Bühne frei

Die Entwicklung der gesamtdeutschen Theaterlandschaft nach dem Mauerfall

Um einmal mit etwas Positivem anzufangen: Es sind im Zuge der deutschen Wiedervereinigung nicht viele Theater geschlossen worden. Sicher, es war einer der schwersten Einschnitte in die deutsche Theaterlandschaft, als 1993 die Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen Berlin, bestehend aus Schillertheater und Schlossparktheater, verfügt wurde. Zuvor hatte der Senat von Berlin schon dem einst von Erwin Piscator und später von Hans Neuenfels geleiteten Theater der freien Volksbühne die öffentliche Förderung entzogen. Auch das Kleist-Theater in Frankfurt an der Oder und die Landesbühne in Wittenberg haben die Wiedervereinigung nicht überlebt. Dasselbe gilt für das Metropoltheater und das Theater des Westens, beide ebenfalls in Berlin.

 

Manch ein geschlossenes Haus entpuppte sich als Stehaufmännchen. So beheimatete das Schillertheater für die lange Zeit der Renovierung des Hauses an der Prachtallee “Unter den Linden” die Berliner Staatsoper. Heute ist im Schillertheater vorübergehend die Komödie am Kurfürstendamm untergebracht. Das Schlossparktheater wurde zu einem erfolgreich von Didi Hallervorden betriebenen Privattheater. Im Theater der freien Volksbühne residieren schon lange die Berliner Festspiele. Und das Theater des Westens ist nicht mehr ein edles, der heiteren Muse gewidmetes öffentlich gefördertes Musiktheater. Aber tot ist es auch nicht. Es dient immer noch der Aufführung verschiedener Musicals.

 

Im Großen und Ganzen wurde also die deutsche Theaterlandschaft bis heute erhalten. Das gelang zwar nicht ohne einige Fusionen in den neuen Ländern, in denen es so viele Theater an kleinen Standorten gab, dass selbst die DDR über Schließungen nachgedacht hatte. Immer noch verzeichnet die Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins aber 142 öffentlich getragene Bühnen in Deutschland, also Stadt- und Staatstheater sowie Landesbühnen, eine Vielfalt ohnegleichen. Auch die zum Zeitpunkt der Wende in den alten Ländern verbreiteten Privattheater und Theater der freien Szene haben meist überlebt.

 

Einfach war das nicht. Ohne einen Sack Geld aus Bundesmitteln wäre es eng geworden. In einer fast schon spektakulären Hilfsaktion stellte die Bundesregierung seinerzeit einen jährlichen Betrag von zunächst 900 Millionen Mark zur Verfügung, um der Kultur in den neuen Ländern die Zukunft zu sichern. Später wurde es weniger, bis man schließlich die Förderung ganz einstellte. Da gab es dann ein böses Erwachen. Denn plötzlich mussten die neuen Länder und ihre Kommunen das viele, was gerettet werden konnte, aus eigenem Topf bezahlen, worauf sie nur begrenzt vorbereitet waren. Denn irgendwie hatte man im Osten geglaubt, das werde mit den Fördermitteln aus dem Bundestopf schon irgendwie weitergehen.

 

Schließungen galt es zu vermeiden, man macht sich ja nicht beliebt beim Wähler, wenn plötzlich das Kulturangebot heruntergefahren wird und Chöre, Orchester, Schauspieler oder Tänzer nach Hause geschickt werden. Um nun irgendwie weiterzukommen, erfand man die Strukturreform. Als veraltet und dringend reformbedürftig wurde das deutsche Stadttheatersystem bezeichnet. Zu unflexibel, zu personalintensiv, zu teuer, war der allgemeine Tenor. Besonders auf den Prüfstand kamen die in den Theatern und ihren Orchestern geltenden Tarifverträge. Sie seien, so hieß es, dringend reformbedürftig im Sinne der Kunst. Und es war nicht nur die Politik, die darauf einstieg. Die Presse spendete Beifall und es gab Intendanten, die schwärmten vom tariflosen Zustand.

 

Nun, dazu kam es bekanntlich nicht. Aber in Verhandlungen, die ihresgleichen suchen, wurde mühsam darum gerungen, das Verhältnis zwischen der Freiheit des künstlerischen Schaffens und dem sozialen Schutzbedürfnis der Mitarbeiter neu auszutarieren. Fast zehn Jahre nahm dieses Ringen zwischen dem Deutschen Bühnenverein für die Arbeitgeberseite und den Künstlergewerkschaften in Anspruch. Am Ende standen zwei neue Tarifwerke, die der Kunst mehr Spielraum ließen, dennoch aber den Mitarbeitern einen ausreichenden Schutz boten. Letztlich war das Ergebnis auch ein Beweis für das Funktionieren und die Bedeutung der Tarifautonomie.

 

Die neuen Tarifregelungen hatten jedoch einen Nachteil: Sie machten das Theater nicht wesentlich billiger. Vielmehr nutzten die Theater die neue Flexibilität, um mehr oder anders zu produzieren. Teilweise wurden aber auch die neuen Regelungen dort, wo man mit ihnen hätte Geld sparen können, gar nicht angewandt, vor allem von den Orchestern. So wurde die wirtschaftliche Not einzelner Kommunen im Kulturetat kaum gelindert. Deshalb kam es an verschiedenen Standorten immer wieder zu lokalen oder regionalen Sonderaktivitäten.

Rolf Bolwin
Rolf Bolwin war von 1992 bis 2016 Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins. Er arbeitet nun als Rechtsanwalt und betreibt in Bonn Stadtpunkt.Kultur – Büro für Kultur und die Künste.
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