Maritta Strasser & Theresa Brüheim - 26. August 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

CETA / TTIP

Pfeile im Köcher


Campact kämpft an vorderster Front gegen die Freihandelsabkommen. Maritta Strasser berichtet über aktuelle Kampagnen, Engagement und Erfolg

Theresa Brüheim: Frau Strasser, warum sind CETA und TTIP so gefährlich – auch für die Kultur?

 

Maritta Strasser: CETA und TTIP sind Abkommen, die auf die Beseitigung von Handelshemmnissen hinter der Grenze abzielen, d. h. sie beschäftigen sich nicht mit Zöllen und Quoten, wie das traditionelle Handelsabkommen tun, sondern sie setzen sich mit unterschiedlichen Regeln der Handelspartner auseinander – und zwar in ihrer gesamten Breite. Es gibt keinen Bereich, der vornherein ausgenommen ist, daher ist die Kultur eingeschlossen. Zudem ist die Kultur direkt betroffen durch Regeln, die z. B.­ kommunale Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung im Kulturbereich, geistiges Eigentum oder Handel mit Kulturgütern betreffen. Die Kultur ist auch indirekt betroffen durch mögliche Einschränkungen des finanziellen Handlungsspielraums infolge solcher Handelsabkommen.

 

Aktuell führt Campact vier Kampagnen gegen die Freihandelsabkommen CETA, TTIP und auch TiSA. Können Sie beispielhaft eine Kampagne herausgreifen und deren Funktionsweise erläutern?

 

Im Augenblick ist für uns die Kampagne „CETA aufhalten“ sehr wichtig. Das Abkommen ist fertig verhandelt und steht vor der Ratifizierung. Wir haben CETA über zwei Jahre kritisch begleitet. In dieser Zeit wurden zwar noch Nachbesserungen vorgenommen, aber insgesamt ist das ein Abkommen, das wir nicht für zustimmungsfähig halten.

 

Einerseits wurde im Bereich öffentliche Dienstleistungen ein völlig neuer Ansatz gewählt als in den vorherigen Handelsabkommen. Bisher wurden in Handelsabkommen einzelne Sektoren aufgelistet und liberalisiert. Jetzt kehrt man dieses Prinzip um, man liberalisiert alles – exklusive der Ausnahmen. Diese Ausnahmen befinden sich in zwei Annexen, welche die öffentliche Daseinsvorsorge – und das betrifft teilweise den Kulturbereich wie öffentliche Theater, Schulen, Museen, Bibliotheken usw. – nur unzureichend schützen. Überall klaffen Lücken, überall gibt es Angriffsmöglichkeiten von Privatkonkurrenten aus dem Ausland.
Andererseits enthält der Bereich zu Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Verbraucherschutz nur unverbindliche und nicht durchsetzbare Prosa. Ebenso ist es beim Arbeitnehmerschutz – genauer bei der Verpflichtung auf z. B. lokale Arbeitsnormen. Die sind bloß erwähnt, aber nicht als durchsetzbares Recht verankert. Dieser Schwäche bei den Rechten für Bürger steht die Einführung eines ganz massiven Instruments für Investoren gegenüber: Mittels der Investor-Staat-Schiedsverfahren kann an ordentlichen Gerichten vorbeigezogen werden. Es entsteht eine Paralleljustiz, die ausländischen Investoren eine Möglichkeit gibt, die Klauseln des Vertrages direkt einzuklagen, was aus zwei Gründen hochproblematisch ist: Zum einen ist es fragwürdig, warum es diese prozedurale Sonderbehandlung überhaupt geben soll. Die Unabhängigkeit der Personen, die in diesem Rahmen als »Richter« bezeichnet werden, aber nicht ordentliche Richter sein müssen und nur pro Fall bezahlt werden, steht im Zweifel. Zum anderen ist es materiell ein Sonderrecht. Während andere Bürger auf die Gesetze des Landes verwiesen werden, gelten für ausländische Investoren andere Bestimmungen, die einen sehr viel weitgehenderen Eigentumsschutz haben, und die ihnen vor allem nur Rechte, aber keine Pflichten auferlegen. Das alles sind Dinge, die bei CETA neu eingeführt werden und die es zu verhindern gilt! Deswegen ist der Erfolg der Kampagne „CETA aufhalten“ ein ganz, ganz wichtiges Ziel!

