Auf der Suche nach der afrikanischen Stadt

Haustypologien zwischen Lowtech und Hightech

Das unvermeidliche Anwachsen informeller Siedlungen braucht dennoch schon jetzt eine strategische Planung. Das kollektive Wissen der Bevölkerung um Bau und Bewirtschaftung von Häusern ließe sich gut darin einbinden – zum Vorteil aller. Der Chilene Alejandro Aravena hat 2016 als Generalkommissar der Architektur-Biennale in Venedig eine vorbildliche Strategie vorgestellt: Der Staat schafft Infrastruktur, allem voran Straßen und Kanalisation, und überlässt den vom Lande Zugezogenen einen seriell gefertigten Rohbau auf kleinem Grundstück, der individuell ausgebaut und erweitert werden kann. Dies wäre nicht nur eine kostengünstige Variante, die den überwältigenden Dimensionen des Urbanisierungsprozesses gerecht wird, sondern würde auch gewachsene Strukturen berücksichtigen und auf die Eigeninitiative der Menschen setzen. Pritzker-Preisträger Aravena gilt mit seiner Bauweise halbfertiger Wohneinheiten inzwischen nicht mehr nur in seiner Heimat Chile als Pionier des kostengünstigen Bauens. 2019 reiste er erstmals in den Sudan, wo drei Viertel der Bevölkerung täglich mit umgerechnet unter fünf Euro auskommen müssen. In einem Kulturkreis, in dem die Menschen nicht verlernt haben, ihr eigenes Haus zu bauen, könnte seine Methode noch erfolgreicher sein als in Südamerika. Und für ganz Afrika könnte sie einen Beitrag leisten zu einer Urbanisierung, die für die Masse der Bevölkerung finanzierbar ist.

 

Damit der Hausbau für die 400 Millionen neuen Stadtbewohner Afrikas bis 2050 aber nicht noch mehr zum Klimawandel beiträgt, sind die Kenntnisse traditioneller Baumethoden umso wichtiger. Würde der Bedarf an zukünftigem Wohnraum in Afrika mit Bauten aus Zement gedeckt werden, entspräche dies wohl 80 Prozent des weltweit zulässigen Kohlendioxidausstoßes. Auf den Baustellen zwischen Kairo und Kapstadt wird bereits heute so viel Beton verbaut wie in Europa. Um den Zementanteil im Beton zu reduzieren, müssen Ersatzstoffe gefunden werden. An der Universität Lagos etwa experimentiert der nigerianische Bauingenieur Kolawole Adisa Olonade mit Maniokschalen. Die bei der Verbrennung der Schalen entstehende Asche enthält einen hohen Anteil an reaktivem Siliziumdioxid, das als nachhaltiger Zementersatz verwendet werden und so die Ökobilanz im Vergleich zu herkömmlichem Beton verbessern kann.

 

Ohnehin liegt in der Entwicklung regenerativer Baumaterialien ein Forschungsfeld mit Zukunft. Größter Gegner ist allerdings die weltweite Zement-Lobby, die in Afrika kaum mehr sieht als einen boomenden Baumarkt.

 

Die Zukunft der afrikanischen Architektur wird sich in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen entscheiden. Das Wissen der Menschen vor Ort, die nach Jahrhunderten des kollektiven Hausbaus nicht verlernt haben, ihre Bauten nach traditioneller Überlieferung zu errichten, lässt auf einen neuen baukünstlerischen Regionalismus hoffen. Im medialen Zirkus der globalisierten Individualstandards, in dem die Schärfe des Fotos über die Qualität der Architektur richtet, mag das eine wohltuende Beruhigung darstellen. Bei zukünftiger moderner Architektur im subsaharischen Afrika sollten wir uns auf eine Ästhetik des Unfertigen und auf wachsende Häuser einstellen – einfache Standards, die im Laufe des Lebens qualifiziert werden. Dies wird einhergehen müssen mit zeitgemäßen Antworten auf die Bodenfrage, die Spekulationen zumindest für einen bestimmten Zeitraum verhindern und selbstbestimmte Stadtentwicklung fördern. Eine vereinfachte Bewilligung von Mikrokrediten könnte einen solchen Städtebau unterstützen, flankiert von einer Stärkung der Berufsgenossenschaften im Planen und Bauen sowie einer nachhaltigen Ausbildungsförderung in den Bauberufen. Und wir müssen uns weiterhin über eine Theorie der afrikanischen Baukunst verständigen, nicht zuletzt weil die indigenen Bauformen, die in Afrika heute noch überall zu bewundern sind, die Wurzeln aller humanen Bautypen abbilden. Insofern wird jede Grundlagenforschung zu den Ursprüngen des menschlichen Bauens in ihrer akademischen Schlussfolgerung auch einen Bezug zu Afrika herstellen müssen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.

Philipp Meuser
Philipp Meuser ist Architekt und Verleger. Seit knapp zehn Jahren betreut sein Planungsbüro Bauprojekte in West- und Nordafrika. In seinem Verlag erschien kürzlich ein Grundlagenwerk zur Architektur im subsaharischen Afrika.
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