Das Sorgenkind Irans

Die Lage der iranischen Wirtschaft

Im Moment ist das Investitionsvolumen nur geringfügig höher als der Kapitalverbrauch. Dies ist auf den Druck der Regierung unter Präsident Mahmoud Ahmadinedschad auf den Privatsektor in den Jahren zwischen 2005 und 2011 zurückzuführen. Beabsichtigt war das Verdrängen des Privatsektors, um halb­staatlichen Unternehmen Raum für Investitionen zu verschaffen. Die Rechnung ging nicht auf; die verschärften internationalen Sanktionen verhinderten Großinvestitionen durch den Staat und seine Subunternehmen.

 

Die Bemühungen der Rohani-Regierung haben bis heute keinen Erfolg gezeigt, um das negative Investitionsvolumen ins Positive umzukehren. Der Privatsektor ist zögerlich und wartet auf eine ein­deutige Verbesserung der innen- und außenpolitischen Verhältnisse sowie die wirtschaftlichen Richtlinien der Machtha­ber. Das verursacht trübe Perspektiven für die Entwicklung der iranischen Wirtschaft in 2017 und den Folgejahren.

 

Der Iran kämpft gleichzeitig gegen ein weiteres Problem: Die Kaufkraft der Arbeiter, Beamten und Rentner, die einen Bevölkerungsanteil von 50 bis 70 Prozent haben, sank in den Jahren zwischen 2011 und 2013 um 30 bis 40 Prozent. Obwohl diese Kluft 2014 um 12 bis 15 Prozent geringer geworden ist, ist er nach wie vor die Ursache für die stark zurückgegangene Nachfrage an Gütern.

 

Ich denke, der Iran ist zurzeit mit seiner ersten „selbst geschaffenen“ wirtschaftlichen Regression seiner Geschichte konfrontiert.

 

Die vier genannten Herausforderungen: Korruption, niedrige Arbeitseffektivität, ausgebliebene In­ves­ti­tionen sowie Einbruch der allgemeinen Kaufkraft sind die wichtigsten Hindernisse für die Entwick­lung der iranischen Wirtschaft in den kommenden Jahren. Das wird in Form eines innenpolitischen Konflikts auf der Grundlage der „Doppelherrschaft“ ausgetragen.

 

Die zunehmende innenpolitische Auseinandersetzung, die geringe Kaufkraft und die niedrige Arbeitseffektivität werden ebenfalls als die Hauptursachen für das Desinteresse des Privatsektors bei Neuinvestitionen und mehr Beteiligung am Wirtschaftsleben gesehen.

 

Jedoch besteht das Gesamtbild der iranischen Wirtschaft nicht nur aus den genannten sozialen und politischen Konflikten und Herausforderungen.

Diese Probleme bringen zum Teil auch positive Folgen mit sich: Der Iran
benötigt immense Investitio­nen, 50 Milliarden US-Dollar davon sollen aus dem Ausland kommen.

 

Im sechsten Entwicklungsplan des Landes für die Zeit zwischen 2017 und 2021 ist eine jährliche Investition von 200 Milliarden US-Dollar vorgesehen. Alle Organe der Herrschaft im Iran haben diesem Plan ihre Zustimmung erteilt. Zu beachten ist, dass nur 130 bis 140 Milliarden US-Dollar dieses Betrages aus den inländischen Ressourcen zu beschaffen sind. Die Herrschenden rechnen also fest mit auslän­dischem Kapital.

 

Aus einer mehr geopolitischen Perspektive scheint es, dass alle im Iran agierenden politischen Kräfte einschließlich der Bevölkerung sich auf die Bedeutung der Sicherheit des Landes geeinigt hätten. Die­ser Kompromiss geht aus der gemeinsamen Erfahrung der Revolution von 1979, den inneren Unru­hen von 2009, dem sogenannten arabischen Frühling und dem Zerfall der Stabilität im Mittleren Os­ten hervor. Iraner aus allen Schattierungen, ob radikal, konservativ oder Reformer haben gemerkt, dass die nationale Sicherheit in einer zutiefst instabilen Region höchste Priorität besitzt.

Die katastrophalen Bestrebungen der Ahmadinedschad-Regierung, einerseits eine monolithische Herrschaft zu bil­den und andererseits die desolate Wirtschaftslage und dem durch die stetig steigende Arbeits­lo­sigkeit re­sultierenden sozialen Druck standzuhalten, haben die Machtzirkel im Iran dazu gebracht, die Notwen­dig­keit von raschen und grundlegenden Wirtschaftsreformen zu erkennen.

 

Die iranische Wirtschaft hat kurz- und mittelfristig mit kleinen und teils auch erheblichen Pro­blemen zu kämpfen. Ein ökonomischer Aufschwung ist in den kommenden Jahren nicht zu erwarten. Aber angesichts der beispielhaften Stabilität des Landes im Nahen Osten, gut ausgebildeter junger Arbeitskräfte, reicher Vorkommen an Energieträgern und Mineralien sowie großer ungenutzter Produktionskapazitäten ist es angemessen zu glauben, dass der Iran diese Krisen hinter sich bringen wird.  Wir brauchen nur mehr Zeit.

 

Dieser Text ist zuerst in der Politik & Kultur 1/17 erschienen.

Saeed Leylaz
Saeed Leylaz ist Wirtschaftswissenschaftler, er lehrt und lebt in Teheran
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