke so zu entwickeln, dass sie auch in eine normale Wohnung wie eine Skulptur oder ein Bild integriert werden könnten.

 

Alle Museen sind wegen der Pandemie wieder zu. Galerien dagegen dürfen weiter öffnen.

Ich kann nicht verstehen, dass man Museen und Theater mit ihren guten Hygienekonzepten erneut geschlossen hat. Wir haben einen zusätzlichen Ausstellungsraum gemietet, um unsere Werke für die Kunstmesse in Paris zu zeigen, die nicht stattfinden kann. Trotzdem sind die Räume viel kleiner als in jedem Museum, aber die Ausstellung wird dankend angenommen. Diese Ungleichbehandlung kann ich nicht nachvollziehen. Mich macht allerdings glücklich, dass Kunst doch als systemrelevant einzustufen ist, denn nach dem Ende des ersten Lockdowns kamen die Besucher in großer Anzahl zurück. Das Interesse an Kunst scheint größer als vorher. Die Menschen sind froh, über die Kunst sich etwas Ablenkung und Hoffnung zu gönnen. Hier zeigt sich, dass Kunst und Kultur ein wichtiges identitätsstiftendes Momentum einer Gesellschaft darstellt. Ich hoffe sehr, dass auch die Theater und Museen bald wieder öffnen dürfen.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/kunstmarkt/videokunst-darf-nicht-von-der-uebrigen-kunst-separiert-werden/