Kein Nachteil ohne Vorteil

DDR-Architektur unter Denkmalschutz

Mit dem Verstreichen von 30 Jahren seit der Wiedervereinigung ist die für die denkmalpflegerische Bewertung gesetzte Demarkationslinie zum gebauten Erbe der DDR endgültig erreicht. Damit kann aus der Perspektive der Inventarisation, die laut den Denkmalschutzgesetzen Bauten aus „vergangener Zeit“ bewertet – was in der Praxis in einen Abstand zum zu untersuchenden Objekt von etwa einer Generation übersetzt ist –, auf den überlieferten Baubestand aus der gesamten DDR-Zeit geblickt werden. Dies war zwar bereits zuvor möglich, da gemäß einer anderslautenden Interpretation der „vergangenen Zeit“ eine abgeschlossenen Zeitepoche gemeint ist und diese Abgeschlossenheit durch das Ende der DDR bereits als erfüllt angesehen wurde. Nun sind denkmalrechtlich zumindest die temporalen Zweifel ausgeräumt. Es können somit selbst jene Bauten, die erst in den späten 1980er Jahren entstanden, ohne Bedenken betrachtet werden. Zudem taugen die nun vergangenen 30 Jahre dazu, den Umgang mit dem baukulturellen Erbe der DDR selbst zu historisieren.

 

Für eine solche Historie möchte man deren erstes Kapitel in den unmittelbaren Nachwendejahren ungern rekapitulieren. Mit der generalisierten Ablehnung einer vermeintlichen „Architektur ohne Architekten“ ging eine Entwertung der Leistungen und Biografien ihrer Akteurinnen und Akteure einher. Wie diese sollten die negativen Zuschreibungen und insbesondere die Reduzierung auf die industriell gefertigten Platten- und Typenbauten lange nachwirken. Während in Manier eines Bildersturms viele Bauten, insbesondere während der Hauptstadtwerdung Berlins, abgerissen wurden, wurden andere Bauten unter Denkmalschutz gestellt oder deren DDR-zeitlicher Denkmalstatus bestätigt: Den Abrissen der noch im Bau befindlichen Passagen Friedrichstadt in der Friedrichstraße, des Außenministeriums auf der Spree­insel oder des Hotels »Berolina« an der Karl-Marx-Allee stehen Denkmale wie das Café Moskau, das Kino International oder die Wohnbebauung am Platz der Vereinten Nationen gegenüber. Auffällig ist in diesen Fällen, dass vielleicht gerade wegen der anfänglichen Zuschreibung, in der DDR hätte es nur gesichtslose Plattenbauten gegeben, nun vor allem jene Sonderbauten denkmalpflegerische Aufmerksamkeit bekamen und somit eine Würdigung erfuhren, die man nicht darunter fassen konnte und die vorrangig aus den goldenen 1960er Jahren der Ulbricht’schen Repräsentationsarchitektur stammten.

 

Als Höhepunkt und gleichzeitig Abschluss dieser Phase kann der Abriss des Palasts der Republik ab 2006 gelten, der neben der ebenfalls in Berlin einige Jahre zuvor abgerissenen Großgaststätte „Ahornblatt“ auf der Fischerinsel zu den „heilsamen Schocks“ gehörte, die ein Aufbegehren in der Öffentlichkeit, die sich um Teile ihrer Lebens- und Erinnerungswelt beraubt sah, und eine Aktivierung der Fachwelt, die mit diesem gesellschaftlichen Rückhalt die historiografische Aufarbeitung der DDR-Architektur forcierte, nach sich zogen.

 

Der drohende Verlust, der zu den Schlüsselreizen der Denkmalpflege gehört, war hier Auslöser für ein ganzes Jahrzehnt Konjunktur in der Historiografie und denkmalkundlichen Erschließung des baukulturellen Erbes der DDR, das in Tagungsbänden, Ausstellungen und Qualifizierungsarbeiten Stück für Stück den Vorwurf der ausschließlichen Serialität und Monotonie der DDR-Architektur ausräumen konnte. Im Ergebnis besteht bei Architekturhistorikerinnen und -historikern heute eine Sensibilität selbst für die feinen Unterschiede der sogenannten „Einheitsplatte“ der Wohnungsbauserie 70 (WBS 70) zwischen Rostock und Suhl. Es wurden auch in der Öffentlichkeit Namen von Architektinnen und Architekten der DDR wie Peter Baumbach, Wolfgang Hänsch oder Iris Grund bekannt, während in den 1990er Jahren allenfalls Hermann Henselmann als ernst zu nehmender Vertreter seiner Profession akzeptiert war.

 

Gleichzeitig wurde während dieser für den Erhalt wichtiger Zeugnisse der Baugeschichte erfreulichen Hochphase der Beschäftigung mit DDR-Architektur ein permanenter Sonderfall konstruiert. Während ein solcher für die Auswahl der Denkmale ob ihrer spezifischen politischen, ökonomischen und kulturellen Entstehungskontexte in der DDR in Teilen noch begründbar ist, so lässt er sich spätestens für den denkmalpflegerischen Umgang mit zu DDR-Zeiten errichteten Bauten nicht aufrechterhalten. Hier kann man nur konstatieren, dass sich etwa bei aus Beton-Fertigteilen entstandenen Wohngebäuden in Ost wie West die gleichen konservatorischen Fragen stellen, für leer stehende Bauten in Ost wie West Nutzungen gefunden werden müssen, Fassaden mit katastrophalen Energiebilanzen und enthaltenen Schadstoffen denkmalgerecht ertüchtigt werden müssen – ohne zu viel Substanz und ohne die Anmut ihrer Erbauungszeit zu verlieren. Es gilt in Ost wie West, dass als monoton empfundene Zeugnisse der Nachkriegsmoderne oder als eklektisch verschriene Bauten der Postmoderne den gleichen Vermittlungsaufwand ihrer Denkmalbedeutung nach sich ziehen.

Kirsten Angermann
Kirsten Angermann ist Denkmal-pflegerin und Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar.
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