Goldgräberstimmung

Kultur- und Kreativwirtschaft als Antriebskraft für eine nachhaltige Entwicklung Afrikas

Die Kultur- und Kreativwirtschaft (KuK-Wirtschaft) in Afri­ka erfreut sich zurzeit großer Aufmerksamkeit seitens der Medien. Man spricht voller Begeisterung vom „neuen Gold“, vom „neuen Geld“, von einer „unerschlossenen Branche“ oder vom „schlafenden Riesen“, der das Ende von Armut und Arbeitslosigkeit auf dem afrikanischen Kontinent einläutet. In Meldungen, wie den 2008 und 2010 veröffentlichten UNCTAD-Berichten, zur Kreativwirtschaft nehmen die Vereinten Nationen Bezug auf das Entwicklungspotenzial Afrikas, betonen jedoch gleichzeitig, dass der Anteil von Afrika an der globalen Kreativwirtschaft weniger als ein Prozent des 624 Milliarden Dollar schweren weltweiten Handels mit Kreativgütern ausmacht. Auf dem afrikanischen Kontinent fördern internationale Einrichtungen wie der British Council und das Goethe-Institut im Bereich Kultur tätige Unternehmer.

 

Es fällt auf, dass sich diese Aufmerksamkeit in erster Linie auf die potenzielle Monetarisierung und das Schaffen von Märkten für die Kultur- und Kreativwirtschaft bezieht. In dem von der UNESCO 2013 veröffentlichten Bericht zur Kreativwirtschaft stehen dagegen viele innovative einheimische Praktiken im Vordergrund. Daneben liefert der Bericht überzeugende Argumente für die Notwendigkeit, das kulturelle Leben vor Ort zu unterstützen, um allgemeine Entwicklungschancen zu verbessern, und zwar unabhängig davon, ob sich diese Aktivitäten kommerziell nutzen lassen oder nicht. Was jedoch steckt hinter all dem Hype, und wie sollen wir uns die Kultur- und Kreativwirtschaft in Afrika vorstellen? Zunächst einmal besteht ein starkes Bedürfnis danach, ein spezifisch afrikanisches Narrativ zu entwickeln, welches die Sprache, das Kulturerbe, indigenes Wissen und Kunst sowie den Kultur- und Kreativsektor umfasst und diese Bereiche ganzheitlich als Teil der Kulturwirtschaft betrachtet. Es geht hier nicht um Wortklauberei: Es wird versucht, die Rolle der Kultur mitten im Zentrum unserer Volkswirtschaften neu zu definieren und sie als Teil der afrikanischen Kulturökologie wahrzunehmen und nicht als Aneinanderreihung einzelner Kultur- und Kreativbereiche wie Design, Musik, Mode, Film, literarische und darstellende Künste bzw. Video- und Computerspiele oder Verlagswesen. Andererseits gibt es mittlerweile sogar in Afrika selbst eindeutige Anzeichen dafür, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft die Fantasie der Afrikanischen Union (AU) beflügelt. Dies kommt in der „African Charter for Cultural Renaissance“ von 2006, dem „AU Plan of Action for Cultural Industries“ von 2008 und der vor Kurzem veröffentlichten AU-Agenda 2063 zum Ausdruck. In Letzterer wird betont, dass man sich nicht ausschließlich auf wirtschaftliche Aspekte konzentrieren sollte, und dass eine stark ausgeprägte kulturelle Identität sowie gemeinsame Traditionen, Werte und Moralvorstellungen die Voraussetzung für ein prosperierendes Afrika mit integriertem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung sind.

 

Während die meisten afrikanischen Regierungen eine eigene Kulturpolitik betreiben, haben die wenigsten politische Maßnahmen oder Strategien für die Kulturwirtschaft entwickelt. In einigen Ländern wie Burkina Faso, Kenia, Nigeria und Südafrika wurde die Kulturpolitik neu definiert, sodass die Kultur- und Kreativwirtschaft entweder miteinbezogen oder branchengerechte Strategien entwickelt wurden. Nigeria z. B. erkennt den Beitrag der einheimischen Film- (2,3%) und Musikindustrie (9%) zum Bruttoinlandsprodukt des Landes an.

 

Bemerkenswert ist, dass mehr als zwei Drittel der afrikanischen Regierungen 2005 die UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ratifiziert haben. In vielen afrikanischen Ländern ist die Kultur und Kreativwirtschaft mittlerweile Teil des nationalen Entwicklungsplans geworden.

 

Derzeit leben ca. 1,3 Milliarden Menschen in Afrika. Man geht davon aus, dass diese Zahl bis 2100 auf 4,2 Milliarden ansteigen wird. Die Länder südlich der Sahara haben viele Gemeinsamkeiten wie z. B. die rasante Urbanisierung – oft ohne entsprechende Industrialisierung. Laut Prognosen wird bis 2050 mehr als die Hälfte der Afrikaner in Städten leben. Dabei zeichnet sich unser Kontinent durch extreme Armut, hohe Arbeitslosigkeit und eine sehr junge Bevölkerung aus, denn 60 Prozent der afrikanischen Bevölkerung sind noch nicht einmal 30 Jahre alt. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist überdurchschnittlich stark in den afrikanischen Städten – mit besserem Zugriff auf Finanzierungsdienste, Logistik und Infrastruktur – vertreten, obwohl es auf dem ganzen Kontinent auch einige bemerkenswerte Beispiele ländlicher Entwicklungsinitiativen im kulturellen Bereich gibt, wie z. B. Festivals. Trotz der hohen Kosten für die Datenübertragung hat sich die Anzahl der Menschen in den Ländern südlich der Sahara, die über mobiles Internet verfügen, seit Beginn dieser Dekade vervierfacht. Afrika ist mittlerweile sogar der zweitgrößte Mobilfunkmarkt der Welt, und Kenias mobiler Zahlungsdienst M-PESA ist gegenwärtig der erfolgreichste auf Mobilfunk basierende Überweisungsdienst in den Entwicklungsländern. Dennoch gibt es nur sehr wenige Länder in Afrika, die über eine komplette Wertschöpfungskette in der Kultur- und Kreativwirtschaft verfügen – angefangen bei Entwicklung, Produktion und Vertrieb über die Ausstellung von Werken bis hin zum Konsum und der Mitwirkung der Verbraucher. In den meisten Ländern gibt es nicht genügend relevante Ausbildungsmöglichkeiten und gute Vertriebsnetze; es fehlt nicht nur eine kulturelle Infrastruktur, sondern auch Produktionstechnologien sowie Ausstellungsräume für alle Kunstformen. Auf eine Million Einwohner kommt in Afrika beispielsweise nur ein Kino. Möglichkeiten zur Finanzierung lokaler Projekte, zur Förderung künstlerischer Forschung und Entwicklung und zur besseren Vermittlung technischer Fertigkeiten sind noch immer sehr begrenzt. Leider widmen sich nur sehr wenige Kulturschaffende dem Thema der Umweltzerstörung wie Elektroschrott bzw. CO2-Emissionen.

Avril Joffe
Avril Joffe leitet die Fakultät für Kulturpolitik und -management an der Wits School of Arts in Johannesburg in Südafrika.
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