Carsten Brosda & Andreas Görgen - 1. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Auswärtige Kultur- & Bildungspolitik (AKBP)

Engere Zusammenarbeit fördern


Die Organisation der Kulturpolitik ist in der Bundesrepublik ein bewusst prekär gehaltenes Feld. Um jede allzu zentralistische Ballung kulturpolitischer Gestaltungskraft auf der nationalen Ebene zu verhindern, gehört der Kulturföderalismus zum Kernbestand des Grundgesetzes. Während heutige Feuilletondebatten sich deshalb regelmäßig mit dem praktischen Verhältnis zwischen Ländern und Bund in der inneren Kulturpolitik auseinandersetzen, ist eine andere Konfliktlinie schon von Beginn an im organisatorischen Kompetenzaufbau des Staates angelegt. Sie betrifft das „Innen“ und „Außen“ in der deutschen Kulturpolitik. Wie ihr Zusammenspiel organisiert werden kann, ist ein kulturpolitisches Leitthema der letzten 50 Jahre. Denn während die Kulturhoheit bei den Ländern liegt, ist das Auswärtige Amt (AA) für die Kulturpolitik der Bundesrepublik im Ausland zuständig, hat aber selbst wiederum keine kulturpolitische Verantwortung in der Bundesrepublik.

 

Was beim Schreiben des Grundgesetzes nach einer vernünftigen Differenzierung aussah, wurde und wird zunehmend von der Wirklichkeit überholt – aus einer ganzen Reihe von Gründen: Im Regierungshandeln des Bundes diversifizieren sich die Zuständigkeiten weiter aus: durch die stärkere Rolle der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) – und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) als Auftraggeber –, durch den steigenden Einfluss des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und seit der ersten Berufung eines Kulturstaatsministers (BKM) durch die rot-grüne Bundesregierung 1998 auch durch einen eigenständigen, nach innen gerichteten Gestaltungsanspruch der Bundesebene. Daneben wiederum erleben wir eine Internationalisierung des kulturellen Lebens, die auch ehemals regional fokussierte Kulturarbeit beinahe zwangsläufig zur Welt hin öffnet. Nahezu jede Einrichtung – und für 90 Prozent der kulturellen Einrichtungen stehen nach wie vor die Kommunen und Länder gerade – arbeitet heutzutage international.

 

Zusammengenommen sind diese vielfältigen und dezentralen Angebote ein Spiegelbild der Bundesrepublik, die wie kein anderes Land in Europa von seiner Weltoffenheit lebt: wirtschaftlich mit ihren auf den Weltmarkt ausgerichteten Unternehmen. Politisch in ihrer Rolle als explizite Nicht-Hegemonialmacht. Kulturell, indem sie insbesondere durch die Goethe-Institute, aber auch durch zahlreiche andere zivilgesellschaftliche Organisationen und Institutionen agiert und – im Unterschied zu den allermeisten anderen Staaten – gerade nicht durch eigenes staatlich-kulturelles Handeln. Aus dieser Ausgangssituation müssen wir kulturpolitisch weitere Konsequenzen ziehen. Auf drei zentralen Feldern kristallisieren sich die Herausforderungen bereits deutlich sichtbar heraus:

Die erste Dimension betrifft den Umstand, dass die Länder bei der Definition der sogenannten „auswärtigen“ Kulturpolitik traditionell kaum eine Rolle spielen. Das liegt zum einen daran, dass die mächtigen zivilgesellschaftlichen Institutionen, die im und mit dem Ausland arbeiten, geradezu symbiotisch mit der Diplomatie verbunden sind und argwöhnisch auf jedes „Mehr“ an staatlichen Mitrednern reagieren. Zum anderen aber ist auch der Einsatz der Länder für die internationale Arbeit ihrer regionalen Institutionen traditionell gering. Das Interesse der Landeskinder steht hier aus nachvollziehbaren Gründen oftmals vor der Arbeit an der Weltvernunft.

