„Wenn aus dem Bild eine Geschichte wird, ist es ein gutes Bild“

Fotograf und Ostkreuz-Gründungsmitglied Harald Hauswald im Gespräch

Bewusst oder unbewusst – mit hoher Wahrscheinlichkeit ist jedem schon mal eine Fotografie von Harald Hauswald begegnet: In gestochen scharfen schwarz-weißen Straßenfotos dokumentierte er das Leben in der DDR. Seine Aufnahmen vom Berliner Alexanderplatz haben sich in das Gesellschaftsgedächtnis eingebrannt. Hauswald gründete nach der Wende gemeinsam mit sechs DDR-Fotografen die Agentur der Fotografen: Ostkreuz, heute die erfolgreichste von Fotografen geführte Agentur Deutschlands. Hans Jessen spricht mit ihm.

 

Hans Jessen: Herr Hauswald, Sie haben mit 16 eine Fotografenlehre begonnen, zunächst im Geschäft Ihres Vaters, der Fotografenmeister war, dann bei einem anderen Meister. Diese Lehre haben Sie abgebrochen. Warum?
Harald Hauswald: Nach anderthalb Jahren in der Dunkelkammer und als Lampenhalter hatte ich noch nie einen Fotoapparat in der Hand gehabt. Ich bin ausgebrochen, hab dann in verschiedenen Tätigkeiten u.a. auf Baustellen und als Aufzugsmonteur gearbeitet. Es war damals in der DDR gang und gäbe, dass junge Leute viel getrampt und auch Bands hinterhergereist sind. Ein Gegenmodell zur FDJ-Schiene. 1972 bin ich rund 40.000 Kilometer getrampt – nur in der DDR, und einmal nach Ungarn. Geld hatte ich wenig. Also half ich den Bands, ihre Verstärkeranlagen aufzubauen. So kam ich umsonst in Konzerte, und backstage gab’s auch Verpflegung. Irgendwann war ich einer der ersten „Rock-Roadies“ der DDR – mit Berufsausweis.

 

Haben Sie in der Zeit fotografiert?
Nein, leider nicht. Ich hatte ja, wie gesagt, bis dahin nie einen Fotoapparat in der Hand gehabt. Ich habe den Roadie-Job 1972 bei der Band Bürkholz angefangen, ein halbes Jahr später das abrupte Ende: ich musste zur Armee.

 

Nach der Armee haben Sie die Fotografenlehre wieder aufgenommen. Warum?
Die Band Bürkholz war inzwischen verboten worden. Ich war ohne Job, ohne Berufsabschluss. An der TU Dresden bekam ich eine Stelle als ungelernter Fotograf, unter einem alten Fotografenmeister, wo ich handwerklich enorm viel gelernt habe – und eine Delegierung an die Fotografenschule nach Caputh bei Potsdam. Dort konnte ich 1976 meinen Fotografenabschluss nachmachen. Das hieß „Erwachsenenqualifizierung“. Ich habe einen Riesenrespekt vor Handwerk. Das versuche ich auch den Teilnehmern meiner jetzigen Workshops zu vermitteln: Sie sollen eine Ahnung vom Prozess kriegen, der in der Fotoarbeit steckt. Das muss so selbstverständlich werden, dass man nicht mehr drüber nachdenken muss, sondern es verinnerlicht. Eigentlich fängt dann erst das Fotografieren an.

 

Man sagt: Wer die Führerscheinprüfung besteht, darf Auto fahren, aber das Autofahren lernt man erst danach. Inwiefern gilt das auch für Ihre Entwicklung als Fotograf? Für die war ein Job als Telegrammbote im Prenzlauer Berg wichtig …
Dieses Lernen gilt bis heute. Die Arbeit mit der Kamera hatte in der wiederaufgenommenen Lehre in Dresden begonnen. Mein Chef dort gab mir am ersten Tag eine Kamera und ließ mich Fotos machen. Er war zwar dabei, hat sich aber als „Back-up“ im Hintergrund gehalten – für den Fall, dass meine Fotos nichts wären. Sie waren aber etwas und wurden in der Zeitung gedruckt. Plötzlich hatte ich Selbstbewusstsein. In Dresden begann ich, Landschaft und Architektur zu fotografieren, habe allmählich auch die Scheu vor Menschen abgelegt. Es ging darum, wann die Konstruktion eines Bildes stimmt. Ich glaube, man kann alles fotografieren, wenn man Spannung im Bild schafft.

