Kirsten Angermann - 5. Mai 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Ost-West-Perspektiven

Kein Nachteil ohne Vorteil


DDR-Architektur unter Denkmalschutz

Mit dem Verstreichen von 30 Jahren seit der Wiedervereinigung ist die für die denkmalpflegerische Bewertung gesetzte Demarkationslinie zum gebauten Erbe der DDR endgültig erreicht. Damit kann aus der Perspektive der Inventarisation, die laut den Denkmalschutzgesetzen Bauten aus „vergangener Zeit“ bewertet – was in der Praxis in einen Abstand zum zu untersuchenden Objekt von etwa einer Generation übersetzt ist –, auf den überlieferten Baubestand aus der gesamten DDR-Zeit geblickt werden. Dies war zwar bereits zuvor möglich, da gemäß einer anderslautenden Interpretation der „vergangenen Zeit“ eine abgeschlossenen Zeitepoche gemeint ist und diese Abgeschlossenheit durch das Ende der DDR bereits als erfüllt angesehen wurde. Nun sind denkmalrechtlich zumindest die temporalen Zweifel ausgeräumt. Es können somit selbst jene Bauten, die erst in den späten 1980er Jahren entstanden, ohne Bedenken betrachtet werden. Zudem taugen die nun vergangenen 30 Jahre dazu, den Umgang mit dem baukulturellen Erbe der DDR selbst zu historisieren.

 

Für eine solche Historie möchte man deren erstes Kapitel in den unmittelbaren Nachwendejahren ungern rekapitulieren. Mit der generalisierten Ablehnung einer vermeintlichen „Architektur ohne Architekten“ ging eine Entwertung der Leistungen und Biografien ihrer Akteurinnen und Akteure einher. Wie diese sollten die negativen Zuschreibungen und insbesondere die Reduzierung auf die industriell gefertigten Platten- und Typenbauten lange nachwirken. Während in Manier eines Bildersturms viele Bauten, insbesondere während der Hauptstadtwerdung Berlins, abgerissen wurden, wurden andere Bauten unter Denkmalschutz gestellt oder deren DDR-zeitlicher Denkmalstatus bestätigt: Den Abrissen der noch im Bau befindlichen Passagen Friedrichstadt in der Friedrichstraße, des Außenministeriums auf der Spree­insel oder des Hotels »Berolina« an der Karl-Marx-Allee stehen Denkmale wie das Café Moskau, das Kino International oder die Wohnbebauung am Platz der Vereinten Nationen gegenüber. Auffällig ist in diesen Fällen, dass vielleicht gerade wegen der anfänglichen Zuschreibung, in der DDR hätte es nur gesichtslose Plattenbauten gegeben, nun vor allem jene Sonderbauten denkmalpflegerische Aufmerksamkeit bekamen und somit eine Würdigung erfuhren, die man nicht darunter fassen konnte und die vorrangig aus den goldenen 1960er Jahren der Ulbricht’schen Repräsentationsarchitektur stammten.

 

Als Höhepunkt und gleichzeitig Abschluss dieser Phase kann der Abriss des Palasts der Republik ab 2006 gelten, der neben der ebenfalls in Berlin einige Jahre zuvor abgerissenen Großgaststätte „Ahornblatt“ auf der Fischerinsel zu den „heilsamen Schocks“ gehörte, die ein Aufbegehren in der Öffentlichkeit, die sich um Teile ihrer Lebens- und Erinnerungswelt beraubt sah, und eine Aktivierung der Fachwelt, die mit diesem gesellschaftlichen Rückhalt die historiografische Aufarbeitung der DDR-Architektur forcierte, nach sich zogen.

 

Der drohende Verlust, der zu den Schlüsselreizen der Denkmalpflege gehört, war hier Auslöser für ein ganzes Jahrzehnt Konjunktur in der Historiografie und denkmalkundlichen Erschließung des baukulturellen Erbes der DDR, das in Tagungsbänden, Ausstellungen und Qualifizierungsarbeiten Stück für Stück den Vorwurf der ausschließlichen Serialität und Monotonie der DDR-Architektur ausräumen konnte. Im Ergebnis besteht bei Architekturhistorikerinnen und -historikern heute eine Sensibilität selbst für die feinen Unterschiede der sogenannten „Einheitsplatte“ der Wohnungsbauserie 70 (WBS 70) zwischen Rostock und Suhl. Es wurden auch in der Öffentlichkeit Namen von Architektinnen und Architekten der DDR wie Peter Baumbach, Wolfgang Hänsch oder Iris Grund bekannt, während in den 1990er Jahren allenfalls Hermann Henselmann als ernst zu nehmender Vertreter seiner Profession akzeptiert war.

