Zwei Welten in einem Land

Die Generation nach der Islamischen Revolution und der Westen

Wenn ein ausländischer Beo­bachter mit begrenzter Vorstellung über den Iran an bestimmten Tagen das Land bereisen würde, dann könnte er den Eindruck gewinnen, der Grund für die Revolution von 1979 und die Ablehnung des Schah-Regimes sei der Hass der Iraner auf die westliche Kultur und Zivilisation gewesen.

 

Nehmen wir als Reisetag mal den 4. November an. Jedes Jahr werden an diesem Tag die Besetzung der US-Botschaft und der Beginn der 444 Tage währenden Geiselnahme von 55 Diplomaten durch radi­kal-islamische Studenten gefeiert. Während einer Reise im Februar kann man die zehntägigen Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Revolution erleben. Der unvoreingenommene Besucher bekommt den Eindruck, als ob die Iraner von Anfang an die Absicht gehabt hätten, den Westen mit den USA als dessen Führungsmacht zu bekämpfen. Die Demonstranten, so lautet die ständig wiederholte Botschaft, wollten angeblich den Schah stürzen, weil er ein diensteifriger Büttel des Westens war, der dem iranischen Volk Kultur und Zivilisation des Westens aufoktroyieren wollte. Aber weil die Iraner Muslime waren und den Islam höher schätzten als die Werte des Westens, hätten sie sich erhoben, dem Schah die Macht entrissen und stattdessen die eigene islamische Kultur und Ideologie durch­­ge­setzt. Der prowestliche Lakai Mohammed Reza Schah wurde in die Flucht geschlagen und dem iranischen Volk wurde durch die Gründung der Islamischen Republik eine lichte Zukunft er­mög­licht. So lautet die offizielle Version der Islamischen Republik über Ursachen und Umsetzung der Revolution von 1979.

 

Diese offizielle Haltung ist das Fundament dafür, dass alle staatlichen Medien, die religiösen Prediger, die Kommandeure der Streitkräfte, große Teile der Universitätsgelehrten, die meisten Politiker und dem Regime nahestehenden Personen und Organe immer wieder geharnischte Parolen gegen den Westen und insbesondere gegen die USA von sich geben. Sie sind überzeugt davon, es gebe eine antagonistische Ansichtsweise zwischen dem islamischen Iran mit seiner Weltsicht einerseits und dem Westen andererseits. Dieser Widerspruch wird gerne auf zwei Ebenen dargestellt: Einer Kulturebene basierend auf Philosophie und Zivilisation sowie einer politischen Ebene.

 

Um auf die vermeintlich tiefe Feindschaft und den unüberbrückbaren Anta­gonismus zum Westen mit den USA an der Spitze hinzuweisen, wird eine lange Liste von Verschwörungen der Amerikaner gegen die Islamische Republik seit ihrer Geburtsstunde präsentiert.

 

Es beginnt mit der ersten provisorischen Regierung von Mehdi Bazargan. Offiziell heißt es, die Ameri­kaner hätten ihre Agenten auf den wichtigen Posten in der von „Liberalen“ geführten Regierung plat­ziert, um die Revolution zum Entgleisen zu bringen. Diese Agenten sollten angeblich die antiwestliche Haltung der Revolutionäre hintertreiben. Die Verschwörung sei aber vereitelt worden. Danach hätten die Amerikaner zu einem anderen Mittel gegriffen. Die eth­ni­schen Minderheiten des Vielvölkerstaats Iran wurden aufgewiegelt. Kurden, Turkmenen, Belutschen und Araber sollten gegen die Zentralregierung aufgebracht werden, um einen Bürgerkrieg zu entfa­chen. Aber auch diese Ver­schwö­rung sei von den Revolutionären vereitelt worden.

 

Die nächste Verschwörung bestand der offiziellen Lesart zufolge darin, Mordanschläge auf die füh­ren­den Köpfe der Revolution durch die Volks-Mudschaheddin verüben zu lassen. Auch dieses groß­angelegte Komplott konnte durchkreuzt werden.

 

Die Liste der Verschwörungen umfasst noch Putschversuche des Militärs vorwiegend unter Be­tei­li­gung der Luftwaffe. Sie seien allesamt im Keim erstickt worden. Die Aufnahme des krebskranken Schahs in den USA wurde als feindlicher Akt ausgelegt und weitere Verschwörungen seien schließlich von den revolutionären Studenten und durch die Besetzung der US-Botschaft verhindert worden. Dann griffen die USA zu anderen Mitteln: Sie hetzten ihren Handlanger im Irak, Saddam Hussein, zu einer Militärinvasion gegen den Iran auf mit dem Ziel, Teile des Landes zu besetzen, das Regime zu stürzen und den Iran deutlich zu schwächen. Doch trotz der massiven militärischen Unterstützung des Iraks durch die USA und ihre Verbündeten in Europa sowie in der arabischen Welt konnte Saddam Hus­sein seine Ziele nicht erreichen. Im Gegenteil: Die revolutionäre Herrschaft des Irans war nach acht Jah­ren Krieg mit hunderttausenden Toten und großer Zerstörung erheblich gestärkt und geschlos­se­ner als vor dem Überfall durch Saddam Husseins Armee.

 

Die Weltsicht der Führer der Islamischen Republik ist geprägt durch den Kampf gegen den Westen, ge­führt von den USA. Das Ziel der Revolution – so die nach-revolutionäre Deutung – bestand im Kampf gegen die USA und in der erklärten Gegnerschaft des revolutionären Islams mit dem Westen. Der Anti-Amerikanismus wurde faktisch in den Rang einer Staatsideologie erhoben. Diese Ideologie hilft dem Regime bis heute, gegen die westliche Kultur zu bestehen. Würde die westliche Kultur adaptiert, dann käme das dem Zusammenbruch der eigenen Ideologie gleich. Seit 38 Jahren bemüht sich die Islamische Republik darum, den Konflikt mit dem Westen als unlösbar und unver­meidbar darzustel­len, als ein Kampf von gläubigen Muslimen, die sich der Unterjochung durch den We­sten entgegen­stem­men. Das wird als der eigentliche Grund für die andauernde Auseinandersetzung mit den »Häreti­kern« im Westen angeführt. Die Realität in der iranischen Gesellschaft, oder wie wir sa­gen „un­ter der Haut der Stadt“, sieht aber anders aus. Sie entspricht nicht dem Bild, das die Herr­schenden der Islami­schen Republik der Welt gerne präsentieren.

Sadegh Zibakalam
Sadegh Zibakalam ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Teheran und einer der führenden Intellektuellen des Landes
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