Saeed Leylaz - 22. Dezember 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kultur im Iran

Das Sorgenkind Irans


Die Lage der iranischen Wirtschaft

Insbesondere nach dem Atomvertrag zwischen der Islamischen Republik Iran und den Weltmächten, scheinen die Perspektiven der iranischen Wirtschaft und ihre größere Rolle in der Weltwirtschaft breiter geworden zu sein. Obwohl die Zurückhaltung der großen europäischen Bankenhäuser und staatlichen Handelsversicherungen weit über den Erwartungen der iranischen Regierung ist und einen erfolgreichen Auftritt Irans auf der Weltwirtschaftsbühne als Hindernis erscheint.

 

Etwa neun Monate nach Inkrafttreten des Atomvertrages hat der iranische Export von Rohöl und Gaskondensaten überraschenderweise das Vorsanktionsniveau erreicht, d. h. ca. 2,8 Millionen Barrel am Tag.

 

Die Förderung von Erdgas stieg in den letzten drei Jahren auf 720 Millionen Kubikmeter am Tag und dies bei kaum beachtlichen Investitionen in der Branche.

Die iranischen Öleinnahmen stürzten von 120 Milliarden US-Dollar in 2011 auf 33,5 Milliarden US-Dollar in 2015. Dennoch sind die heutigen Ölexporteinnahmen fast zweimal so hoch wie in der gleichen Periode vor einem Jahr.

 

Das deutlichste Zeichen der Erholung der iranischen Wirtschaft ist an der Wachstumsrate zu beobachten. Nach dem freien Fall in 2013, als die Rate auf – 6,6 Prozent zurückfiel, erreichte der Iran eine Wachstumsrate von 5,4 Prozent in dem ersten Quartal nach dem iranischen Kalender, sprich April bis Juni 2016. Die Wirtschaftsfaktoren lassen auf eine Wachstumsrate von sechs bis sogar sieben Prozent bis März 2017 schließen.

 

Trotz alledem und auch wenn der Iran es schaffen würde, durch international geführte Verhandlungen seine Position in der Finanzwelt auf den von vor den Sanktionen zu bringen, das Land ist mit großen Herausforderungen konfrontiert, genauso groß wie seine Chancen. Die Probleme haben ein in der iranischen Geschichte beispielloses Ausmaß. Sie können eine dauerhafte und ausbalancierte wirtschaftliche Entwicklung des Landes stark beeinträchtigen und so wie heute das gesamte Wirtschaftsgebilde gefährden.

 

Das größte und existenziell wichtigste Problem für die Wirtschaft und sogar für das Herrschaftssystem ist aus meiner Sicht die systematische Korruption, die jeder legalen und produktiven wirtschaftlichen Tätigkeit zum Hindernis geworden ist.

 

Ich denke, sie stellt eine der wichtigsten Barrieren für die Investition aus dem Ausland und auch aus inländischen Quellen dar. In der Abwesenheit eines unabhängigen, effektiven und gesunden Justizapparats ist die Korruption im zentralen Nervensystem des Finanzwesens, d. h. im Bankwesen, nach wie vor eingenistet. Die Bemühungen der Regierung von Hassan Rohani, strukturelle Reformen durchzusetzen, haben leider nur begrenzte Erfolge verzeichnet.

 

Ein Vergleich zeigt die verheerenden Folgen der Korruption:  In den Jahren zwischen 1989 bis 1991, d. h. in den Jahren nach dem Ende des iranisch-irakischen Krieges, betrugen die Deviseneinnahmen des Irans insgesamt nur 43 Milliarden US-Dollar, die Nationalwirtschaft wuchs jedoch um ganze 36 Prozent. In den drei Jahren der Rohani-Regierung, 2014 bis 2016, wird aber die Wachstumsrate nicht die Acht-Prozent-Marke überschreiten und das reale, also inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt, wird erst im Frühjahr 2017 den Stand von 2011 erreichen.

 

Die starke Regression der iranischen Wirtschaft hat noch zwei weitere, auch neu entstandene Probleme: geringe Arbeitseffektivität und -produktivität sowie Mangel an Investitionen.

 

In den vergangenen zehn Jahren, sogar vor dem Beginn der internationalen Sanktionen, sank die Arbeitseffektivität im Iran sehr drastisch. Nach dem Fünf- und Sechsjahresplan sollte die verbesserte Arbeitseffektivität jährlich 2,5 Prozent zu der geplanten achtprozentigen Wachstumsrate beitragen. Im Gegenteil, die Arbeitseffektivität ging zurück. So ist auch das für das Wirtschaftswachstum nötige Volumen an Importen gestiegen: Im Jahr 2002 mussten für jeden Prozentpunkt Wachstum Güter und Dienstleistungen im Wert von 4,7 Milliarden US-Dollar importiert werden, dieser Wert stieg bis 2011 auf 23 Milliarden US-Dollar und soll trotz der Bemühungen um Reformen im Jahr 2016 12 Milliarden US-Dollar betragen.

Als die eigentlichen Gründe für den Rückgang der Arbeitseffektivität werden das extensive Eingreifen des Staates in die Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren und die Korruption genannt.

 

Im Bereich der Investition ist die Lage mindestens genauso schlecht. Nach Schätzungen von Experten benötigt der Iran, allein um die ausgebliebenen Investitionen der vergangenen zehn Jahre auszugleichen, 400 Milliarden US-Dollar.