 

Doch in den letzten Jahren haben sowohl die Kulturstiftung des Bundes mit ihren Internationalisierungsprogrammen als auch die vom AA geleiteten gemeinsamen Anstrengungen von BMZ, BKM und eben AA zugunsten der internationalen Arbeit der deutschen Museen hier zu einem Umdenken geführt. Die meisten Länder unterstützen mittlerweile grenzübergreifende Kooperationen ihrer Einrichtungen und sehen darin eine willkommene gesamtstaatliche Ergänzung in Feldern, die sie selbst nur selten bearbeitet haben. Hier wächst ein gemeinsames Verständnis einer gleichermaßen regional verankerten wie international vernetzten Kulturarbeit, die aufgrund ihrer stereoskopen Optik konzeptionell nach innen und nach außen an Relevanz und Kraft gewinnt.

 

Ein herausragendes Beispiel für die Möglichkeiten dieser Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist der Umgang mit der kulturellen Verantwortung für die Folgen des Kolonialismus. In den vergangenen drei Jahren hat sich ausgehend von der gemeinsamen Entwicklung „Erster Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ eine immer engere und direktere Zusammenarbeit der kulturpolitisch Verantwortlichen entwickelt, die über den schon länger kultivierten Meinungsaustausch hinaus auch konkrete Strukturierungen ermöglicht. Der Aufbau der Verbindungsstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten bei der Kulturstiftung der Länder zeigt, wie aus der Arbeit im „Inneren“, d. h. in den Museen und Sammlungsbeständen der Bundesrepublik, heraus Angebote für internationale Partner entstehen können. Komplementär dazu soll die geplante Agentur für Museumskooperation des Auswärtigen Amtes nach „außen“ die internationale Zusammenarbeit neu gestalten.

 

Aufbauend auf diesen ermutigenden Erfahrungen schreibt sich zurzeit ein intensivierter Abstimmungsprozess des Bundes mit den Ländern zur Neubestimmung ihrer Rollen in der Auswärtigen Kulturpolitik fort, der anschließend zur Abstimmung der Kultur-Ministerkonferenz mit einem Ressortkreis unter Leitung des AA führen soll. Dabei ist auch klar: Eine Teilhabe am „Sagen“, am Bestimmen der inhaltlichen Ausrichtung der internationalen Kulturpolitik unseres Landes setzt auch eine Teilhabe am „Haben“, an der Unterstützung eben dieser Dimension durch Zuwendungen und gemeinsame Programme voraus. Die Fundamente dafür werden derzeit gelegt.

 

Eine zweite Dimension der notwendigen Fortschreibungen betrifft die Diversität unserer Gesellschaft. Demokratie lebt von der Unterschiedlichkeit. In den Blick kommt dabei zumeist nicht die Unterschiedlichkeit von Ästhetiken, sondern lediglich die Unterschiedlichkeit politischer Meinungen in einem in Bezug auf die ethnischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen einigermaßen homogen unterstellten Raum. Dass damit meistens auch die Exklusion bestimmter sozialer und kultureller Gruppen verbunden war, wurde gesellschaftlich hingenommen, solange der Gesamtzusammenhalt nicht gefährdet war. Doch das ist nicht mehr der Fall. Das demokratische Prinzip drängt zu Recht auf Teilhabe – vor allem dann, wenn erhebliche Teile unserer Gesellschaft immer noch nicht hinreichend in den gesellschaftlichen und kulturellen Institutionen repräsentiert sind. Unter den kulturpolitisch Verantwortlichen finden sich immer noch zu wenige Migrantinnen und Migranten, zu wenige Vertreterinnen und Vertreter nicht akademischer Milieus, zu wenige Repräsentanten der LGBTIQ und – schon seit Jahrzehnten – zu wenige Frauen. Die bürgerliche Verfestigung des kulturellen Diskurses hat nach wie vor eindeutig Schlagseite. Während die Programmatik der Kultur diverser wird, ist die Gruppe derjenigen, die diese Programmatik realisieren soll, nach wie vor erstaunlich homogen.

