Auf der Suche nach der afrikanischen Stadt

Haustypologien zwischen Lowtech und Hightech

Eine Phase, in der eine globale Pandemie die Regeln des Zusammenlebens hinterfragt, erschwert eine verlässliche Aussage zur Zukunft der afrikanischen Stadt. Der französische Architekt Aldric Beckmann, der 2017 mit einem Team den Wettbewerb zum Bau einer neuen Stadt bei Ouagadougou in Burkina Faso gewann, sah schon seinerzeit die Ungewissheit. „Wir müssen zugeben, dass die Planung ein großer Sprung ins Unbekannte ist. Wir riskieren, 15 Jahre lang auf Sicht zu navigieren, weil die afrikanische Stadt noch nicht erfunden wurde oder sich selbst noch nicht erfunden hat.“  Ob dieser Stadttypus mit dem südöstlich der Hauptstadt geplanten Ort Yennenga, in dem zukünftig auf 678 Hektar Fläche 80.000 Einwohner leben sollen, gefunden sein wird, ist zweifelhaft. Denn obwohl Ouagadougou zu den schnell wachsenden Städten Afrikas gehört, wird sich eine neu zu errichtende Stadt kaum mit Zuzüglern aus agrarwirtschaftlich geprägten Regionen füllen, um binnen wenigen Jahren eine urbane Stadtkultur aufbauen zu können. Oder entspricht dies einer typisch europäischen Sichtweise?

 

Vielleicht geht es weniger um die Frage nach einer Typologie der afrikanischen Stadt und vielmehr darum, mit welchen Gebäudetypologien diese Stadt gebaut wird. Vor diesem Hintergrund gilt es die positiven Beispiele der subsaharischen Stadtentwicklung zu identifizieren. Diese sind geprägt von einer Kombination aus traditionellen Bauweisen mit lokalen Materialien und einem reduzierten Einsatz von Hightech-Produkten. Auf dem gesamten Kontinent finden sich Beispiele, bei denen Architekten traditionellen oder unkonventionellen Konstruktionsmethoden gefolgt sind, um eine vorbildliche Alltagsarchitektur zu errichten. Dazu zählen die kostengünstigen Sandsackhäuser in Kapstadt in Südafrika von Luyanda Mpahlwa oder die in traditioneller Lehmbauweise errichteten Mittelklasse-Wohnbauten in Niamey in Niger von Mariam Kamara. Der Neubau für das Goethe-Institut in Dakar im Senegal, das in der vorherigen Ausgabe 6/21 von Politik & Kultur vorgestellt wurde, gehört ebenfalls in diese Reihe.

 

Aber auch nichtafrikanische Architekten haben Akzente gesetzt, etwa die Italiener Riccardo Vannucci und Giovanna Vicentini mit Lowtech-Sanitärstationen in Burkina Faso oder die Deutsche Anna Heringer mit einem Kindergartenbau in Form einer strohbedeckten Rundhütte in Simbabwe.

 

Alle diese Projekte verbindet der Ansatz, das vorhandene Know-how der lokalen Bevölkerung zu nutzen und mit einfachsten Methoden zu bauen. Sie erfordern zudem kein großstädtisches Umfeld und können auch in ländlichen Regionen realisiert werden – so auch Hightech-Beispiele wie der Solar-Kiosk von GRAFT oder die Drohnen-Verteilungszentren von Norman Foster. Beide Typenprojekte basieren auf der Idee, die in vielen Regionen nicht vorhandene Infrastruktur durch autarke Hochtechnologie zu ersetzen. Der Solarkiosk besteht aus addierbaren Modulen, die dank Fotovoltaiktechnik ortsunabhängig aufgestellt werden. Genutzt werden können die Einheiten als Krankenstation, Büro oder als Community Center mit permanenter Strom- und Internetversorgung. Den Drohnen-Flughäfen von Foster liegt die Idee zugrunde, entlegene Regionen ganzjährig mit wichtigen Medikamenten oder mit Post zu versorgen. Damit könnte der eingeschränkten Mobilität etwa während der Regenzeit mit den dann oft nicht befahrbaren Straßen begegnet werden.

 

Eine Kultur schafft die beste Architektur nur mit Materialien und Techniken, die sie kennt. In einem Markt wie Afrika, wo die Kosten die Bauzeit und architektonische Qualität dominieren, ist die Rückbesinnung auf vorhandene Materialien umso wichtiger. Denn vor allem chinesische Billigprodukte überschwemmen den lokalen Baumarkt, unterstützen aber nicht eine Evolution der afrikanischen Architektur, sondern ersetzen sie durch eine fremde Ästhetik. Soll die Urbanisierung Afrikas auch zur kulturellen Identität beitragen, kann diese nur von den Bewohnern selbst verantwortet werden. Aus Europa und China dürfen allenfalls Methoden des Projektmanagements importiert werden. Im Westen bewährte Planungsmethoden sind aber längst noch kein Garant, dass Projekte in Afrika erfolgreich umgesetzt werden können. Das mag sich erst ändern, wenn die Ausbildung von Stadtplanern und Architekten nicht mehr nur an wenigen afrikanischen Universitäten erfolgt.

Philipp Meuser
Philipp Meuser ist Architekt und Verleger. Seit knapp zehn Jahren betreut sein Planungsbüro Bauprojekte in West- und Nordafrika. In seinem Verlag erschien kürzlich ein Grundlagenwerk zur Architektur im subsaharischen Afrika.
Vorheriger ArtikelZurück in die Zukunft
Nächster ArtikelIT-Hochtechnologie zwischen Feldern und Feuchtsavanne