„Nutzungsmischung“

Wie sieht die Zukunft unserer Städte nach Corona aus?

Welche Lebensformen sind von der Pandemie besonders betroffen? Letztlich lebt zwar ein Drittel der Deutschen in Groß- und Mittelstädten – die Mehrheit aber lebt anders. In Kleinstädten oder ländlichen Räumen. Welche dieser Siedlungsräume sind heftiger von Pandemie und Restriktionen betroffen?

Aus der Analyse der Daten können wir sagen, dass es keinen expliziten Stadt-Land-Gegensatz gegeben hat. Die Ausbreitung der Pandemie folgte eher regionalen Spezifika. Bei den Wohnformen zeigte sich, dass Menschen in engeren Wohn- und Arbeitsverhältnissen stärker betroffen waren, die weder eigene Gärten noch Balkons haben. Die Pandemie lehrte, wie wichtig fußläufig erreichbare Grünflächen und Freiflächen sind, in denen man sich erholen kann.

 

Absehbar ist, dass die Pandemie zu einem stärkeren Anteil von Arbeit im Homeoffice führen wird. Die Entfernung zwischen Wohnort und Firmensitz wird vielleicht an Problematik verlieren, auch dürften Pendlerströme quantitativ geringer ausfallen. Lassen sich Prognosen anstellen, was das für die Entwicklung städtischer und ländlicher Räume bedeuten könnte?

Prognosen sind schwierig, da die Vermutungen, ob die Menschen nach Überwindung der Pandemie mehrheitlich wieder zum vorherigen Zustand zurück wollen oder ob ein erheblicher Veränderungsdruck schon in Gang ist, sehr weit auseinander- gehen. Ich denke, dass auf jeden Fall die Formen mobilen Arbeitens in Zukunft sehr viel größere Bedeutung bekommen werden. Wir haben auf Grundlage unserer statistischen Basis geschätzt, dass von allen deutschen Erwerbstätigen rund 20 Millionen Menschen in Formen mobilen Arbeitens eintreten könnten. Das sind etwa 45 Prozent aller Erwerbstätigen. Nicht alle werden an allen Tagen und gleichzeitig im Homeoffice tätig sei. Aber das Potenzial ist enorm. Pendlerströme werden zurückgehen und wohnortnahe Versorgungsangebote erhalten einen Aufschwung, weil diese Menschen ihre Einkäufe nicht mehr regelmäßig in der Stadt erledigen würden. Das hätte Konsequenzen für innerstädtische Immobilien und Bürostandorte, die nicht mehr in der Frequenz genutzt werden würden wie vor Corona. Diese Veränderungsprozesse der nächsten Monate und Jahre werden wir als BBSR sehr genau beobachten und für die Politik aufbereiten.

 

In Ihrer genannten Publikation „Informationen zur Raumentwicklung“ heißt es, dann müsse sich auch die Politik trauen, Voraussetzungen für staatliche Eingriffe zu schaffen, wenn Grundeigentümer verantwortungslos oder/und rein spekulativ agieren. Darin steckt eine Handlungsaufforderung an die Politik.

Wenn Sie städtisches Leben neu aufstellen und strukturieren wollen, hat das Konsequenzen für Nutzung und Eigentümerstruktur. Wenn Sie den Bau von Kitas, Schulen, Unis oder Wohnungen in innerstädtischen Lagen planen oder neue Formen des hybriden Einzelhandels entwickeln wollen, geht das nur, wenn Sie an die bestehenden Grundstücke und Gebäude herankommen. Die aufgeworfene Frage bedeutet, dass man mit den Eigentümern in sehr intensive Gespräche kommen muss. Wenn wir einen gesellschaftlichen Konsens haben, dass wir die Innenstädte als Markenzeichen europäischer Stadtkultur weiterhin mit Leben füllen wollen, stellt sich dann auch die Frage, welche Rechtsinstrumentarien die Städte und Gemeinden haben müssen, um an die Grundstücke und Liegenschaften heranzukommen, die für eine zukunftsfähige und liebenswerte Innenstadt notwendig sind. Nach meiner Auffassung lassen sich gute Strategien auch nur in Gemeinsamkeit mit Eigentümern entwickeln. Es wird auch nicht die Lösung, sondern immer einzelfallbezogene Lösungen für jeweilige Situationen geben. Die hängen mit politischen Mehrheitsverhältnissen und Eigentümerstrukturen zusammen.

 

Ihr Institut hat – gemeinsam mit dem BMI – vor gut einem halben Jahr einen Aufruf gestartet: „Post-Corona-Stadt“. Mit 3,5 Millionen Euro sollen 10 bis 15 konkrete Projekte prämiert werden, die Stadtgesellschaften im Umgang mit Krisen stärken sollen. Was hat sich seit der Ausschreibung getan?

Wir kommen auch an Wissen, indem wir in die Praxis hineinrufen mit der Frage: Wie löst ihr die Probleme, die ihr habt? Unsere Erfahrung zeigt, dass die Praxis sehr kreative Lösungen entwickelt, die auf andere Städte übertragbar sind. Das ist der Zweck solcher Aufrufe. Wir haben seit Sommer Meldungen und Angebote von Projekten von 222 deutschen Kommunen bekommen. Von Kleinstädten, Großstädten, Mittelstädten. Es sind Beispiele für die schon angesprochene Nutzungsmischung dabei, wie kulturelle Einrichtungen zur Lebendigkeit städtischen Lebens beitragen, wie neue Partner in Nutzungssysteme integriert werden können – eine sehr große Vielfalt kreativer Ideen. Krisen passieren. Zupackende Menschen mit guten Ideen sind der Garant für die Krisenbewältigung. Und davon haben wir reichlich.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Markus Eltges & Hans Jessen
Markus Eltges leitet das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Hans Jessen ist freier Journalist und ehemaliger ARD-Hauptstadtkorrespondent.
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