Kein Nachteil ohne Vorteil

DDR-Architektur unter Denkmalschutz

 

Vielmehr noch sollte man darauf hinweisen, dass aus einem vermeintlichen Nachteil ein wenig beachteter Vorteil erwächst: Gerade die Serialität und die Wiederholung von Gebäudetypen und Bauweisen erlauben den Vergleich und die Einordnung, die für die denkmalpflegerische Bewertung so wichtig sind, in geradezu optimaler Weise. Die Probleme der Auswahl, die sich am Beispiel eines DDR-Schulbautyps zeigen – ob man nun den frühen Experimentalbau, den am besten erhaltenen Vertreter, oder doch den Einzelfall mit örtlichen Anpassungen unter Denkmalschutz stellt, sind natürlich zu lösen. Immerhin hat man jedoch diesen Vergleich zwischen sehr ähnlichen Bauten und kann ihn auf einer sehr guten Quellenbasis ziehen. Durch die überlieferten Typen- und Elementkataloge der einzelnen Bauweisen ist ein Wissen über die einzelnen Gebäude ohne invasive Bauforschung möglich, die noch dazu nicht an jedem Objekt von vorne beginnen muss. Da die Baubetriebe der DDR staatlich waren, finden sich deren Nachlässe oft samt Bauunterlagen in den Staats- und Landesarchiven der neuen Bundesländer und müssen nicht in privaten Firmenarchiven von mittlerweile an global agierende Konzerne verkaufte Unternehmen ausfindig gemacht werden. Zudem erscheint die Geschichte der DDR mittlerweile besser erforscht als die der alten Bundesrepublik, womit auch die historiografische Einordnung der Bauten in ihren gesellschaftlichen und politischen Kontext leichter von der Hand geht. Bliebe man also bei dem Beispiel eines unter Denkmalverdacht stehenden Schulbaus, so ist der Rechercheaufwand für einen Typen-Schulbau der 1970er Jahre aus der DDR und das Auswahlproblem weniger aufwendig zu lösen als bei einem individuellen Schulbau der 1970er Jahre der BRD – für den man in den überwiegenden Fällen eine Vielzahl an ebenso individuellen Vergleichsbauten untersuchen müsste und sich dabei nicht auf die Normung und Dokumentation des staatlichen Fertigteils verlassen könnte. Dem wiederholt vorgebrachten Lamento, die Beschäftigung mit dem Erbe der DDR-Architektur sei per se „unbequem“, lässt sich also mit der Betrachtung der Vorteile bei ihrer Erforschung eine positive Gegenerzählung entgegenstellen.

 

Ist nun also alles gut? Der Stand der Erfassung, das heißt, das Wissen um das baukulturelle Erbe der DDR und die sorgfältige Auswahl des zu Schützenden, zeigt sich in den Bundesländern immer noch recht unterschiedlich. Hier lässt sich zum einen ein Ungleichgewicht zwischen den Städten – allen voran Berlin – und den ländlichen Regionen ausmachen, aber auch zwischen einzelnen Bundesländern, die sich teils sehr offensiv mit Tagungen und Publikationen an ihr DDR-Erbe wagen, während in anderen Bundesländern diese Zeitschicht einer systematischen Erschließung noch harrt.

 

Eine solche Erschließung sollte dabei den verengenden Blick auf die DDR-Architektur als Spezifikum verlassen und den Sonderfall nicht weiter kolportieren. Beispielhaft gelungen ist dies in Berlin vor einigen Jahren mit der Unterschutzstellung der Siedlung Ernst-Thälmann-Park im Prenzlauer Berg, die nicht vorrangig als Zeugnis des DDR-Wohnungsbaus, sondern zunächst als Beispiel einer Großwohnsiedlung in Berlin eingetragen wurde – als Ergebnis einer vergleichenden Untersuchung der Großwohnsiedlungen in Ost- wie West-Berlin und mit dem Wissen darum, dass diese Siedlungen sich im Detail, nicht jedoch im Wesen unterscheiden.

 

Ein solches Vorgehen, das nicht die permanente Dichotomie der Unterschiede zwischen Ost- und Westarchitektur sucht, ist unabdingbar, um eine gesamtdeutsche Perspektive auf eine gesamtdeutsche Baugeschichte zu fördern und das Gemeinsame innerhalb einer internationalen Geschichte des Bauens im 20. Jahrhundert herauszustellen – auch, da man in wiederum einem Jahrzehnt das 40-jährige Jubiläum der Wiedervereinigung begeht, ab dem die DDR kürzer existiert haben wird als das wiedervereinigte Deutschland.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.

Kirsten Angermann
Kirsten Angermann ist Denkmal-pflegerin und Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar.
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