Theresa Brüheim: Frau Strasser, warum sind CETA und TTIP so gefährlich – auch für die Kultur?
Maritta Strasser: CETA und TTIP sind Abkommen, die auf die Beseitigung von Handelshemmnissen hinter der Grenze abzielen, d. h. sie beschäftigen sich nicht mit Zöllen und Quoten, wie das traditionelle Handelsabkommen tun, sondern sie setzen sich mit unterschiedlichen Regeln der Handelspartner auseinander – und zwar in ihrer gesamten Breite. Es gibt keinen Bereich, der vornherein ausgenommen ist, daher ist die Kultur eingeschlossen. Zudem ist die Kultur direkt betroffen durch Regeln, die z. B. kommunale Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung im Kulturbereich, geistiges Eigentum oder Handel mit Kulturgütern betreffen. Die Kultur ist auch indirekt betroffen durch mögliche Einschränkungen des finanziellen Handlungsspielraums infolge solcher Handelsabkommen.
Aktuell führt Campact vier Kampagnen gegen die Freihandelsabkommen CETA, TTIP und auch TiSA. Können Sie beispielhaft eine Kampagne herausgreifen und deren Funktionsweise erläutern?
Im Augenblick ist für uns die Kampagne „CETA aufhalten“ sehr wichtig. Das Abkommen ist fertig verhandelt und steht vor der Ratifizierung. Wir haben CETA über zwei Jahre kritisch begleitet. In dieser Zeit wurden zwar noch Nachbesserungen vorgenommen, aber insgesamt ist das ein Abkommen, das wir nicht für zustimmungsfähig halten.
Einerseits wurde im Bereich öffentliche Dienstleistungen ein völlig neuer Ansatz gewählt als in den vorherigen Handelsabkommen. Bisher wurden in Handelsabkommen einzelne Sektoren aufgelistet und liberalisiert. Jetzt kehrt man dieses Prinzip um, man liberalisiert alles – exklusive der Ausnahmen. Diese Ausnahmen befinden sich in zwei Annexen, welche die öffentliche Daseinsvorsorge – und das betrifft teilweise den Kulturbereich wie öffentliche Theater, Schulen, Museen, Bibliotheken usw. – nur unzureichend schützen. Überall klaffen Lücken, überall gibt es Angriffsmöglichkeiten von Privatkonkurrenten aus dem Ausland.
Andererseits enthält der Bereich zu Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Verbraucherschutz nur unverbindliche und nicht durchsetzbare Prosa. Ebenso ist es beim Arbeitnehmerschutz – genauer bei der Verpflichtung auf z. B. lokale Arbeitsnormen. Die sind bloß erwähnt, aber nicht als durchsetzbares Recht verankert. Dieser Schwäche bei den Rechten für Bürger steht die Einführung eines ganz massiven Instruments für Investoren gegenüber: Mittels der Investor-Staat-Schiedsverfahren kann an ordentlichen Gerichten vorbeigezogen werden. Es entsteht eine Paralleljustiz, die ausländischen Investoren eine Möglichkeit gibt, die Klauseln des Vertrages direkt einzuklagen, was aus zwei Gründen hochproblematisch ist: Zum einen ist es fragwürdig, warum es diese prozedurale Sonderbehandlung überhaupt geben soll. Die Unabhängigkeit der Personen, die in diesem Rahmen als »Richter« bezeichnet werden, aber nicht ordentliche Richter sein müssen und nur pro Fall bezahlt werden, steht im Zweifel. Zum anderen ist es materiell ein Sonderrecht. Während andere Bürger auf die Gesetze des Landes verwiesen werden, gelten für ausländische Investoren andere Bestimmungen, die einen sehr viel weitgehenderen Eigentumsschutz haben, und die ihnen vor allem nur Rechte, aber keine Pflichten auferlegen. Das alles sind Dinge, die bei CETA neu eingeführt werden und die es zu verhindern gilt! Deswegen ist der Erfolg der Kampagne „CETA aufhalten“ ein ganz, ganz wichtiges Ziel!
Wir haben diese Kampagne als breite Bündniskampagnen angelegt: Von Anfang an haben wir in dem Bündnis „TTIP unfairhandelbar“ gearbeitet, in Vorbereitung der Demonstration gegen TTIP und CETA am 10. Oktober 2015 in Berlin haben wir ein weiteres Bündnis gegründet, wo auch der Deutsche Kulturrat mitmacht. Entsprechend arbeiten wir in verschiedenen Bündnissen – teilweise auf transatlantischer und globaler Ebene.
Bei den Kampagnen nutzen wir vielfältige Instrumente und Maßnahmen. Zu den Demonstrationen kommen weitere Aktionen auf der Straße hinzu, aber auch klassische Unterschriftensammlungen, Petitionen und europäische Bürgerinitiativen (EBI). Weiterhin gehört klassisches Lobbying hinzu: Wir führen sehr viele Gespräche mit Politikern, hauptsächlich von SPD, Grünen, Linkspartei – also den Parteien, wo wir uns erhoffen oder wissen, dass eine Kritik und ein gewisser Zweifel an den Freihandelsabkommen und damit ein Anknüpfungspunkt vorhanden ist, um ins Gespräch zu kommen. Dazu kommen dann Veranstaltungen. Zudem schalten wir Zeitungsanzeigen, plakatieren und vieles mehr.
Woran messen Sie den Erfolg der Kampagne?
Wir haben unterschiedliche Indikatoren. Zumeist sind die Medienaufmerksamkeit und das politische Ergebnis Erfolgsindikatoren der Kampagnen. Bei Instrumenten wie Unterschriftensammlungen, Demonstrationen oder europäischen Bürgerinitiativen ist natürlich die Zahl der Menschen, die sich anschließen, ein Indikator für den Erfolg. Im Fall von CETA konnten wir den Prozess bereits erheblich verlangsamen. Angeblich war das Abkommen schon Ende 2014 fertig verhandelt. Dann hat es nochmal über eineinhalb Jahre gedauert, bis der Vertragstext in seinem letzten Stand veröffentlicht wurde. Wir haben erreicht – und da waren wir ausnahmsweise auf derselben Seite wie die Bundesregierung –, dass das Abkommen nicht nur von den Regierungen Europas und vom Europaparlament abgestimmt werden muss, sondern auch von den Parlamenten aller Mitgliedstaaten, und damit auch hier in Deutschland vom Bundestag und Bundesrat. Das ist ein wichtiger Erfolg, und ich denke, ohne unsere Kampagne hätten wir wenig erzielt, da die EU-Kommission wild entschlossen war, das ohne die Parlamente in den Mitgliedsstaaten durchzusetzen und nur durch massiven Druck daran gehindert wurde. Letztlich werden wir den Erfolg daran messen, ob CETA zustande kommt oder nicht.