 

Wir haben diese Kampagne als breite Bündniskampagnen angelegt: Von Anfang an haben wir in dem Bündnis „TTIP unfairhandelbar“ gearbeitet, in Vorbereitung der Demonstration gegen TTIP und CETA am 10. Oktober 2015 in Berlin haben wir ein weiteres Bündnis gegründet, wo auch der Deutsche Kulturrat mitmacht. Entsprechend arbeiten wir in verschiedenen Bündnissen – teilweise auf transatlantischer und globaler Ebene.

 

Bei den Kampagnen nutzen wir vielfältige Instrumente und Maßnahmen. Zu den Demonstrationen kommen weitere Aktionen auf der Straße hinzu, aber auch klassische Unterschriftensammlungen, Petitionen und europäische Bürgerinitiativen (EBI). Weiterhin gehört klassisches Lobbying hinzu: Wir führen sehr viele Gespräche mit Politikern, hauptsächlich von SPD, Grünen, Linkspartei – also den Parteien, wo wir uns erhoffen oder wissen, dass eine Kritik und ein gewisser Zweifel an den Freihandelsabkommen und damit ein Anknüpfungspunkt vorhanden ist, um ins Gespräch zu kommen. Dazu kommen dann Veranstaltungen. Zudem schalten wir Zeitungsanzeigen, plakatieren und vieles mehr.

 

Woran messen Sie den Erfolg der Kampagne?

 

Wir haben unterschiedliche Indikatoren. Zumeist sind die Medienaufmerksamkeit und das politische Ergebnis Erfolgsindikatoren der Kampagnen. Bei Instrumenten wie Unterschriftensammlungen, Demonstrationen oder europäischen Bürgerinitiativen ist natürlich die Zahl der Menschen, die sich anschließen, ein Indikator für den Erfolg. Im Fall von CETA konnten wir den Prozess bereits erheblich verlangsamen. Angeblich war das Abkommen schon Ende 2014 fertig verhandelt. Dann hat es nochmal über eineinhalb Jahre gedauert, bis der Vertragstext in seinem letzten Stand veröffentlicht wurde. Wir haben erreicht – und da waren wir ausnahmsweise auf derselben Seite wie die Bundesregierung –, dass das Abkommen nicht nur von den Regierungen Europas und vom Europaparlament abgestimmt werden muss, sondern auch von den Parlamenten aller Mitgliedstaaten, und damit auch hier in Deutschland vom Bundestag und Bundesrat. Das ist ein wichtiger Erfolg, und ich denke, ohne unsere Kampagne hätten wir wenig erzielt, da die EU-Kommission wild entschlossen war, das ohne die Parlamente in den Mitgliedsstaaten durchzusetzen und nur durch massiven Druck daran gehindert wurde. Letztlich werden wir den Erfolg daran messen, ob CETA zustande kommt oder nicht.


Sie haben soeben angesprochen, dass CETA zum gemischten Abkommen erklärt wurde, d. h. auch die nationalen Parlamente, in Deutschland Bundestag und Bundesrat, werden über das Freihandelsabkommen abstimmen und mitentscheiden. Was bedeutet das?

 

Es kann wenig bedeuten, wenn die EU-Kommission zu einem weiteren Trick greift – und die Regierungen Europas das durchgehen lassen – und CETA nach der Entscheidung im Rat der EU und im Europaparlament, in vorläufige Anwendung kommt. Vorläufige Anwendung hieße dann, dass wir CETA hätten, ohne dass Bundestag und Bundesrat dazu abgestimmt haben und dass sie nur nachträglich das abnicken, was schon längst in Kraft ist. Das wäre ein übler Trick! Darüber finden bis zum September intensive Auseinandersetzungen und heftige Kämpfe hinter den Kulissen statt, in denen wir alles versuchen, das zu verhindern.
Viel kann es bedeuten, wenn CETA bei der Ratifizierung durch Bundestag und Bundesrat in Deutschland z. B. im Bundesrat scheitert, weil es dort andere Mehrheiten gibt.

 

Frau Strasser, kommen wir nochmal zurück zum Engagement bei den Kampagnen. Wer engagiert sich denn bei Campact gegen Freihandel?

 

Das ist ein ganz bunter Haufen von Menschen – die unterschiedlichsten Berufe, die unterschiedlichsten Altersgruppen. Häufig gar nicht so jung, wie man immer meint. Wir sehen Menschen, die sich nebenbei auch in anderen Organisationen engagieren. Wir sehen Menschen, die Mitglieder in Parteien sind oder Menschen, die mittlerweile gar nicht mehr wissen, wen sie wählen sollen. Ganz, ganz unterschiedliche Leute, die alle eins eint, nämlich die Sorge, dass mit Abkommen wie CETA Regeln geschaffen werden, die in einer ordentlichen demokratischen Willensbildung mit intensiver parlamentarischer Debatte so nie geschaffen würden und dass unter dem Deckmantel eines Handelsabkommens plötzlich völlig andere Regeln geschrieben werden.