In dieser Situation zeigen sich zwei entgegenläufige Tendenzen im kulturpolitischen Diskurs: Wer die normativ-traditionale Setzung einer weitgehend homogenen Kultur verteidigen will, knüpft oftmals am Kugel-Modell Herders an, demzufolge jede Nation den Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich selbst trägt: Diese Position setzt sich fort in einem Verständnis von Kultur als „Kitt“ einer Gesellschaft und reicht bis zur völkischen Grundierung, dass ethnische Homogenität eine kulturelle Errungenschaft sei. Wer hingegen diese holistischen Vorstellungen geschlossener kultureller Zusammenhänge auseinandernehmen will, dekonstruiert das ausgrenzende „Wir“ und setzt ihm eine dekonstruierte Community mit eigenem Geltungsanspruch entgegen, die sich allerdings meistens gesellschaftsintern scharf von den Vertreterinnen und Vertretern traditionalistischer Vorstellungen abgrenzt. Beiden Positionen gelingt es so nicht, am modernen Verständnis einer Einheit in Vielfalt festzuhalten, in der es gelingen könnte, gesellschaftliche Übereinkünfte zu formulieren, auf deren Grundlage friedliche Diversität gelebt werden kann.

 

Kulturpolitisch reicht es daher nicht, diese beiden Ansätze theoretisch zu diskutieren. Es kommt vielmehr darauf an, sie in ihrer Leerstelle einer Ästhetik der Diversität klar zu benennen und daran anschließend ihr Spannungsverhältnis im Sinne einer neuerlichen gesellschaftlichen Übereinkunft politisch zu gestalten. Eine Ästhetik der Diversität würde zunächst einmal voraussetzen, dass der Kulturbereich nachholt, was in der Kunst schon sichtbar ist:

 

Sozusagen von Aladag bis Zaimoglu erleben wir weltweit größte Wertschätzung für die Künste in Deutschland. Wir erleben, dass in dieser Wahrnehmung kein Unterschied zwischen Liszt und Levit und zwischen Heine und Haratischwili gemacht wird und sind darauf zu Recht stolz. Denn der Raum der Ästhetik ist ein Raum des Vertrauens auf Unterschiedlichkeit – und Vertrauen ist anders als Freiheit eine Ressource, die sich durch exzessiven Gebrauch vermehrt.

 

Zur Wahrheit zählt aber auch, dass diese Ästhetik der Diversität zurzeit in die politische Auseinandersetzung gezogen und von jenen angegriffen wird, die hierdurch die Homogenität des politischen Raumes gefährdet sehen. Aus der politischen Auseinandersetzung über verschiedene Optionen der Wirklichkeit ist so eine Auseinandersetzung über die von und vor der Wirklichkeit geschützten Kunst geworden, wie sich das besonders in den öffentlichen Angriffen auf Igor Levit gezeigt hat.

 

Weltoffenheit ist aber nicht nur wirtschaftlich und politisch eine Qualität unseres Landes, sondern auch kulturell. Wer sie entwickeln will, muss an dem Befund ansetzen, dass derzeit wohl in kaum einem Bereich die Diskrepanz zwischen der Offenheit des Programms und der Geschlossenheit der Institutionen so groß ist wie in der Kultur. Das betrifft die Kulturpolitik im Inneren übrigens ebenso wie die im Äußeren, sozusagen den Theaterintendanten und seine Dramaturgie ebenso wie die Leiterin eines Goethe-Institutes und ihre Mitarbeitenden. Hier müssen wir kulturpolitisch strukturell Veränderungen vorantreiben. Denn die persönliche Perspektive, die unterschiedliche Lebenswirklichkeit, ist prägend für Institutionen und beschreibt die Möglichkeiten ihrer Veränderbarkeit. Vor allem aber werden die Institutionen erst durch eine interne Diversität wieder zu dem, was sie für eine Gesellschaft sein sollen: ein Resonanzraum, in dem verschiedene Perspektiven konstruktiv aufeinanderprallen, in dem dieses Aufeinanderprallen aber durch den Raum der Kunst, durch die Behauptung von Ästhetik und nicht von Realität eben vor der Realität geschützt wird. Mit anderen Worten: Das Nicht-einverstanden-Sein muss im ästhetischen Raum erfahren und eingeübt sein, um im politischen Raum offen zu sein für eine gemeinsame Realität.

