Das Sorgenkind Irans

Die Lage der iranischen Wirtschaft

Insbesondere nach dem Atomvertrag zwischen der Islamischen Republik Iran und den Weltmächten, scheinen die Perspektiven der iranischen Wirtschaft und ihre größere Rolle in der Weltwirtschaft breiter geworden zu sein. Obwohl die Zurückhaltung der großen europäischen Bankenhäuser und staatlichen Handelsversicherungen weit über den Erwartungen der iranischen Regierung ist und einen erfolgreichen Auftritt Irans auf der Weltwirtschaftsbühne als Hindernis erscheint.

 

Etwa neun Monate nach Inkrafttreten des Atomvertrages hat der iranische Export von Rohöl und Gaskondensaten überraschenderweise das Vorsanktionsniveau erreicht, d. h. ca. 2,8 Millionen Barrel am Tag.

 

Die Förderung von Erdgas stieg in den letzten drei Jahren auf 720 Millionen Kubikmeter am Tag und dies bei kaum beachtlichen Investitionen in der Branche.

Die iranischen Öleinnahmen stürzten von 120 Milliarden US-Dollar in 2011 auf 33,5 Milliarden US-Dollar in 2015. Dennoch sind die heutigen Ölexporteinnahmen fast zweimal so hoch wie in der gleichen Periode vor einem Jahr.

 

Das deutlichste Zeichen der Erholung der iranischen Wirtschaft ist an der Wachstumsrate zu beobachten. Nach dem freien Fall in 2013, als die Rate auf – 6,6 Prozent zurückfiel, erreichte der Iran eine Wachstumsrate von 5,4 Prozent in dem ersten Quartal nach dem iranischen Kalender, sprich April bis Juni 2016. Die Wirtschaftsfaktoren lassen auf eine Wachstumsrate von sechs bis sogar sieben Prozent bis März 2017 schließen.

 

Trotz alledem und auch wenn der Iran es schaffen würde, durch international geführte Verhandlungen seine Position in der Finanzwelt auf den von vor den Sanktionen zu bringen, das Land ist mit großen Herausforderungen konfrontiert, genauso groß wie seine Chancen. Die Probleme haben ein in der iranischen Geschichte beispielloses Ausmaß. Sie können eine dauerhafte und ausbalancierte wirtschaftliche Entwicklung des Landes stark beeinträchtigen und so wie heute das gesamte Wirtschaftsgebilde gefährden.

 

Das größte und existenziell wichtigste Problem für die Wirtschaft und sogar für das Herrschaftssystem ist aus meiner Sicht die systematische Korruption, die jeder legalen und produktiven wirtschaftlichen Tätigkeit zum Hindernis geworden ist.

 

Ich denke, sie stellt eine der wichtigsten Barrieren für die Investition aus dem Ausland und auch aus inländischen Quellen dar. In der Abwesenheit eines unabhängigen, effektiven und gesunden Justizapparats ist die Korruption im zentralen Nervensystem des Finanzwesens, d. h. im Bankwesen, nach wie vor eingenistet. Die Bemühungen der Regierung von Hassan Rohani, strukturelle Reformen durchzusetzen, haben leider nur begrenzte Erfolge verzeichnet.

 

Ein Vergleich zeigt die verheerenden Folgen der Korruption:  In den Jahren zwischen 1989 bis 1991, d. h. in den Jahren nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges, betrugen die Deviseneinnahmen des Irans insgesamt nur 43 Milliarden US-Dollar, die Nationalwirtschaft wuchs jedoch um ganze 36 Prozent. In den drei Jahren der Rohani-Regierung, 2014 bis 2016, wird aber die Wachstumsrate nicht die Acht-Prozent-Marke überschreiten und das reale, also inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt, wird erst im Frühjahr 2017 den Stand von 2011 erreichen.

 

Die starke Regression der iranischen Wirtschaft hat noch zwei weitere, auch neu entstandene Probleme: geringe Arbeitseffektivität und -produktivität sowie Mangel an Investitionen.

 

In den vergangenen zehn Jahren, sogar vor dem Beginn der internationalen Sanktionen, sank die Arbeitseffektivität im Iran sehr drastisch. Nach dem Fünf- und Sechsjahresplan sollte die verbesserte Arbeitseffektivität jährlich 2,5 Prozent zu der geplanten achtprozentigen Wachstumsrate beitragen. Im Gegenteil, die Arbeitseffektivität ging zurück. So ist auch das für das Wirtschaftswachstum nötige Volumen an Importen gestiegen: Im Jahr 2002 mussten für jeden Prozentpunkt Wachstum Güter und Dienstleistungen im Wert von 4,7 Milliarden US-Dollar importiert werden, dieser Wert stieg bis 2011 auf 23 Milliarden US-Dollar und soll trotz der Bemühungen um Reformen im Jahr 2016 12 Milliarden US-Dollar betragen.

Als die eigentlichen Gründe für den Rückgang der Arbeitseffektivität werden das extensive Eingreifen des Staates in die Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren und die Korruption genannt.

 

Im Bereich der Investition ist die Lage mindestens genauso schlecht. Nach Schätzungen von Experten benötigt der Iran, allein um die ausgebliebenen Investitionen der vergangenen zehn Jahre auszugleichen, 400 Milliarden US-Dollar.

Saeed Leylaz
Saeed Leylaz ist Wirtschaftswissenschaftler, er lehrt und lebt in Teheran
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