Zurück in die Zukunft

Nachhaltige Architektur in Westafrika

Diamniadio Lake City. Akon-City. Eko-Atlantic. Das Image der westafrikanischen Stadt der Zukunft ist weitgehend geprägt von Wolkenkratzern und wundersamen architektonischen Konstrukten. Wer die Gelegenheit hatte, diese futuristischen Städte aus der Luft zu betrachten, dem fällt jedoch auf: Trotz aller Herrlichkeit wirken sie wie künstliche Implantate aus einer anderen Welt, losgelöst von ihrer Umgebung. Diese Stadtmodelle aus Beton, Stahl und Glas mögen Modernität, Fortschritt, Nachhaltigkeit symbolisieren – allerdings tun sie das, typisch kolonial, in westlichem Sinne.

 

Wie die Materialien selbst sind sie ein Importprodukt und „berücksichtigen kaum das lokale Klima, die Besonderheiten der afrikanischen Stadt und noch weniger das architektonische Erbe, das wir in Afrika haben“, prangert die Architektin Nzinga Biegueng Mboup an. Mboup, die in England und Südafrika studiert hat, lebt in Senegal und beschäftigte sich zuletzt umfassend in einer Studie mit „Traditionen und Trends in der nachhaltigen Architektur in Westafrika“. Auch der UNESCO-Beauftragte für Stadtentwicklung und Kultur in Westafrika, Pierre Wenzel, sieht Zement und Stahl als Inbegriff von Kolonisation und Globalisierung. „Diese exogenen Modelle und Materialien werden nun in Frage gestellt“, sagt Wenzel.

 

Nzinga Biegueng Mboup gehört zu einer Reihe von westafrikanischen Architekten, Verbänden und Organisationen, die sich einer neuen Nachhaltigkeit widmen: Weg von Dubai-Imitaten, hin zu einer Bauweise, die die afrikanischen Traditionen aufgreift und modern umsetzt. „Bauen muss zu einem Werkzeug werden, das lokale Ressourcen fördert und die Abhängigkeit von importierten Materialien reduziert“, sagt die senegalesisch-kamerunische Mboub. Zudem gilt Zement in der Herstellung als umweltschädlich, bescheinigt Wenzel, und ist insbesondere thermisch schlecht an das dortige Klima angepasst.

 

In der semi-ariden Sahel-Zone südlich der Sahara ist es heiß und trocken. Funktionale Gebäude, Kommunen, Häuser – verwendet wurde, was am Bauplatz vorhanden war: Lehm und Erde gibt es überall. An den Ufern auch Pflanzenfasern wie Bambus oder Holz. Diese Ressourcen sind dem Klima angepasst und haben zudem bedeutend bessere dämmende Eigenschaften als Zement – sowohl thermisch als auch akustisch. Traditionelle Lehmbautechniken gehören zum kulturellen Erbe der Region und gehen weit über das Material an sich hinaus: Strategisch positionierte Lüftungsschlitze ermöglichten einen Venturi-Effekt, ganz ohne Klimaanlage. Wissen um den Verlauf der Sonne wurde zum Erschaffen von Schattenspendern genutzt. Wartungsarbeiten waren ein kommunales Ereignis, den klimatischen Zyklen angepasst, bei dem zugleich altes Wissen an die neue Generation weitergereicht wurde. Viele alte Städte in Westafrika zählen aufgrund des Reichtums und der Vielfalt der Lehmbautechniken heute zum UNESCO-Weltkulturerbe. Etwa ein Drittel der Häuser in der Sahelregion wird noch immer nach traditionellen Methoden gebaut, so Mboub.

 

Eine neue Generation von Architekten entdeckt das jahrtausendealte Wissen wieder für sich. Die senegalesische Agentur Worofila, die Mboub mitgründete, spezialisiert sich auf bioklimatische Architektur. Professionelle Netzwerke wie FACT Sahel+ bringen Fachleute aus dem Lehmbau zusammen. International gilt die französische CRAterre-Schule als Zentrum für Erd- und Lehmbau. Architekten, die im Ausland oder an der Universität EAMAU in Togo ausgebildet wurden, kombinieren technisches Know-how mit einem Interesse an gebautem kulturellem Erbe. Auch in ländlichen Gegenden hat sich inzwischen herumgesprochen: In den Lehmbauten der Großeltern lebt es sich angenehmer als in den neueren Zementhäusern mit Blechdächern, beobachtet UNESCO-Experte Wenzel: „Sie werden zu riesigen Öfen.“

 

Aushängeschild nachhaltiger westafrikanischer Architektur ist der Architekt Francis Kéré. Auch knapp 50 Jahre später kann sich der preisgekrönte Architekt noch gut an seine erste Schule erinnern: „Es war dunkel. Und heiß!“ Kéré, der heute in Berlin lebt und arbeitet, wuchs mit seinen 13 Geschwistern in einem Dorf im ländlichen Burkina Faso auf. Damit er die Schule besuchen konnte, schickten seine Eltern den damals 7-Jährigen zu Verwandten in der nächsten Stadt. Die traditionelle Bauweise seiner Heimat begleitete ihn durch seine Kindheit und auch nach seiner Schulzeit. In den 1980er Jahren brachte ihn ein Stipendium dann nach Deutschland, wo er zunächst eine Ausbildung zum Schreiner machte und dann an der TU Berlin Architektur studierte. Noch vor Abschluss seines Studiums führte ihn sein Weg zurück nach Gando. Er baute eine Grundschule – aus traditionellen Materialien, mit modernem Design. Freundlich. Hell. Und kühl.

 

Das ganze Dorf arbeitete daran mit. Und Kéré wurde mit seinem ersten Preis ausgezeichnet, dem renommierten Aga Khan Award for Architecture. Ihm sollten noch viele weitere Preise folgen.

 

Francis Kérés Ansatz ist ganzheitlich. Er ist zugleich futuristisch und traditionell. „Informiert durch Tradition, erkunden wir neue Formen des Bauens, deren Fundamente vor langer Zeit gelegt wurden“, so die Philosophie von Kéré Architecture, seinem 2005 gegründeten Architektur-Büro in Berlin. Wie das aussehen kann, zeigen seine inzwischen zahlreichen international vorhandenen Projekte. Aktuell arbeitet er an einem neuen Gebäude für das Goethe-Institut in Dakar. Kéré fühlt sich geehrt, durch das Projekt an der zeitgenössischen Gestaltung Dakars mitzuwirken: „Die Hauptstadt Senegals ist einer der wichtigsten Kulturknotenpunkte auf dem afrikanischen Kontinent.“

Ruth Helmling
Ruth Helmling ist gelernte Journalistin und Weltenbummlerin. Seit einem guten Jahrzehnt bereist sie als Seefahrerin und Kapitänin die sieben Weltmeere. Nachhaltigkeit liegt ihr sehr am Herzen – zu Land wie auch zu Wasser.
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