Im Moment ist das Investitionsvolumen nur geringfügig höher als der Kapitalverbrauch. Dies ist auf den Druck der Regierung unter Präsident Mahmoud Ahmadinedschad auf den Privatsektor in den Jahren zwischen 2005 und 2011 zurückzuführen. Beabsichtigt war das Verdrängen des Privatsektors, um halb­staatlichen Unternehmen Raum für Investitionen zu verschaffen. Die Rechnung ging nicht auf; die verschärften internationalen Sanktionen verhinderten Großinvestitionen durch den Staat und seine Subunternehmen.

 

Die Bemühungen der Rohani-Regierung haben bis heute keinen Erfolg gezeigt, um das negative Investitionsvolumen ins Positive umzukehren. Der Privatsektor ist zögerlich und wartet auf eine ein­deutige Verbesserung der innen- und außenpolitischen Verhältnisse sowie die wirtschaftlichen Richtlinien der Machtha­ber. Das verursacht trübe Perspektiven für die Entwicklung der iranischen Wirtschaft in 2017 und den Folgejahren.

 

Der Iran kämpft gleichzeitig gegen ein weiteres Problem: Die Kaufkraft der Arbeiter, Beamten und Rentner, die einen Bevölkerungsanteil von 50 bis 70 Prozent haben, sank in den Jahren zwischen 2011 und 2013 um 30 bis 40 Prozent. Obwohl diese Kluft 2014 um 12 bis 15 Prozent geringer geworden ist, ist er nach wie vor die Ursache für die stark zurückgegangene Nachfrage an Gütern.

 

Ich denke, der Iran ist zurzeit mit seiner ersten „selbst geschaffenen“ wirtschaftlichen Regression seiner Geschichte konfrontiert.

 

Die vier genannten Herausforderungen: Korruption, niedrige Arbeitseffektivität, ausgebliebene In­ves­ti­tionen sowie Einbruch der allgemeinen Kaufkraft sind die wichtigsten Hindernisse für die Entwick­lung der iranischen Wirtschaft in den kommenden Jahren. Das wird in Form eines innenpolitischen Konflikts auf der Grundlage der „Doppelherrschaft“ ausgetragen.

 

Die zunehmende innenpolitische Auseinandersetzung, die geringe Kaufkraft und die niedrige Arbeitseffektivität werden ebenfalls als die Hauptursachen für das Desinteresse des Privatsektors bei Neuinvestitionen und mehr Beteiligung am Wirtschaftsleben gesehen.

 

Jedoch besteht das Gesamtbild der iranischen Wirtschaft nicht nur aus den genannten sozialen und politischen Konflikten und Herausforderungen.

Diese Probleme bringen zum Teil auch positive Folgen mit sich: Der Iran
benötigt immense Investitio­nen, 50 Milliarden US-Dollar davon sollen aus dem Ausland kommen.

 

Im sechsten Entwicklungsplan des Landes für die Zeit zwischen 2017 und 2021 ist eine jährliche Investition von 200 Milliarden US-Dollar vorgesehen. Alle Organe der Herrschaft im Iran haben diesem Plan ihre Zustimmung erteilt. Zu beachten ist, dass nur 130 bis 140 Milliarden US-Dollar dieses Betrages aus den inländischen Ressourcen zu beschaffen sind. Die Herrschenden rechnen also fest mit auslän­dischem Kapital.

 

Aus einer mehr geopolitischen Perspektive scheint es, dass alle im Iran agierenden politischen Kräfte einschließlich der Bevölkerung sich auf die Bedeutung der Sicherheit des Landes geeinigt hätten. Die­ser Kompromiss geht aus der gemeinsamen Erfahrung der Revolution von 1979, den inneren Unru­hen von 2009, dem sogenannten arabischen Frühling und dem Zerfall der Stabilität im Mittleren Os­ten hervor. Iraner aus allen Schattierungen, ob radikal, konservativ oder Reformer haben gemerkt, dass die nationale Sicherheit in einer zutiefst instabilen Region höchste Priorität besitzt.

Die katastrophalen Bestrebungen der Ahmadinedschad-Regierung, einerseits eine monolithische Herrschaft zu bil­den und andererseits die desolate Wirtschaftslage und dem durch die stetig steigende Arbeits­lo­sigkeit re­sultierenden sozialen Druck standzuhalten, haben die Machtzirkel im Iran dazu gebracht, die Notwen­dig­keit von raschen und grundlegenden Wirtschaftsreformen zu erkennen.

 

Die iranische Wirtschaft hat kurz- und mittelfristig mit kleinen und teils auch erheblichen Pro­blemen zu kämpfen. Ein ökonomischer Aufschwung ist in den kommenden Jahren nicht zu erwarten. Aber angesichts der beispielhaften Stabilität des Landes im Nahen Osten, gut ausgebildeter junger Arbeitskräfte, reicher Vorkommen an Energieträgern und Mineralien sowie großer ungenutzter Produktionskapazitäten ist es angemessen zu glauben, dass der Iran diese Krisen hinter sich bringen wird.  Wir brauchen nur mehr Zeit.

 

Dieser Text ist zuerst in der Politik & Kultur 1/17 erschienen.


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