Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel

Margret Wintermantel und Theresa Brüheim im Gespräch über den DAAD, Erasmus, Brexit und vieles mehr

 

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen einem Gastland und dem DAAD?
Unsere Leute vor Ort haben einen kurzen Draht zu den Botschaften und zu unseren ausländischen Partnerorganisationen, Ministerien und Hochschulen. Sie verhandeln z. B. mit den jeweiligen Regierungsstellen über Stipendienprogramme oder Hochschulkooperationsprojekte. So wie wir an internationalen Kooperationen interessiert sind, so sind die Gastländer auch an einem Austausch mit Deutschland interessiert. Weltweit gilt das deutsche Wissenschafts- und Innovationssystem als sehr attraktiv. Bei den Kooperationen spielt es eine Rolle, dass man unsere Tradition von Lehre und Forschung sehr schätzt. Ich war Anfang Februar in Kenia, wo wir in Zusammenarbeit mit deutschen Fachhochschulen eine deutsch-ostafrikanische Hochschule für angewandte Wissenschaften aufbauen. Die Kenianer sind sehr an dem Modell der deutschen Fachhochschule interessiert, weil es dort an Möglichkeiten der praxisorientierten Ausbildung fehlt.

 

Wie gestaltet sich denn die Kooperation mit „schwierigen“ Ländern?
Zunächst möchte ich zurückfragen: Was sind schwierige Länder? Schwierig wird es insbesondere dort, wo die Politik bestimmt, was in der Forschung in den Blick genommen werden soll, wenn sie sich also einmischt und dadurch die Wissenschaftsfreiheit beschädigt, wenn qualifizierte und renommierte Wissenschaftler allein aus politischen Gründen nicht mehr forschen und publizieren können, was sie wollen, dann ist es auch für den DAAD nicht ganz einfach, weiter zu kooperieren. Wir haben aber Erfahrungen, dass trotzdem auch dann, wenn die Diplomatie gar nicht mehr funktioniert, wir im akademischen Austausch weiter interagieren können – in einer Art der Wissenschaftsdiplomatie. Dies galt etwa auch für Kuba oder auch den Iran, wo unsere Verbindungen nie abgerissen sind, nicht zuletzt auch, weil dort viele Alumni in der Wissenschaft tätig sind, die den Kontakt zu den deutschen Universitäten und anderen Hochschulen pflegen und unbedingt aufrechterhalten wollen.

 

Sie haben gerade schon das Wort „Wissenschaftsdiplomatie« benutzt. Was verstehen Sie darunter?
Im Rahmen von Wissenschaft und im Austausch von Hochschulen entwickelt sich natürlich eine Argumentationskultur, in der auch über politische Fakten gesprochen wird. Und in der natürlich auch eine Wertediskussion stattfindet. Das halten wir für außerordentlich wichtig und sehen das als einen Teil von Wissenschaftsdiplomatie an.

 

Kann dieser wissenschaftliche Austausch die diplomatischen Beziehungen von Ländern verbessern? Quasi eine Annäherung durch Wissenschaft?
Ich denke schon. Ich habe vorhin das Beispiel des europäischen Hochschul- und Forschungsraumes genannt. Ich bin nun auch eine Weile im Vorstand der European University Association gewesen. Dort arbeiten 800 Hochschulen zusammen. Natürlich erfolgt durch diese gemeinsame Diskussion über Reformen im Hochschulsystem, über verbesserte Lehre und Forschungsbedingungen ein Stück weit eine Annäherung unterschiedlicher Perspektiven auf Politik und Gesellschaft und damit auch eine Annäherung von Denkweisen und Möglichkeiten zur Lösung von Konflikten.

 

Der DAAD ermöglicht nicht nur zahlreichen deutschen Stipendiaten weltweit zu studieren und zu forschen, sondern auch Tausenden internationalen Stipendiaten, nach Deutschland zu kommen. Wie gelingt Integration der Studenten und Forscher aus aller Welt in Deutschland?
Etwa 340.000 ausländische Studierende sind derzeit bei uns in Deutschland. Darüber freuen wir uns und hoffen, dass diese jungen Leute nicht nur Erfolg im Studium haben werden, sondern dass sie sich in unseren Hochschulen und in unserer Gesellschaft überhaupt wohlfühlen. Wir unterstützen zahlreiche Aktivitäten in den Hochschulen vor Ort, die geeignet sind, die ausländischen Studierenden zu betreuen, sie im besten Sinn willkommen zu heißen. In jüngster Zeit haben wir angesichts der vielen Geflüchteten in Deutschland spezielle Programme zur Unterstützung des Zugangs talentierter Flüchtlinge zu den Hochschulen und dem Studium entwickelt, Programme, die sehr erfolgreich laufen. Besonders froh sind wir darüber, dass unsere deutschen Studierenden diese Aktivitäten mit hohem persönlichem Einsatz unterstützen.

 

Wie sieht es denn mit der Anerkennung der Abschluss­urkunden bei Geflüchteten aus, die nach Deutschland kommen und vielleicht schon in ihrer Heimat ein Studium begonnen oder abgeschlossen haben?
Ja, das ist eine wichtige Frage. Auch zur Anerkennung und Prüfung bereits erbrachter Studienleistungen finanzieren wir Programme, die auf etablierten Testverfahren aufbauen. Wir müssen sicherstellen, dass diese Vorerfahrung oder das Gelernte anerkannt werden. In den letzten Jahren hat sich bei der Anerkennung von Studienleistungen viel verbessert, aber wir müssen noch weiter daran arbeiten.

 

Zum Abschluss noch die Frage: Wo sehen Sie den DAAD und den internationalen Austausch in Zukunft?
Wenn wir nochmal anschließen an die Fragen nach den Tendenzen der Wissenschaftsfeindlichkeit, der Krisen in der Welt, der Europaskepsis, der Abschottung und Fremdenfeindlichkeit, dann muss jedem klar sein, dass der akademische Austausch weiter gefördert werden muss. Wir brauchen diese Freiräume des offenen Dialogs, des Diskurses in den Hochschulen. Wir brauchen die Fähigkeit unserer jungen Leute zum Perspektivwechsel. Und ich denke, wir können auch unsere Geldgeber und die Politik überzeugen, dass dieser Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern sinnvoll und nützlich ist und nur positive Wirkungen hat. Wir müssen unseren Weg weitergehen und noch mehr Leute ermutigen und ihnen helfen, ins Ausland zu gehen, internationale Erfahrungen zu sammeln. Von all dem braucht es gerade jetzt nicht weniger, sondern mehr Austausch, also mehr Erasmus, mehr Stipendien, mehr Dialog.

 

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2017.

Margret Wintermantel und Theresa Brüheim
Margret Wintermantel ist Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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