„Wenn aus dem Bild eine Geschichte wird, ist es ein gutes Bild“

Fotograf und Ostkreuz-Gründungsmitglied Harald Hauswald im Gespräch

 

Hat Ihr Erfolg in Westmedien auch damit zu tun, dass Sie als in der DDR lebender Fotograf andere Dinge und Momente erspüren konnten, als jemand, der – handwerklich durchaus qualifiziert – von außen reinkommt?
Absolut. In den Fotos stecken teilweise Metaphern, die hätte ein Wessi gar nicht sehen können. Z. B. ein schwarz-weißes Foto aus Pankow: Da sitzen drei Alte vor einer Hauswand mit dem Transparent „Frieden ist nicht Sein, sondern Tun“. In der DDR eine normale Szene, da gab’s viele Transparente. Vor diesem saßen nun aber 15 Rentner, die gerade „sehr viel“ tun. Das Foto habe ich gemacht. Ich weiß nicht, ob ein Außenstehender diese Situation gesehen hätte. Was ich vorhin sagte: Da fängt eine Geschichte an.

 

1990 gründeten Sie mit sechs anderen Fotografen die Agentur „Ostkreuz“ – ein prägnanter Titel, zumindest jeder Berliner kennt den S-Bahnhof Ostkreuz – war das auch ein programmatischer Anspruch?
Eigentlich steckt dahinter, dass der „Stern“ rund um den Mauerfall aktiv wurde. Sie hatten erwogen, die Gründung einer Bildagentur mit 50 Fotografen zu unterstützen. Taten sie dann doch nicht, weil sie sich selbst Konkurrenz gemacht hätten. Anfang 1990 hatte die französische Regierung dann 200 DDR-Künstler zu einem zehntägigen Event nach Paris eingeladen. Maler, Fotografen, Rockbands… Wir saßen mit vier oder fünf Fotografen in Paris im Café und meinten: Diese Agentur ist zwar gestorben – aber irgendwas muss aus der DDR rauskommen. Dann machen wir eben keine große, sondern eine kleine, feine Agentur. In Berlin haben wir uns dann wieder getroffen und zwei Tage nach einem Namen gesucht. Wir wollten nichts aus der Fotografie nehmen, das war zu platt. Es musste DDR und der Standort Berlin drinstecken. Irgendjemand sagte dann: „Ostkreuz“. Als Bahnhof kennt das jeder, steht für Begegnung, verschiedene Himmelsrichtungen, Berlin steckt drin, DDR, Menschen, Bewegung – alles, was Fotografie ausmacht, steckt in dem Begriff. Das war’s. Im Nachhinein hat sich der Name als Glückstreffer herausgestellt.

 

Welche Rolle spielte die berühmte Agentur „Magnum“ als Referenzmodell?
Genau diese: Referenzmodell. Wir wollten eine von Fotografen geführte Agentur. Wir wollten keinen Geschäftsführer, der mit Fotografie nichts zu tun hat und es rein wirtschaftlich sieht. Wir wollten eine selbst geführte Agentur, die dem einzelnen Fotografen zwar Arbeiten abnimmt, Bürokram und Organisation, aber es sollte weiter der Austausch über Fotografie stattfinden. Agentur bedeutet auch Lobby. Wo der Fotograf als Einzelkämpfer oft dem Honorar hinterherjagt, sind die Kunden bei Agentur viel zahlungswilliger, weil sie keine Lust auf Rechtsanwalt haben. Und es ging um Verträge. Wir mussten auch aufpassen, nicht mit Dumping-Verträgen zulasten der Westfotografen eingekauft zu werden.

 

„Ostkreuz“ wird dieses Jahr 30. Die Agentur ist international etabliert, sie ist stetig gewachsen – derzeit über 20 Fotografen. Wie verhindern Sie Beliebigkeit, an der auch schon Agenturen gescheitert sind?
Indem wir für uns selber überschaubar bleiben. Am Anfang war das sehr streng. Wenn jemand eine größere Geschichte gemacht hat, gab es eine Vorabnahme durch mindestens zwei Kollegen. Das war in der Agentur unausgesprochen unvermeidlich, um eine Geschichte so einzudampfen, dass es eine gute Präsentation wird. Uns wurde im Nachhinein oft bestätigt, dass Ostkreuz bei den Bildredaktionen sehr willkommen war, weil sie eine strenge Auswahl gezeigt haben. Neben der gleichbleibenden Qualität der fotografischen Arbeit in jeweils individueller Ausprägung war das ein wichtiger Grundstein.

 

Jeder macht heute Fotos mit dem Handy oder Tablet, Bilder zum Nulltarif, die Elektronik regelt alles automatisch – ist das der Tod der Fotografie als Lichtbildkunst? Wäre dieser Fortschritt uns besser erspart geblieben?
Jein. Die Entwickelung ist durch den technischen Fortschritt unvermeidlich. Diese Phase gab`s eigentlich schon einmal: Als Fotografie entstand, ging es der Malerei genauso. Porträt- und Landschaftsmalerei waren erledigt, das konnte die Fotografie schneller, besser, realitätsnäher. Die Malerei wich aus und erfand den Expressionismus, neue Geschichten.
Die digitale Entwicklung hat ihre Berechtigung, auch wenn es lächerlich ist, was alles an Selfies produziert wird und im Bilderschrott landet. Aber okay, das ist eine Form von Volksbefriedigung. Analog-Fotografie nimmt wieder zu, geht aber in Richtung Kunstform und ernsthafte Dokumentarfotografie. Analogfotografie ist mehr daran orientiert, irgendwann mal an der Wand zu hängen. Entweder zu Hause oder im Museum. Digitalfotografie ist eher eine Netzblase. Die wird nicht platzen, sondern größer. Aber viele Bilder haben ein schnelles Verfallsdatum. Manchmal vermisse ich das gute, alte Fotoalbum mit den selbst eingeklebten Aufnahmen.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.

Harald Hauswald und Hans Jessen
Harald Hauswald ist freischaffender Fotograf und Gründungsmitglied der Agentur Ostkreuz. Hans Jessen ist freier Journalist und ehemaliger ARD-Hauptstadtkorrespondent.
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