IT-Hochtechnologie zwischen Feldern und Feuchtsavanne

In Burkina Faso ist eine regionale Hochschule für 500 Studierende entstanden

Kérés Architektur fasziniert durch die Klarheit der Formensprache und die Stärke des verwendeten Materials. Auch bei seinem Entwurf für den Bildungscluster in Koudougou hat der aus Burkina Faso stammende und in Deutschland ausgebildete Francis Kéré auf sein umfangreiches Wissen über traditionelle Baustoffe und Montagemethoden zurückgegriffen. Was seine architektonische Handschrift auszeichnet: Kéré respektiert lokale Bautechniken, setzt sie in materialgerechter Form ein. Unter dem Titel „Radikale Einfachheit“ hat sein Münchener Professorenkollege Andres Lepik vor einigen Jahren eine wegweisende Ausstellung mit Arbeiten von Kéré kuratiert. Immer wieder verwendet der vielfach prämierte Afrikaner ungebrannte Lehmziegel, grob gebrochenen Naturstein, die typischen etwa zehn Zentimeter dicken Eukalyptusstämme für die unteren Seiten der Dächer über schattenspendenden Innenhöfen oder – wie im Fall des BIT – als eine Art Sonnenschutz. Die mit der Zeit ausbleichenden vertikal angeordneten Stangen erfüllen hier auch eine weitere Aufgabe: Sie geben den ringförmig angeordneten rechteckigen Klassenräumen eine amorphe Außenform, noch mehr: Sie fügen die Einzelbauten zu einer Gemeinschaft von Häusern zusammen, wie man es bei den Gehöften des Umlands von Koudougou beobachten kann. Darin spiegelt sich eines der Hauptthemen von Kérés Entwürfen wider: das Spiel zwischen Innen und Außen. Mit dem ringförmigen Bau des Lycée Schorge hat er die Landschaft mit ins Gebäude hineingezogen. Die transluzenten Wände verstärken dieses Wechselspiel zwischen Zusammenhalt und Offenheit.

 

Für den Gebäudekomplex der Universität, der derzeit noch weiterwächst, hat Kéré statt ungebrannter Ziegelsteine gefärbten Sichtbeton gewählt. Die wiederverwendbaren Schalungen aus Stahl sorgen für die erforderliche Präzision bei den standardisierten Modulen für 40, 100 und 200 Studierende. Die Oberflächen zeigen, mit welch hoher Qualität die Bauingenieure ihre Arbeit verrichten. Man muss wissen, dass die Region eine lange Tradition an Lehmbauten und daher einen gewissen Oberflächenkult bei glatten Fassaden entwickelt hat. Doch die Präzision der Metallformen und die gleichmäßige Durchfärbung des Betons zeugen von umfangreichen Kenntnissen. Insofern hat Francis Kéré in seiner Heimat mit dem Bestreben nach Betonbauarbeiten auch einen Know-how-Transfer geleistet. Inwiefern die lokalen Bauarbeiter das Wissen um die Geheimnisse des Sichtbetons weitertragen, wird sich in den kommenden Jahren bei Neubauten in der Region zeigen. Aus der Fassade des Burkina Institute of Technology spricht zumindest eine klare architektonische Haltung: eine Ästhetik des Einfachen, aber auch eine Ästhetik des Unfertigen. Angemessen für den Ort ist es allemal.

 