Von den Freihandelsabkommen sind alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union betroffen, nicht nur Deutschland. Begrenzt sich das Engagement von Campact auf die Bundesrepublik oder kooperiert Campact auch mit Organisationen in anderen EU-Ländern?

 

Unser Engagement begrenzt sich nicht auf Deutschland, denn europäische Abkommen werden von mehr als einem Land gestoppt, wenn sie gestoppt werden. Aus diesem Grund haben wir die Europäische Bürgerini­tiative „Stop TTIP“ unterstützt, die vergangenes Jahr im Oktober Unterschriften gesammelt hat. Diese hat die geforderten Schwellenwerte weit überschritten. Wir haben das Quorum in 24 von 28 Ländern geknackt und über drei Millionen Unterschriften gesammelt. Das war das erste große internationale Projekt. Schon währenddessen haben wir Kampagnen in weiteren Ländern gefördert: Wir haben Schwesterorganisationen in Irland, Schweden, Österreich, Polen und Frankreich, die wir mit Beratung, aber auch mit Geld und mit Materialien unterstützen. Darüber hinaus sind wir in europaweiten und transatlantischen Bündnissen aktiv.

 

Frau Strasser, wie geht es jetzt weiter? Welche Schritte gilt es jetzt zu nehmen, um TTIP und CETA endgültig zu verhindern?

 

Wir haben noch viel vor! Am 17. September wird es zeitgleich in sieben Städten, nämlich in Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt, München, Leipzig und Stuttgart Demonstrationen geben. Das Ziel ist es, unseren großartigen Erfolg vom 10. Oktober 2015 in den Schatten zu stellen. Der Termin ist so gewählt, dass er unmittelbar zwei Tage vor dem entscheidenden SPD-Parteikonvent stattfindet, auf dem die Partei ihre Position zu diesen Abkommen festlegen wird. Von diesem Konvent hängt die Position der Bundesregierung ab, die nur zustimmen kann, wenn beide Parteien, welche die Bundesregierung tragen, Ja zu CETA sagen. In derselben Woche entscheidet übrigens auch der Rat der EU in Bratislava. Das ist die heiße Phase.

 

Wir werden dann, wenn CETA noch nicht gestoppt ist, die bayrische Stimme im Bundesrat durch ein Volksbegehren zu einem Nein verpflichten. Das bedeutet, dass wahrscheinlich im nächsten Jahr in einem Zeitraum von 14 Tagen fast eine Million Stimmen gesammelt werden müssen. Die Leute müssen dafür in die Rathäuser gehen – es reicht nicht, im Internet zu klicken. Das ist ein Riesenprojekt! Wir machen gemeinsam mit dem EBI-Bündnis zurzeit eine Aktion, mit der wir Druck auf das Europaparlament ausüben. Das nennt sich „CETA Check“: Über diesen können Bürger aus ganz Europa ihre Europaabgeordneten finden und sie mit Fragen zu CETA bombardieren.

 

Wir machen weiterhin intensives Lobbying – dies in den nächsten Monaten dann mit Schwerpunkt im Bundesrat. In elf Bundesländern sitzen Koalitionspartner von Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei in den Landesregierungen. Es gibt damit eine Blockademehrheit, die CETA im Bundesrat verhindern kann, sofern die Landesminister den Mut finden, die Koalitionsklausel-Karte zu ziehen und zu verlangen, CETA im Bundesrat zu stoppen.

 

Sollte all dieses scheitern, haben wir noch einen letzten Pfeil im Köcher: Gemeinsam bereitet Campact mit Foodwatch und MehrDemokratie eine Verfassungsklage gegen CETA vor.

 

Da haben Bürger unter www.ceta-verfassungsbeschwerde.de die Möglichkeit, sich anzuschließen. Dazu muss nur ein PDF ausgedruckt, unterschrieben und eingeschickt werden. Das kostet 70 Cent Porto, weiter nichts. Wir haben hervorragende Juristen, die uns vertreten. Auch diese Möglichkeit, denke ich, könnte zum Erfolg führen.

 

Frau Strasser, ich danke Ihnen für das Gespräch!


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