 

Gleichzeitig wurde während dieser für den Erhalt wichtiger Zeugnisse der Baugeschichte erfreulichen Hochphase der Beschäftigung mit DDR-Architektur ein permanenter Sonderfall konstruiert. Während ein solcher für die Auswahl der Denkmale ob ihrer spezifischen politischen, ökonomischen und kulturellen Entstehungskontexte in der DDR in Teilen noch begründbar ist, so lässt er sich spätestens für den denkmalpflegerischen Umgang mit zu DDR-Zeiten errichteten Bauten nicht aufrechterhalten. Hier kann man nur konstatieren, dass sich etwa bei aus Beton-Fertigteilen entstandenen Wohngebäuden in Ost wie West die gleichen konservatorischen Fragen stellen, für leer stehende Bauten in Ost wie West Nutzungen gefunden werden müssen, Fassaden mit katastrophalen Energiebilanzen und enthaltenen Schadstoffen denkmalgerecht ertüchtigt werden müssen – ohne zu viel Substanz und ohne die Anmut ihrer Erbauungszeit zu verlieren. Es gilt in Ost wie West, dass als monoton empfundene Zeugnisse der Nachkriegsmoderne oder als eklektisch verschriene Bauten der Postmoderne den gleichen Vermittlungsaufwand ihrer Denkmalbedeutung nach sich ziehen.

 

Vielmehr noch sollte man darauf hinweisen, dass aus einem vermeintlichen Nachteil ein wenig beachteter Vorteil erwächst: Gerade die Serialität und die Wiederholung von Gebäudetypen und Bauweisen erlauben den Vergleich und die Einordnung, die für die denkmalpflegerische Bewertung so wichtig sind, in geradezu optimaler Weise. Die Probleme der Auswahl, die sich am Beispiel eines DDR-Schulbautyps zeigen – ob man nun den frühen Experimentalbau, den am besten erhaltenen Vertreter, oder doch den Einzelfall mit örtlichen Anpassungen unter Denkmalschutz stellt, sind natürlich zu lösen. Immerhin hat man jedoch diesen Vergleich zwischen sehr ähnlichen Bauten und kann ihn auf einer sehr guten Quellenbasis ziehen. Durch die überlieferten Typen- und Elementkataloge der einzelnen Bauweisen ist ein Wissen über die einzelnen Gebäude ohne invasive Bauforschung möglich, die noch dazu nicht an jedem Objekt von vorne beginnen muss. Da die Baubetriebe der DDR staatlich waren, finden sich deren Nachlässe oft samt Bauunterlagen in den Staats- und Landesarchiven der neuen Bundesländer und müssen nicht in privaten Firmenarchiven von mittlerweile an global agierende Konzerne verkaufte Unternehmen ausfindig gemacht werden. Zudem erscheint die Geschichte der DDR mittlerweile besser erforscht als die der alten Bundesrepublik, womit auch die historiografische Einordnung der Bauten in ihren gesellschaftlichen und politischen Kontext leichter von der Hand geht. Bliebe man also bei dem Beispiel eines unter Denkmalverdacht stehenden Schulbaus, so ist der Rechercheaufwand für einen Typen-Schulbau der 1970er Jahre aus der DDR und das Auswahlproblem weniger aufwendig zu lösen als bei einem individuellen Schulbau der 1970er Jahre der BRD – für den man in den überwiegenden Fällen eine Vielzahl an ebenso individuellen Vergleichsbauten untersuchen müsste und sich dabei nicht auf die Normung und Dokumentation des staatlichen Fertigteils verlassen könnte. Dem wiederholt vorgebrachten Lamento, die Beschäftigung mit dem Erbe der DDR-Architektur sei per se „unbequem“, lässt sich also mit der Betrachtung der Vorteile bei ihrer Erforschung eine positive Gegenerzählung entgegenstellen.

 

Ist nun also alles gut? Der Stand der Erfassung, das heißt, das Wissen um das baukulturelle Erbe der DDR und die sorgfältige Auswahl des zu Schützenden, zeigt sich in den Bundesländern immer noch recht unterschiedlich. Hier lässt sich zum einen ein Ungleichgewicht zwischen den Städten – allen voran Berlin – und den ländlichen Regionen ausmachen, aber auch zwischen einzelnen Bundesländern, die sich teils sehr offensiv mit Tagungen und Publikationen an ihr DDR-Erbe wagen, während in anderen Bundesländern diese Zeitschicht einer systematischen Erschließung noch harrt.

 

Eine solche Erschließung sollte dabei den verengenden Blick auf die DDR-Architektur als Spezifikum verlassen und den Sonderfall nicht weiter kolportieren. Beispielhaft gelungen ist dies in Berlin vor einigen Jahren mit der Unterschutzstellung der Siedlung Ernst-Thälmann-Park im Prenzlauer Berg, die nicht vorrangig als Zeugnis des DDR-Wohnungsbaus, sondern zunächst als Beispiel einer Großwohnsiedlung in Berlin eingetragen wurde – als Ergebnis einer vergleichenden Untersuchung der Großwohnsiedlungen in Ost- wie West-Berlin und mit dem Wissen darum, dass diese Siedlungen sich im Detail, nicht jedoch im Wesen unterscheiden.

 

Ein solches Vorgehen, das nicht die permanente Dichotomie der Unterschiede zwischen Ost- und Westarchitektur sucht, ist unabdingbar, um eine gesamtdeutsche Perspektive auf eine gesamtdeutsche Baugeschichte zu fördern und das Gemeinsame innerhalb einer internationalen Geschichte des Bauens im 20. Jahrhundert herauszustellen – auch, da man in wiederum einem Jahrzehnt das 40-jährige Jubiläum der Wiedervereinigung begeht, ab dem die DDR kürzer existiert haben wird als das wiedervereinigte Deutschland.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.


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