Jenseits von Theorie und Terrorismus

Die Rückkehr zum Einfachen, mit Liebe zum Detail in seiner ursprünglich gedachten Form, kann große Kraft in sich bergen. In Kérés Architektur zeigt sich aber auch ein Element der afrikanischen Architektur, die Ron Eglash vor einigen Jahren beschrieben hat: „African Fractals“. Der US-amerikanische Ethnomathematiker leitet aus seinen wissenschaftlichen Beobachtungen gar eine mögliche Theorie der Architektur ab. Kern seiner These sind Algorithmen von Mustern und Ornamenten afrikanischer Kulturen, die auf der Wiederholung von Fraktalen aufbauen. Die geografischen Muster zeichnen sich durch ihre immer kleiner werdenden Maßstäbe aus, wie es Eglash etwa in einer Siedlung in Sambia nachgewiesen hat und als typisch für das subsaharische Afrika definiert. „In Europa und Amerika sehen wir oft Städte, die in einem Rastermuster mit geraden Straßen und rechtwinkligen Ecken angelegt sind. Im Gegensatz dazu neigen traditionelle afrikanische Siedlungen dazu, fraktale Strukturen zu verwenden: Kreise von Kreisen kreisförmiger Behausungen, rechteckige Mauern, die immer kleinere Rechtecke umschließen, und Straßen, in denen sich breite Alleen zu winzigen Fußwegen mit auffälligen geometrischen Wiederholungen verzweigen. Diese einheimischen Fraktale sind nicht auf die Architektur beschränkt. Ihre rekursiven Muster finden sich in vielen unterschiedlichen afrikanischen Designs und Wissenssystemen wieder.“ Eglash bezieht sich wiederum auf den französischen Mathematiker Benoît Mandelbrot, der Mitte der 1970er Jahre den Begriff „Fraktal“ geprägt und dessen geometrische Muster in der Natur nachgewiesen hat.

 

Die Theorie der Fraktale wird Kéré kaum im Sinn gehabt haben, als er seine ersten Skizzen auf Papier zeichnete. Vielmehr spiegeln seine Arbeitsweise und Entwürfe die Intuition wider, einen einfühlsamen Beitrag zur Architektur Westafrikas zu leisten. Nicht aufgeregt und nach Effekt haschend, eher ruhig und fast bescheiden. Als Kéré unlängst gefragt wurde, welche theoretische Position er in seiner Architektur vertrete, war seine Antwort präzise und offen zugleich: „Was meinen wir, wenn wir von einer Theorie der afrikanischen Architektur sprechen? Kann diese Theorie die Probleme der Millionen von Nachbarschaften erfassen, die es in Afrika gibt und bald geben wird? Ich glaube, dass es keine singuläre Theorie gibt, die in der Lage ist, die Wahrheit über den afrikanischen Kontinent oder seine Architektur zu sagen. Ich hoffe, dass wir in einem theoretischen Verständnis der Architektur in Afrika die Spezifität, das Detail, die Geduld und die Menschen mit einbeziehen können.“

 

Bleibt es also eine europäische Sichtweise, aus der Postrationalisierung der gebauten Umwelt eine Theorie der Architektur abzuleiten? Sind es nicht die alltäglichen Probleme, die im Mittelpunkt der Debatte stehen sollten? Burkina Faso hat sich in den vergangenen zehn Jahren zu einem Schauplatz des international agierenden Terrorismus gewandelt. Der Norden der ehemaligen französischen Kolonie La Haute-Volta wird wie der Norden Malis und Teile von Niger und Nigeria immer wieder von grenzüberschreitend agierenden kriminellen Banden, Terrormilizen und Schmugglern überfallen. Westliche Ausländer werden seit einiger Zeit von ihren Botschaften vor Ort immer wieder vor Überlandfahrten gewarnt. Hinzu kommen die Folgen des Klimawandels, die in der gesamten Sahelzone zu Binnenmigration führen. Allein in Burkina Faso zählt das UNHCR über eine Million Menschen, die ihre Heimat verlassen haben. Vor allem der jungen Bevölkerung eine Zukunftsperspektive zu bieten – auch dafür steht das Burkina Institute of Technology: ein Bildungsprogramm zur Förderung der regionalen Strukturen. Allerdings muss den Absolventen eine Berufsperspektive geboten werden, da ansonsten das Risiko der Abwanderung nach Ouagadougou hoch bleibt.

Philipp Meuser und Jennifer Tobolla
Philipp Meuser arbeitet als Architekt unter anderem in Westafrika. Jennifer Tobolla ist Büroleiterin bei Meuser Architekten und leitet die Baustelle der Deutschen Botschaft Ouagadougou.
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