 

1978 bin ich nach Berlin gezogen. Dort jobbte ich als Telegrammbote, weil ich von einem Tag auf den anderen hätte aufhören können, wenn mir eine Fotografenstelle angeboten worden wäre. Telegramme spielten in der DDR eine große Rolle, weil kaum jemand ein Telefon hatte. Als Telegrammbote kam ich nun wirklich auf jeden Hinterhof im Prenzlauer Berg und habe jeden Winkel gesehen. Die Kamera hatte ich immer dabei. Ich habe alles geknipst, was mich als Bild interessierte. Am Anfang oft Kinder und alte Leute – auch mit Teleobjektiv. Bis ein Freund sagte: „Schmeiß das Tele weg, nimm ein Weitwinkel, da kommst du näher ran.“

 

Haben Sie sich als Chronist empfunden?
Das habe ich damals nicht so empfunden, auch wenn es heute vielleicht zur Tatsache geworden ist. Fotografieren ist meine Eintrittskarte in die Welt. Die reicht heute über den damaligen Tellerrand hinaus, sie ist rund geworden. Ich bin neugierig – auf Begegnungen mit Menschen, auf Emotionen und darauf, es optisch umzusetzen. Am Anfang war ich noch relativ scheu. Später hat mir die Arbeit mit der Stephanus-Stiftung sehr geholfen. Behinderte zu fotografieren war ein wahnsinniger Lernprozess für die Annäherung an Menschen. Bei den Behinderten habe ich kapiert: Die kann ich fotografieren wie jeden anderen. Mit dem einen Unterschied: Sie lassen dich näher ran. Einer von ihnen sagte mal: „Eigentlich sind wir alle behindert – bloß bei uns haben sie es gemerkt.“ Diese Öffnung habe ich als Lernerfahrung auch auf die Straßenfotografie übertragen.

 

Unser Leben ist jeden Tag wie ein Film, der abläuft. Wenn Du den Fotoapparat hochhebst und ein Bild machst, ist das ein Ausschnitt dieses Films. Es geht darum, dass eine Geschichte erkennbar wird, und nicht nur ein Bildchen. Wenn aus dem Bild eine Geschichte wird, ist es ein gutes Bild.

 

Könnten Sie selbst definieren, ob Hauswald-Fotos ein gemeinsames Charakteristikum haben?
Das kann ich selbst schwer beurteilen, auch wenn mir oft nachgesagt wird, dass man meine Handschrift erkennt. Die schwarz-weiß Straßenfotografie war ausgeprägt in der DDR. Es gab viele Fotografen, die ihre Jobs hatten, aber damit unzufrieden waren und diese Sozialfotografie nebenbei gemacht haben. Es war eine Übernahme von „Magnum-Denken“ : Menschenwürdige Darstellung auf der Straße, das wäre die Kurzformel. Wobei Straße nicht nur Straße ist, sondern auch in Privaträume reingeht. Mir ist wichtig, die Menschen nicht zu denunzieren, aber sie darzustellen in einer Form, die dem Betrachter Nähe zulässt.

 

Fotografie ist Eintrittskarte in die Welt, war für mich aber auch der Versuch, mich vom Kopf her gegen die Umstände zu wehren. Befreiung.
Druck erzeugt Gegendruck, ich habe es bewusst gemacht – deswegen hat die Stasi das dann auch gesehen. Sie haben die Bilder genauso interpretiert, wie ich sie gemeint hatte. Das war auch ein Prozess. Bei illegalen „Wohnungslesungen“ lernte ich relativ schnell den Schriftsteller Lutz Rathenow kennen– er hat dann für die ersten Fotoveröffentlichungen im Westen gesorgt. Das war natürlich „staatsfeindlich“: Agententätigkeit, Staatshetze, Devisenvergehen. Das hätte zwölf Jahre Knast geben können. Seitdem durfte ich in der DDR praktisch nicht mehr veröffentlichen – außer in Kirchenzeitungen gab’s kaum noch etwas. Damit war der Weg vorgegeben, den ich dann weitergehen musste. Bis zum – für mich – gar nicht bitteren Ende. Für andere schon.

Harald Hauswald und Hans Jessen
Harald Hauswald ist freischaffender Fotograf und Gründungsmitglied der Agentur Ostkreuz. Hans Jessen ist freier Journalist und ehemaliger ARD-Hauptstadtkorrespondent.
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