 

Es ist drittens evident, dass in der kulturellen Gestaltung Deutschlands der ehemals „Auswärtigen“ Kulturpolitik eine veränderte Rolle in Deutschland zukommt. War die Auswärtige Kulturpolitik traditionell auf das Her-
der’sche Kugel-Modell und eine moderne Export-Logik homogener und eindeutiger kulturelle Produkte, Denkvorstellungen und Prozesse gerichtet, so wird sie in Zukunft viel eher ihre Aufgabe darin finden, eine Ästhetik der Diversität unseres Landes nach außen und nach innen, die Träume und Traumata zu zeigen und zu vermitteln, die eben auch unsere Welt bestimmen. Der europäische Universalitätsanspruch muss sich dringend mit den unterschiedlichen Ausformungen des Universellen auseinandersetzen und dies gelingt am ehesten dann, wenn wir aus einer Förderung inhaltlicher Produkte und Projekte heraus auch eine Förderung gemeinsamer Strukturen in unseren Partnerländern ermöglichen.

 

Besonders deutlich zeigt sich das im notwendigen Erfahrungsaustausch der interkulturellen Bildung oder der Erinnerungskultur: Ohne ein Grundverständnis dessen, was die Konferenzen von Bandung für die ehemaligen kolonisierten Staaten bedeutet haben, lässt sich heute weder eine verantwortliche Menschenrechtspolitik noch eine verantwortliche Erinnerungspolitik definieren. David Rothenberg nennt dies eine mehrdimensionale Erinnerung. In der Tat werden wir diese benötigen, nicht nur in unserem Land, sondern auch als selbstbewusster Partner im internationalen Kontext. Sie zählt zu den notwendigen Elementen eines weltoffenen Deutschlands, wie nicht zuletzt die Debatte um Achille Mbembe im Jahr 2020 gezeigt hat. Sie wird dann gefördert werden, wenn Bund und Länder sich auch hier stärker zusammentun und die kulturelle Verwurzelung unserer Einrichtungen in Ländern und Kommunen mit ihrer internationalen Dimension zusammen denken.

 

So wie es im Schulbereich durch die vom heutigen Bundespräsidenten begründete Partnerschulinitiative Partnerschaften z. B. zwischen Osterode und Kaolack im Senegal gibt, sollte es mehr solcher kulturellen Partnerschaften geben, wie sie zurzeit zwischen Hamburg und Kapstadt entwickelt werden, indem die Direktorin des dortigen Zeitz Museum of Contemporary Art Africa (MOCAA) und bislang – leider – einziges Mitglied des Goethe-Institutes aus Afrika, Koyo Kouoh, die Kuratierung der nächsten Hamburger Triennale der Fotografie übernimmt.

 

In solchen, noch immer viel zu seltenen und oftmals nur zufälligen Kooperationen finden sich lokale und globale Perspektiven auf beiden Seiten und ermöglichen nach außen die dringend notwendige Auseinandersetzung mit den grenzüberschreitenden Herausforderungen ästhetischer und kultureller Diversität. Gelingen wird das nur, wenn wir auch nach innen die Grenzen zwischen den kulturpolitischen Zuständigkeiten pragmatisch überwinden und zu einer noch engeren Zusammenarbeit finden.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.


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