Engere Zusammenarbeit fördern

In dieser Situation zeigen sich zwei entgegenläufige Tendenzen im kulturpolitischen Diskurs: Wer die normativ-traditionale Setzung einer weitgehend homogenen Kultur verteidigen will, knüpft oftmals am Kugel-Modell Herders an, demzufolge jede Nation den Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich selbst trägt: Diese Position setzt sich fort in einem Verständnis von Kultur als „Kitt“ einer Gesellschaft und reicht bis zur völkischen Grundierung, dass ethnische Homogenität eine kulturelle Errungenschaft sei. Wer hingegen diese holistischen Vorstellungen geschlossener kultureller Zusammenhänge auseinandernehmen will, dekonstruiert das ausgrenzende „Wir“ und setzt ihm eine dekonstruierte Community mit eigenem Geltungsanspruch entgegen, die sich allerdings meistens gesellschaftsintern scharf von den Vertreterinnen und Vertretern traditionalistischer Vorstellungen abgrenzt. Beiden Positionen gelingt es so nicht, am modernen Verständnis einer Einheit in Vielfalt festzuhalten, in der es gelingen könnte, gesellschaftliche Übereinkünfte zu formulieren, auf deren Grundlage friedliche Diversität gelebt werden kann.

 

Kulturpolitisch reicht es daher nicht, diese beiden Ansätze theoretisch zu diskutieren. Es kommt vielmehr darauf an, sie in ihrer Leerstelle einer Ästhetik der Diversität klar zu benennen und daran anschließend ihr Spannungsverhältnis im Sinne einer neuerlichen gesellschaftlichen Übereinkunft politisch zu gestalten. Eine Ästhetik der Diversität würde zunächst einmal voraussetzen, dass der Kulturbereich nachholt, was in der Kunst schon sichtbar ist:

 

Sozusagen von Aladag bis Zaimoglu erleben wir weltweit größte Wertschätzung für die Künste in Deutschland. Wir erleben, dass in dieser Wahrnehmung kein Unterschied zwischen Liszt und Levit und zwischen Heine und Haratischwili gemacht wird und sind darauf zu Recht stolz. Denn der Raum der Ästhetik ist ein Raum des Vertrauens auf Unterschiedlichkeit – und Vertrauen ist anders als Freiheit eine Ressource, die sich durch exzessiven Gebrauch vermehrt.

 

Zur Wahrheit zählt aber auch, dass diese Ästhetik der Diversität zurzeit in die politische Auseinandersetzung gezogen und von jenen angegriffen wird, die hierdurch die Homogenität des politischen Raumes gefährdet sehen. Aus der politischen Auseinandersetzung über verschiedene Optionen der Wirklichkeit ist so eine Auseinandersetzung über die von und vor der Wirklichkeit geschützten Kunst geworden, wie sich das besonders in den öffentlichen Angriffen auf Igor Levit gezeigt hat.

 

Weltoffenheit ist aber nicht nur wirtschaftlich und politisch eine Qualität unseres Landes, sondern auch kulturell. Wer sie entwickeln will, muss an dem Befund ansetzen, dass derzeit wohl in kaum einem Bereich die Diskrepanz zwischen der Offenheit des Programms und der Geschlossenheit der Institutionen so groß ist wie in der Kultur. Das betrifft die Kulturpolitik im Inneren übrigens ebenso wie die im Äußeren, sozusagen den Theaterintendanten und seine Dramaturgie ebenso wie die Leiterin eines Goethe-Institutes und ihre Mitarbeitenden. Hier müssen wir kulturpolitisch strukturell Veränderungen vorantreiben. Denn die persönliche Perspektive, die unterschiedliche Lebenswirklichkeit, ist prägend für Institutionen und beschreibt die Möglichkeiten ihrer Veränderbarkeit. Vor allem aber werden die Institutionen erst durch eine interne Diversität wieder zu dem, was sie für eine Gesellschaft sein sollen: ein Resonanzraum, in dem verschiedene Perspektiven konstruktiv aufeinanderprallen, in dem dieses Aufeinanderprallen aber durch den Raum der Kunst, durch die Behauptung von Ästhetik und nicht von Realität eben vor der Realität geschützt wird. Mit anderen Worten: Das Nicht-einverstanden-Sein muss im ästhetischen Raum erfahren und eingeübt sein, um im politischen Raum offen zu sein für eine gemeinsame Realität.

 

Es ist drittens evident, dass in der kulturellen Gestaltung Deutschlands der ehemals „Auswärtigen“ Kulturpolitik eine veränderte Rolle in Deutschland zukommt. War die Auswärtige Kulturpolitik traditionell auf das Her-
der’sche Kugel-Modell und eine moderne Export-Logik homogener und eindeutiger kulturelle Produkte, Denkvorstellungen und Prozesse gerichtet, so wird sie in Zukunft viel eher ihre Aufgabe darin finden, eine Ästhetik der Diversität unseres Landes nach außen und nach innen, die Träume und Traumata zu zeigen und zu vermitteln, die eben auch unsere Welt bestimmen. Der europäische Universalitätsanspruch muss sich dringend mit den unterschiedlichen Ausformungen des Universellen auseinandersetzen und dies gelingt am ehesten dann, wenn wir aus einer Förderung inhaltlicher Produkte und Projekte heraus auch eine Förderung gemeinsamer Strukturen in unseren Partnerländern ermöglichen.

 

Besonders deutlich zeigt sich das im notwendigen Erfahrungsaustausch der interkulturellen Bildung oder der Erinnerungskultur: Ohne ein Grundverständnis dessen, was die Konferenzen von Bandung für die ehemaligen kolonisierten Staaten bedeutet haben, lässt sich heute weder eine verantwortliche Menschenrechtspolitik noch eine verantwortliche Erinnerungspolitik definieren. David Rothenberg nennt dies eine mehrdimensionale Erinnerung. In der Tat werden wir diese benötigen, nicht nur in unserem Land, sondern auch als selbstbewusster Partner im internationalen Kontext. Sie zählt zu den notwendigen Elementen eines weltoffenen Deutschlands, wie nicht zuletzt die Debatte um Achille Mbembe im Jahr 2020 gezeigt hat. Sie wird dann gefördert werden, wenn Bund und Länder sich auch hier stärker zusammentun und die kulturelle Verwurzelung unserer Einrichtungen in Ländern und Kommunen mit ihrer internationalen Dimension zusammen denken.

 

So wie es im Schulbereich durch die vom heutigen Bundespräsidenten begründete Partnerschulinitiative Partnerschaften z. B. zwischen Osterode und Kaolack im Senegal gibt, sollte es mehr solcher kulturellen Partnerschaften geben, wie sie zurzeit zwischen Hamburg und Kapstadt entwickelt werden, indem die Direktorin des dortigen Zeitz Museum of Contemporary Art Africa (MOCAA) und bislang – leider – einziges Mitglied des Goethe-Institutes aus Afrika, Koyo Kouoh, die Kuratierung der nächsten Hamburger Triennale der Fotografie übernimmt.

 

In solchen, noch immer viel zu seltenen und oftmals nur zufälligen Kooperationen finden sich lokale und globale Perspektiven auf beiden Seiten und ermöglichen nach außen die dringend notwendige Auseinandersetzung mit den grenzüberschreitenden Herausforderungen ästhetischer und kultureller Diversität. Gelingen wird das nur, wenn wir auch nach innen die Grenzen zwischen den kulturpolitischen Zuständigkeiten pragmatisch überwinden und zu einer noch engeren Zusammenarbeit finden.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Carsten Brosda & Andreas Görgen
Carsten Brosda ist Senator der Behörde für Kultur und Medien. Andreas Görgen ist Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt.
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